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Protest

TStint-Sterben: Naturschützer wollen EU-Kommission einschalten

Elbfischer Lothar Buckow und seinem Decksmann Dirk Ostmeier gehen auf der Hahnöfer Nebenelbe immer weniger Stinte ins Netz (von rechts).

Elbfischer Lothar Buckow und seinem Decksmann Dirk Ostmeier gehen auf der Hahnöfer Nebenelbe immer weniger Stinte ins Netz (von rechts). Foto: Vasel

Der Stint steht auf der Roten Liste, Niedersachsen hat die Fischart als stark gefährdet eingestuft. Nachdem Elbfischer Lothar Buckow vor dem Aussterben gewarnt hatte, stärken ihm jetzt WWF, Nabu und BUND den Rücken. Die Naturschützer schließen eine Klage nicht aus.

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Von Björn Vasel
Freitag, 08.03.2024, 11:37 Uhr

Jork. Die Stintpopulation ist eingebrochen und BUND, Nabu sowie der WWF machen die Elbvertiefungen für den dramatischen Einbruch bei den Zahlen der einst riesigen Mengen dieser Fischart verantwortlich. Schlechte Sauerstoffwerte, dichte Trübung sowie starke Strömung, verursacht durch die dauerhafte Baggeraktivität, reduzierten den Bestand. „Forscher und Fischer beobachten den drastischen Rückgang seit mehreren Jahren“, sagt Beatrice Claus vom World Wide Fund for Nature (WWF).

Magerer Fang, die Kiste ist leer: Der Stint-Bestand ist in den vergangenen 15 Jahren um 85 Prozent gesunken.

Magerer Fang, die Kiste ist leer: Der Stint-Bestand ist in den vergangenen 15 Jahren um 85 Prozent gesunken. Foto: Vasel

Der letzte Elbfischer des Alten Landes, Lothar Buckow, hatte Anfang dieses Jahres erneut Alarm geschlagen. Er hatte bereits vor der Elbvertiefung gewarnt, dass das Dauerbaggern für die Verbreiterung und Vertiefung der Fahrrinne und die Unterhaltungsbaggerung die Bestände von Stint und Finte gefährden werden. Vergeblich.

Warnungen vor Stint-Rückgang gab es seit Jahren

Ende 2023 konnte das Land Niedersachsen nicht mehr die Augen vor den Fakten verschließen. Die Folge: Der Stint musste auf die Rote Liste gesetzt werden. Das hatten die Biologen Dr. Veit Hennig und Professor Dr. Ralf Thiel von der Universität Hamburg bereits im Jahr 2018 beziehungsweise im 2020 im TAGEBLATT gefordert, um das Ökosystem Elbe zu retten.

Veit Hennig vom Institut für Zoologie hatte vor sechs Jahren gesagt: „Für den Stint sehe ich schwarz.“

Die Monitoringberichte zur Umsetzung der europäischen Wasserrahmen-Richtlinie gaben ihm recht. Innerhalb von 15 Jahren hat die durchschnittliche Anzahl der Stinte in der Elbe um zirka 85 Prozent abgenommen. „Das hat dramatische Folgen für das gesamte Ökosystem“, sagt der Vorsitzende des Naturschutzbund Deutschland (Nabu), Malte Siegert. Der Stint sei schließlich der Brotfisch der Elbe gewesen. Bevor die Population so dramatisch abnahm, habe der Stint rund 96 Prozent des Fischbestands in der Tideelbe - unterhalb des Hamburger Hafens - ausgemacht.

Siegert kritisiert, dass die Politik bislang nicht verstanden habe, wie wichtig der Stint für das gesamte Ökosystem und die Biodiversität an der Tide (gewesen) sei - insbesondere als Leib- und Magenspeise vieler anderer Tiere. Der Nabu-Vorsitzende aus Hamburg verweist auf Fluss- und Lachseeschwalben, Schweinswale und Zwergmöwe. Diese kehrten der Elbe den Rücken. Die Brut- und Nahrungsbedingungen der letzten Seeschwalbenkolonie Deutschlands in Schleswig-Holstein verschlechterten sich, auch der Vogel steht auf der Roten Liste.

„Schon jetzt fehlen den Seeschwalben, die an der Elbmündung brüten, Stinte als Hauptnahrung für ihre hungrigen Küken“, sagt BUND-Gewässerreferentin Linda Kahl. Leider betrachte die Politik die kanalisierte Elbe vor allem als Wirtschaftsweg, so Siegert. Es sei fraglich, ob der Stint überhaupt noch eine Perspektive habe.

Bundesländer haben noch keine konkreten Maßnahmen ergriffen

Noch werde dieser als stark gefährdet in der Gefährdungskategorie 2 geführt. Die Fischfauna-Experten beim Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gehen von einer starken Abnahme aus, den Exitus-Stempel „Vom Aussterben bedroht“ (Kategorie 1) gab es noch nicht. Konkrete Schutzmaßnahmen haben Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Hamburg nicht ergriffen. Dabei hänge ein komplettes Ökosystem an dem unscheinbaren Fisch, der von Februar bis April zum Laichen aus der Nordsee die Elbe hochzieht.

Die Sprecher von BUND, Nabu und WWF fordern die Länder und den Bund zum Handeln auf. Letztlich müsse die Kanalisierung der Elbe in Teilen rückgängig gemacht werden. Im Uferbereich - insbesondere in den Nebenelben - müssten sandige Flachwasserbereiche wiederhergestellt werden, die Verschlickung durch das Kreislauf- und Dauerbaggern im Bereich der Fahrrinnen müsse gestoppt werden. Denn Schlick und Sauerstoffzehrung seien letztlich der Fische Tod.

Ihr Laich versinkt im Modder und erstickt. Damit nicht genug: Stintlarven können durch die Trübung die Planktonnahrung nicht mehr sehen, sie verhungern. Die geplante Verwendung von Schlick als Kleiboden für die klimawandelbedingte Deicherhöhung reiche nicht aus. „Der Schlick muss komplett raus aus dem System“, sagt Buckow, „der Umgang mit der Elbe und der Natur muss sich grundlegend ändern“.

Naturschützer schließen Klage vor Europäischem Gerichtshof nicht aus

„Deutschland hat sich gegenüber der EU verpflichtet, den guten Zustand seiner Gewässer und Vogelschutzgebiete wiederherzustellen und zu erhalten“, sagt Siegert. Das Naturschutzgebiet Elbe sei ein EU-rechtlich geschütztes Fauna-Flora-Habitat-Gebiet. Die Umweltschützer wollen jetzt die EU-Kommission einschalten, in letzter Konsequenz werde auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof nicht ausgeschlossen.

Die im Rahmen der Elbvertiefung ausgebaggerte Fahrrinnentiefe dürfe „nicht auf Kosten von Stint, Seeschwalbe und des ganzen Lebens in der Elbe“ aufrechterhalten werden: „Es wird Zeit, dass wir Verantwortung für die Arten und Lebensräume vor unserer Haustür übernehmen.“

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