TAbschiebungen kaum durchzusetzen: So ist die Lage im Kreis Stade

Der grausame Tod von drei Menschen bei einem Stadtfest in Solingen hat eine bundesweite Debatte um das Asylrecht ausgelöst. Foto: Federico Gambarini/dpa
Wie funktioniert die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Kreis Stade? Die Debatte nach der Attacke in Solingen deckt auf, wie hilflos die Behörden sind.
Landkreis. „Wer sich einer Abschiebung entziehen möchte, muss nicht viel mehr tun, als in der Unterkunft im Nachbarzimmer bei einem anderen Bewohner zu sitzen, das wir dann nicht betreten dürfen“, schildert Stades Landrat Kai Seefried. Der Rechtsstaat dürfe sich an dieser Stelle nicht vorführen lassen. „Wir benötigen endlich pragmatische Regelungen“, sagt Seefried gegenüber dem TAGEBLATT.
Schutz und Sicherheit für ukrainische Kriegsflüchtlinge
Die Zahl der Menschen, die in den Landkreis Stade geflüchtet sind, ist die höchste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den dadurch ausgelösten Fluchtbewegungen. Die Lage hat sich in den vergangenen beiden Jahren verschärft. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Lage grundlegend verändert.
„Wir sind froh, dass wir so vielen Menschen aus der Ukraine bei uns Schutz und Sicherheit bieten können“, sagt Seefried: „Doch wir erleben seit Jahren, dass viele Menschen zu uns kommen, die keine Bleibeperspektive haben, weil sie aus sicheren Herkunftsländern kommen.“
So viele Menschen sind in den Landkreis gekommen
Das sind die Zahlen für den Landkreis Stade: 7529 Menschen gehören aktuell zur Gruppe der Flüchtlinge und Vertriebenen. Ihr Status ist sehr unterschiedlich. Rund 3100 Menschen kommen aus der Ukraine. Diese Kriegsflüchtlinge sind aufgrund der EU-Massenzustrom-Richtlinie als schutzberechtigt anerkannt.
Den höchsten Asylstatus haben im Landkreis Stade 15 Menschen. Das sind Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern persönlich bedroht werden. Der inzwischen in einem russischen Arbeitslager verstorbene Oppositionelle Alexej Nawalny hätte in diese Kategorie gehört.
Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiärer Schutz
Eine deutlich größere Gruppe - 1318 Menschen - dürfen aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention hier sein. Weitere 1409 Flüchtlinge genießen den subsidiären Schutz. Dieser greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können, aber im Herkunftsland ernsthafter Schaden für den Einzelnen droht.
Der mutmaßliche Attentäter von Solingen gehört in diese Gruppe. Von den rund 2100 syrischen Flüchtlingen im Landkreis Stade gehört ein Großteil zu den beiden letztgenannten Kategorien.
689 Menschen sind hier, weil in ihre Herkunftsländer bisher nicht abgeschoben werden darf. Größtenteils kommen diese Flüchtlinge aus Afghanistan (551).
Tausend laufende Asylverfahren im Landkreis Stade
Ein laufendes Asylverfahren gibt es für knapp 1000 Menschen im Landkreis Stade. Diese erhalten während des laufenden Verfahrens eine Aufenthaltsgestattung. Menschen aus Syrien (165), der Türkei (148) und Afghanistan stellen hier die größten Gruppen.
Zu den benannten Flüchtlingszahlen kommen noch einmal 448 Menschen im Landkreis dazu. Sie gehören zur Gruppe der Geduldeten und stellen rund fünf Prozent der Gesamtgruppe. Um sie geht es größtenteils in der politischen Debatte nach der Bluttat von Solingen. Die meisten im Landkreis - 38 - kommen aus Syrien. Die Türkei (22) und Afghanistan (21) folgen.
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Rund 8000 geflüchtete Menschen bei gut 200.000 Einwohnern im Landkreis Stade: „Das ist natürlich eine große Herausforderung für die Städte und Gemeinden, für die öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Kindertagesstätten“, sagt Seefried.
Die Ausländerbehörde in der Kreisverwaltung ist für diese Menschen zuständig. „Dass wir diese Aufgabe dennoch bisher so gut bewältigen konnten, ist der engen und guten Zusammenarbeit des Landkreises mit den Kommunen und einer starken Unterstützung im Ehrenamt zu verdanken“, so der Landrat.
Ohne Asylgrund in den Aufnahmestellen verbleiben
„Es darf nicht anders sein, als dass diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, unser Land auch wieder verlassen“, sagt Seefried. Grundsätzlich sollten diejenigen, die keinen Asylgrund hätten, gar nicht erst in den Kommunen untergebracht werden.

Landrat Kai Seefried ist der Dienstherr von rund 1000 Beschäftigten in der Stader Kreisverwaltung. Foto: Beneke
„Wir brauchen schnellere Asylverfahren, aus denen heraus bei negativem Ausgang die Personen direkt aus den Landesaufnahmebehörden zurück ins Herkunftsland geführt werden“, sagt Seefried.
Er habe seit vielen Jahren gesagt und auch gewarnt: „Wenn wir diesen Grundsatz nicht einhalten, bekommen wir eine Stimmung in unserem Land, die dazu führt, dass Menschen, die nach unserem Grundgesetz gesichert bei uns Schutz und Sicherheit finden sollen, diesen Schutz nicht mehr finden. Das darf nicht passieren.“
Es darf nicht anders sein, als dass diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, unser Land auch wieder verlassen.
Stades Landrat Kai Seefried
Hinderungsgründe, um eine Abschiebung einleiten zu können, sind Passlosigkeit, Untertauchen, fehlende Abkommen mit Rückführungsstaaten in der Europäischen Union oder fehlende Aufnahmebereitschaft des Heimatstaates. Gründe für gescheiterte Abschiebungen sind ebenfalls Untertauchen, Selbstverletzung, Eilverfahren oder sogar eine Überbuchung des Fliegers.
Olympia und die Fußball-EM senken die Flüchtlingszahlen
Seefried spricht sich auch für Grenzkontrollen unabhängig von sportlichen Großereignissen aus. „In den vergangenen Monaten kamen in Niedersachsen nicht einmal halb so viele Flüchtlinge an wie im Vorjahr. Das ist aus meiner Sicht ein Zeichen dafür, dass die Grenzkontrollen im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft und mit Olympia durchaus etwas bringen.“
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Der Landrat zitiert Marco Trips, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, der in dieser Woche klare Worte fand: „Alle derzeitigen Ankündigungen zu Änderungen im Bereich des Aufenthaltsrechtes und zu mehr Abschiebungen sind nichts anderes als Theaterdonner.“ Kai Seefried sieht das genauso.
Sechs Menschen 2023 in ihre Heimatländer abgeschoben
Die Fakten zum Thema Abschiebung: 2023 konnten aus dem Landkreis elf Menschen in europäische Staaten zurückgebracht werden - die sogenannten Dublin-Überstellungen. Das heißt, die Asylsuchenden sind in diesen Ländern vor ihrer Weiterreise nach Deutschland erstmals in der EU registriert worden. Sechs Menschen wurden in ihre Heimatländer abgeschoben. Die Zahlen für 2024 befinden sich im Trend auf einem vergleichbaren Niveau.

Dezernentin Sabine Brodersen ist für die Ausländerbehörde zuständig: Zu ihren Aufgabengebieten gehören außerdem Recht, Ordnung, Straßenverkehr, Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung. Foto: Beneke
„Ein Problem sind die festgelegten Zeitabläufe. Das Dublin-Verfahren greift nur binnen sechs Monaten. Wenn die Person nicht innerhalb dieses halben Jahres in das Land, über das sie nach Europa eingereist ist, zurückgeführt wurde, dann müssen wir ihr eine Aufenthaltsgestattung erteilen, bis das Asylverfahren in Deutschland abgeschlossen ist“, schildert Kreis-Dezernentin Sabine Brodersen die Problematik. Sie ist für die Ausländerbehörde zuständig.
Rückführungsverbesserungsgesetz hat nichts verbessert
„In unserer Ausländerbehörde arbeiten Menschen, die Recht und Gesetz umsetzen wollen. Das wird ihnen insbesondere im Rahmen von Rückführungen leider immer wieder erschwert“, sagt Brodersen.
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„Das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz hat in der Praxis zwar Voraussetzungen dafür geschaffen, dass zum Beispiel Datenträger ausgewertet oder Wohnungen durchsucht werden dürfen, im Ergebnis hat es die Rückführungsmöglichkeiten aber nicht wirklich verbessert“, so die Dezernentin.
Der Landkreis Stade forciert freiwillige Ausreisen
Weil die Abschiebungen so schwierig zu realisieren sind, setzt der Landkreis Stade verstärkt auf das Thema Reiserückkehrberatung in Zusammenarbeit mit der Awo. Die Zahl der freiwilligen Ausreisen ist von 22 im Jahr 2022 auf 47 im Jahr 2023 deutlich gestiegen. Im ersten Halbjahr 2024 waren es 24 Menschen, die freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind.
„Das große Engagement unserer Kollegen bei der Beratung und Begleitung im Hinblick auf freiwillige Ausreisen zeigt Wirkung. Am Ende ist es auch diese Arbeit, die Akzeptanz schafft für das Asylsystem“, sagt Seefried.

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