TWas auf die Correctiv-Enthüllung im Landkreis folgte – und was die AfD jetzt macht

„Buxtehude steht auf“: Bis zu 2500 Demo-Teilnehmer kamen am 20. Januar in die Altstadt. Foto: Jürgens
Vor einem Monat wurde das nicht-öffentliche Potsdam-Treffen enthüllt. Mittendrin: Der AfD-Vorsitzende im Landkreis Stade. Die Folgen hätte wohl kaum jemand so vorausgesagt. Eine Zwischenbilanz.
Berlin/Landkreis. Am 10. Januar kommt die Nachricht in aller Frühe direkt aufs Handy. „Im November sollen Rechtsextreme in einem Hotel in der Nähe von Potsdam einen Masterplan für massenhafte Abschiebungen aus Deutschland vorgestellt haben“, pusht nicht nur das ZDF kurz nach 6 Uhr. Grundlage ist eine Recherche des Medienhauses Correctiv, genannt „Geheimplan gegen Deutschland“. Die Folge ist ein Beben - auch im Landkreis Stade.
In Kooperation mit dem TAGEBLATT kommt heraus, dass Maik Julitz, Unternehmer aus Buxtehude und Vorsitzender der AfD im Landkreis Stade, an dem Treffen Ende November vergangenen Jahres anwesend war. „Ein weißer SUV aus Stade rollt auf den Hof, aus dem Fenster ballert die Band Frei.Wild: „Wir, wir, wir, wir schaffen Deutschland“, hieß es in dem Correctiv-Artikel. Das Auto, von dem die Rede ist, ist ein Firmenwagen von Maik Julitz.

Dieses Bild löste die TAGEBLATT-Recherche aus: Der weiße BMW-SUV mit Stader Kennzeichen gehört der Firma des AfD-Kreisvorsitzenden Maik Julitz und steht vor dem Gästehaus in Potsdam. Foto: Recherche-Netzwerk Correctiv
Wer die AfD schon eine Weile genauer verfolgt, ist von den Correctiv-Enthüllungen an diesem Morgen nicht sonderlich überrascht. Der Kern: AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der Werteunion berieten am 25. November 2023 in Potsdam mit dem Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner. Der sprach dort nach eigenen Angaben über die sogenannte Remigration. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.
Correctiv-Recherche
T Buxtehuder AfD-Mann war bei konspirativem Treffen zu massenhafter Abschiebung dabei
Fragen und Antworten
Kann man, soll man, darf man die AfD verbieten?
Die wichtigsten Entwicklungen nach einem Monat der Enthüllungen:
Die Protestwelle gegen rechts
Seit einem Monat demonstrieren Hunderttausende überall in Deutschland für Demokratie, gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD. Schon am Tag nach der Veröffentlichung demonstrieren Menschen am Ort des Potsdamer Treffens vom November. Und das ist erst der Anfang. Am 12. Januar ziehen Hunderte vor das Berliner Kanzleramt und fordern ein AfD-Verbot. In den nächsten Tagen sind es Tausende, dann Zehntausende in Köln, Hamburg, München, Berlin. In kleinen Städten und in großen, im Westen wie im Osten. Es ist die größte Demonstrationswelle gegen Rechtsextremismus seit Jahrzehnten.
In Buxtehude haben sich am 20. Januar bis zu 2500 Menschen in der Innenstadt versammelt. Es ist eine machtvolle und fröhliche Kundgebung für Freiheit und Menschenwürde. „Buxtehude ist eine so schöne Stadt, das hat sie nicht verdient“, sagte Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) mit dem Hinweis auf die Buxtehuder Beteiligung am Geheimtreffen in Potsdam.
Kurz vor der Kundgebung kündigte die städtische CDU ihre Teilnahme an. Es gab zuvor Streit um die zuerst verweigerte Teilnahme der Christdemokraten an der Veranstaltung.
Es folgen weitere Kundgebungen im Kreis, unter anderem eine mit rund 1000 Teilnehmern stark besuchte Mahnwache am Holocaustgedenktag in Stade.
Wieso wirkt ausgerechnet diese Recherche so stark
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sieht „Kipppunkte der allgemeinen Wahrnehmung“, die nur scheinbar überraschend kämen. „Es braucht ein brisantes, sofort verständliches, symbolträchtiges Schlüsselereignis - in diesem Fall die Konferenz in Potsdam“, erläutert Pörksen der Deutschen Presse-Agentur. „Nötig ist darüber hinaus die öffentliche Skandalisierung, die die Gesellschaft aufrüttelt und konfrontiert. Und schließlich muss man die Vorgeschichte betrachten, die das Wahrnehmungsklima hintergründig prägt.“
Buxtehude steht auf
T Für Freiheit und Menschenwürde: Organisator von Demo-Ausmaß beeindruckt - CDU doch dabei
TAGEBLATT-Aktion
T Wir zeigen Gesicht für Freiheit und Demokratie
Holocaust-Gedenktag
T Stader Mahnwache: Der dringende Appell der 1000 Menschen
Dazu gehörten „Grenzüberschreitungen“ von AfD-Politikern, das Umfragehoch der Partei, eine schwache Ampel-Koalition und eine kollektive Zukunftsangst im Angesicht von Großkrisen, meint der Medienwissenschaftler. „All das hat im Zusammenspiel eine Stimmungslage geschaffen, die in Richtung einer öffentlichen Positionierung drängt. Die Correctiv-Enthüllungen waren hier so etwas wie der letzte Tropfen.“
Die AfD zieht Konsequenzen
Die AfD hat intern Konsequenzen gezogen und nach außen hin schwere Vorwürfe erhoben. Und die Journalisten von Correctiv werden mal als Helden gefeiert, mal als „Lügner“ verfemt.
Die AfD schasst Roland Hartwig, den persönlichen Referenten von Parteichefin Alice Weidel, der in Potsdam dabei war. Weidel wechselt dann sofort in den Angriffsmodus. Im Bundestag spricht die Partei- und Fraktionschefin von einer „beispiellosen Verleumdungskampagne“ und „unglaublichen Lügen“, sie nennt Correctiv eine „Hilfs-Stasi“ im Dienste der Regierung. Das gemeinnützige, spendenfinanzierte Medienhaus erhält für einzelne Projekte staatliche Mittel, nach eigenen Angaben aber nicht für die Investigativrecherche.

Eine Demonstration unter dem Motto „AfD Verbot prüfen - jetzt!“ vor dem Bundeskanzleramt. Foto: Joerg Carstensen/dpa
Ein Streitpunkt ist, was die AfD mit „Remigration“ meint. Correctiv schreibt als Ziel der Potsdamer Teilnehmer: „Menschen sollen aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertrieben werden können – egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht.“ Der AfD-Politiker Marc Jongen hält dagegen: „Die AfD macht keinen Unterschied zwischen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund.“
Bei Potsdam-Referent Sellner spielen Menschen mit deutschem Pass aber durchaus eine Rolle. In einer E-Mail an die dpa schreibt der Österreicher, es müsse für bestimmte Gruppen eine „Minus-Migration“ geben. Dabei nennt er auch „nicht-assimilierte Staatsbürger“. Nötig seien „Anpassungsdruck“ und „Anreize zur freiwilligen Rückkehr“. Wohin deutsche Staatsbürger „zurückkehren“ sollen, bleibt offen. Sellner bestätigt zugleich die Idee einer „Musterstadt“, die „als Sonderwirtschaftszone in Nordafrika gepachtet und organisiert werden könnte“.
Correctiv kann alle Textpassagen stehen lassen
Trotz aller Lügen-Vorwürfe ist nach Angaben von Correctiv bislang niemand aus dem Kreis des Potsdamer Treffens gegen Inhalte der Veröffentlichung vorgegangen. Es habe nur eine einzige Änderung im ursprünglichen Text gegeben, sagt die stellvertretende Chefredakteurin Anette Dowideit der dpa. „Korrigiert haben wir, dass der Teilnehmer Alexander von Bismarck kein Nachfahre von Otto von Bismarck ist.“ Zwar lägen zwei Abmahnungsschreiben vor, aber: „Unser Rechtsanwalt und wir gehen bislang davon aus, dass wir aufgrund der Schreiben nichts an unserem Artikel ändern müssen.“
Die AfD-Politikerin Gerrit Huy hat Strafanzeige gestellt, wie die Staatsanwaltschaft Potsdam bestätigt. Huy geht aber ebenfalls nicht gegen Inhalte des Artikels vor, sondern gegen eine etwaige Verletzung von Persönlichkeitsrechten. „Mir geht es insbesondere darum, Zugang zu eventuellen Ton- und Bildaufzeichnungen zu erhalten“, schreibt Huy der dpa auf Anfrage. „Ich würde im positiven Fall auf Herausgabe dieser Aufzeichnungen klagen, um insbesondere die Tonaufzeichnungen anschließend öffentlich zu machen.“
Protestwelle
T AfD hetzt im Internet wegen dieses Alster-Fotos
Denn das bleibt eine heiß diskutierte Frage: Woher wusste Correctiv so haarklein von Inhalten des Potsdamer Treffens? Das Medienhaus spricht von „Quellen“ und „Gedächtnisprotokollen“. Die Unterstellung, der Verfassungsschutz habe Informationen geliefert, weisen die Bundesbehörde wie auch Correctiv zurück. „Wir haben keine staatliche Einflussnahme, wir haben keinen Kontakt zum Verfassungsschutz, der uns da irgendwelche Sachen zugespielt haben soll“, sagt Correctiv-Chef Justus von Daniels dem ZDF.
Klar ist, dass das Medienhaus nun enorm bekannt ist. „Wir haben sehr viele neue Zusagen von Einzelspendern bekommen“, sagt Dowideit. Zugleich berichtet Correctiv auch von Hasskommentaren und Drohungen.
Folgen der „Remigrationsdebatte“: Wie geht es jetzt weiter?
Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD könnten eine langfristige Protestbewegung werden, meint der Protestforscher Tareq Sydiq.
Die AfD setzt hingegen darauf, dass die Demo-Welle abflacht. „Wir sehen, dass natürlich gerade medial durch die Regierung aufgeputscht hier die Bevölkerung ein Stück weit aufgewiegelt wird, und das besorgt mich ein Stück weit“, sagt Parteichef Tino Chrupalla bei ntv/RTL. Aber die AfD sei „in Umfragen immer noch stabil über 20 Prozent“.
Tatsächlich lag die AfD im Politbarometer Anfang Februar nur noch bei 19 Prozent, um 3 Punkte niedriger als Mitte Januar. Forsa ermittelte zuletzt 18 Prozent für die Partei. Was das für die Europawahl im Juni oder die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September bedeutet, ist offen. In den drei Bundesländern ist die AfD Nummer eins.