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Vor Einführung

TElektronische Patientenakte: Kinderärzte sagen Nein

Auf einem Bildschirm in der E-Health-Showpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin ist eine elektronische Patientenakte dargestellt. Die ePA soll im ersten Halbjahr 2025 in Deutschland eingeführt werden.

Auf einem Bildschirm in der E-Health-Showpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin ist eine elektronische Patientenakte dargestellt. Die ePA soll im ersten Halbjahr 2025 in Deutschland eingeführt werden. Foto: Jens Kalaene

Die elektronische Patientenakte soll einen Wust an Arztbriefen und DVDs ersetzen. Klingt vernünftig. Doch die Kinder- und Jugendärzte schlagen Alarm. Sie sorgen sich um den Anspruch ihrer Patienten auf Vertraulichkeit.

Von Christoph Heilscher Samstag, 15.03.2025, 20:16 Uhr

Wer nicht widersprochen hat oder noch widerspricht, bekommt automatisch eine elektronische Patientenakte (ePA). Die Krankenkassen haben entsprechende Schreiben schon vor Monaten verschickt. Den Erwachsenen wird bei der ePA das Recht eingeräumt, selbst festzulegen, welche Eintragungen dort gegebenenfalls gelöscht werden. Bei Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von einschließlich 14 Jahren liegt dieses Recht bei den Eltern. Und genau da sehen die Kinder- und Jugendärzte ein Problem.

Die Vertraulichkeit bleibt auf der Strecke

Ein Beispiel: Ein 14-jähriges Mädchen geht zu der Ärztin oder dem Arzt ihres Vertrauens, um sich die Pille verschreiben zu lassen. Ihre Eltern sollen das nicht wissen. Bislang bleibt die Verschreibung eine vertrauliche Angelegenheit zwischen Arzt und Patientin. In der Elektronischen Patientenakte können die Eltern nun einsehen, dass ihre Tochter sich die Pille verordnen lässt, also offensichtlich einen Freund hat. In einer Familie, die das akzeptiert, kein Problem. Aber wenn nicht? Oder wenn sich Mutter und Vater in diesem Punkt nicht einig sind?

Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte hat vom Gesetzgeber Nachbesserungen gefordert, um die Interessen von Kindern und Jugendlichen besser zu schützen. Der Nordenhamer Kinderarzt Dr. Tilman Kaethner war viele Jahre Vorsitzender des Landesverbandes Niedersachsen der Kinder- und Jugendärzte. Auch er spricht sich gegen die ePA in der derzeit geplanten Form aus und fordert, dass die Kassen Jugendliche im Alter von 15 und dann noch einmal 18 Jahren aktiv darauf aufmerksam machen müssten, dass sie die Eintragungen in der ePA löschen können. Dazu sollen die Kassen gesetzlich verpflichtet werden, fordert der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

Sensible Daten sollen gelöscht werden

.„Was vor dem 18. Geburtstag liegt, darf nicht in Beurteilungen einfließen“, betont Tilman Kaethner. Sensible Daten, wie beispielsweise eine zeitweilige Depression in der Jugend, würden ansonsten ohne Überprüfung ins Erwachsenenleben mitgenommen und könnten die Berufslaufbahn oder die Versicherung in der Privaten Krankenversicherung, Haftpflicht etc. negativ beeinflussen, befürchtet er. Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach aufgefordert, entsprechende Korrekturen an der ePA vorzunehmen. Das ist bislang nicht geschehen.

Der Nordenhamer Kinderarzt Dr. Tilman Kaethner ist skeptisch im Hinblick auf die Einführung der elektronischen Patientenakte und fordert Korrekturen.

Der Nordenhamer Kinderarzt Dr. Tilman Kaethner ist skeptisch im Hinblick auf die Einführung der elektronischen Patientenakte und fordert Korrekturen. Foto: Teichmann

Für chronisch kranke Kinder könne die ePA ein Segen sein. Aber bei einer Nutzen-Risiko-Abschätzung werde klar: „Der Schutz von Kindern geht vor, sodass wir nicht guten Gewissens schweigen können und gezwungen sind, nochmals klar vor der ePA bei Kindern und Jugendlichen zu warnen. Bei meinen eigenen Kindern würde ich mich derzeit gegen die ePA entscheiden“, macht auch Dr. Michael Hubmann, Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, deutlich.

Probleme sehen die Kinderärzte auch bei Trennungskindern. Es kommt vor, dass Eltern versuchen, die Kinder gegen den ehemaligen Partner zu instrumentalisieren. Künftig mit Eintragungen aus der elektronischen Patientenakte? Die Vertraulichkeit werde zerstört, warnen die Kinderärzte. Ein Beispiel: Eine Mutter berichtet dem Arzt, dass es dem Kind nach dem Wochenende beim Vater nicht gut geht. Bisher werden solche Informationen vertraulich in der Arztdokumentation festgehalten. Jetzt landet die Information in der elektronischen Patientenakte und kann zu weiterem Streit führen und gerichtliche Auseinandersetzungen zur Folge haben.

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Verdacht auf Missbrauch und die Folgen

Oder bei Verdacht auf Missbrauch: Dieser Verdacht wird der Polizei, dem Jugendamt, der Jugendhilfe oder der Kinder- und Jugendarztpraxis bekannt. Keine dieser Institutionen könne sicherstellen, dass auf schnellstem Wege dem Vater die Zugriffsrechte auf die ePA, einschließlich Informationen zu einem neuen Wohnort, entzogen werden, warnt der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte.

Der Verband möchte für Kinder und Jugendliche die Regelung abschaffen, dass die ePA automatisch angelegt wird, wenn die Eltern nicht aktiv widersprechen. Dieser Automatismus müsse ersetzt werden durch eine aktive Entscheidung für die ePA durch die Erziehungsberechtigten, gegebenenfalls nach Beratung durch eine Ärztin oder einen Arzt, sind die Kinder- und Jugendärzte überzeugt.

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