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Festnahme

TTanzgruppe und Karneval: So offen zeigte sich RAF-Terroristin Klette bei Facebook

Dieses Foto von sich soll Daniela Klette im Jahr 2011 zeigen.

Dieses Foto von sich soll Daniela Klette im Jahr 2011 zeigen. Foto: Screenshot/Facebook/Claudia Ivone

Dass Daniela Klette in Berlin-Kreuzberg gefasst wurde, warf Fragen auf. Warum versteckt sich ein früheres RAF-Mitglied mitten in Deutschland – und offenbar niemand merkt‘s? Im Internet finden sich viele Hinweise auf ihre Identität.

Von Andreas Rabenstein Donnerstag, 29.02.2024, 13:04 Uhr

Berlin/Hannover. Ausgerechnet Kreuzberg, wohl der bekannteste Stadtteil einer deutschen Großstadt im Zusammenhang mit linker Szene und Linksextremismus. Hier steht das Haus, in dem die gesuchte frühere RAF-Terroristin Daniela Klette viele Jahre wohnte und am Montagabend von der Polizei gefasst wurde. Es ist ein unauffälliges dunkles Mietshaus aus der Nachkriegszeit in der abseits liegenden Sebastianstraße, keiner der in der Szene so beliebten Altbauten.

Aber trotzdem nah an den legendären Orten des linksalternativen Bezirks: Oranienstraße, Kottbusser Tor, Mariannenplatz - in Büchern von Sven Regener oder Liedern von Ton Steine Scherben vielfach beschrieben. Am Dienstag und Mittwoch untersuchte die Polizei die Wohnung, immer wieder trugen vermummte Polizisten in Zivil, zum Teil mit BKA-Jacken, große Kartons hinein.

Hier lebte Klette im obersten Stockwerk im angeblichen Untergrund.

Hier lebte Klette im obersten Stockwerk im angeblichen Untergrund. Foto: Annette Riedl/dpa

RAF-Terroristin Klette hat eigenes Facebook-Profil

Über Jahrzehnte stand Kreuzberg für Kneipenszene, besetzte Häuser, Straßenschlachten am 1. Mai und den ersten direkt gewählten Grünen-Bundestagsabgeordneten. Sympathien und Unterstützung für alles, was links bis linksradikal ist, gehört sozusagen zur DNA der vergangenen Jahrzehnte.

Dass Klette ausgerechnet in diesem Kiez so lange unerkannt unter falschem Namen „Claudia Ivone“ und mit einem italienischen Pass leben, arbeiten und in deutsch-brasilianischen Tanzgruppen aktiv sein konnte, mutet wie ein Klischee an.

Tatsächlich reagierte schon kurz nach der Meldung über Klettes Festnahme die Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.“ Der „Tagesspiegel“ zitierte einen Nachbarn, der seine Sympathie nicht verbirgt: „Da habe ich jahrelang neben der Genossin gewohnt, das gibt’s ja nicht“. Seine Abschiedsparole lautet: „Rotfront“.

Hier nahe der Oranienstraße in Kreuzberg lebte die frühere RAF-Terroristin.

Hier nahe der Oranienstraße in Kreuzberg lebte die frühere RAF-Terroristin. Foto: Annette Riedl/dpa

Was Daniela Klette bei Facebook teilte

Klettes sichtbare Verknüpfungen auf ihrem Facebook-Profil führen zu bekannten linken Gruppen und Initiativen für Einwanderer: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bündnis gegen Rassismus, Reach Out, Integration aktiv, Werkstatt der Kulturen.

Sympathiebekundungen kommen nach ihrem Auffliegen auch aus der Szene. Das Bündnis „Revolutionärer 1. Mai“ teilt bei X (früher Twitter) einen Post mit einem weinenden Smiley: „Damn it. Heute wurde in Berlin eine Genossin nach 30 Jahren Untergrund festgenommen.“ An einer Straßenecke in Kreuzberg hängt am Mittwoch ein Transparent: „Viel Kraft an Daniela Klette“. Auch das linke Hamburger Zentrum Rote Flora grüßt mit einem großen Banner.

Ein Banner mit der Aufschrift „Wir stehen zusammen! Für Euch Gesundheit & Glück!“ hängt an der Roten Flora in Hamburg.

Ein Banner mit der Aufschrift „Wir stehen zusammen! Für Euch Gesundheit & Glück!“ hängt an der Roten Flora in Hamburg. Foto: Steven Hutchings/TNN/dpa

Verriet ihre Capoeira-Begeisterung die frühere RAF-Terroristin?

Großen Raum nimmt auf Klettes mutmaßlichen Profil die afrobrasilianische Kultur- und Tanzszene ein. Ankündigungen zahlreicher Festivals und Workshops von 2013 bis 2019 sind zu sehen, ebenso vier Urlaubsfotos, nach den Aufschriften auf den T-Shirts offenbar von einem Tanzfest in Brasilien. Zeitungen spürten inzwischen weitere mutmaßliche Fotos von Klette in Berlin auf. Ein Bild zeigt 2019 eine weißhaarige Frau in einer gut gelaunten Capoeira-Gruppe (Kampf- und Tanzsportart).

Die „Welt“ fand ein Bild, auf dem eine Frau einer Tanzgruppe beim Karneval der Kulturen 2011 in Kreuzberg aussieht wie Klette.

Der Podcast „Legion“ der Sender NDR und RBB fand bereits im Dezember 2023 bei der Suche nach Daniela Klette eine Frau in Tanzgruppen in Berlin. Die Journalisten gingen einem Hinweis in Köln nach. Ein junger Mann berichtete, eine Frau aus der linken Internet-Aktivistengruppe „Anonymous“ habe 2017 bei einer Feier ihre Zugehörigkeit zur RAF gestanden. Ein Spezialist durchsucht daraufhin mit Hilfe spezieller Programme und alter Fotos von Klette das Internet und stößt auf die Tanzgruppen in Berlin. Die Podcaster befragen den Capoeiraverein, aber die Frau wurde zuletzt 2019 gesehen.

Auf die Bilder könnten auch BKA und LKA gestoßen sein - entweder über eigene Recherchen oder den Podcast. Ob sie letztlich zu Klettes Entdeckung führten, ist bislang nicht bekannt. Die Sendung „Aktenzeichen XY“ von Mitte Februar war es nicht, so die Polizei. Zu der Zeit habe man Klette bereits seit vielen Wochen observiert.

Granate im Haus – Waffen gefunden

Im Haus fand die Polizei inzwischen Waffen. Am Mittwochnachmittag räumte die Polizei zudem den Block wegen einer möglichen Gefahr. Alle Bewohner mussten ihre Wohnungen verlassen. Der Gehweg wurde gesperrt. Später trug ein Polizist vom Kampfmittelräumdienst eine Granate aus dem Haus, die unschädlich gemacht wurde. „Es sieht aus wie eine Mörsergranate, ist aber keine, kommt dem aber ganz nah“, sagte ein Polizist.

Schon nach der Festnahme hatte die Polizei unter anderem Magazine einer Waffe und Patronen gefunden. Die Waffen wurden anfangs noch nicht entdeckt.

RAF-Terroristin Klette lebt als Claudia Ivone in Kreuzberg

Ob Klette nun wegen einer möglichen linksradikalen Unterstützerszene in Kreuzberg lebte oder weil ihr der Alternativkiez mit Kneipen, Flüchtlingsinitiativen, brasilianischen Tanzgruppen und Straßenkarneval mehr Heimat bot als eine anonyme Hochhaussiedlung am Stadtrand - darüber lässt sich bislang nur spekulieren.

Nachbarn schildern „Claudia“ als freundliche, grauhaarige Frau Mitte 60 mit einem langen Zopf. Sie soll Schülern privaten Nachhilfeunterricht in Mathematik gegeben und ihm zu Weihnachten Kekse geschenkt haben, erzählt einer. Eine Jugendliche berichtet, sie hätten sich immer freundlich gegrüßt, nur der große Hund der Nachbarin habe ihr Angst eingejagt. Mehr Kontakt habe es nicht gegeben.

Vielleicht kam Klette vor 20 Jahren zufällig an diese Wohnung: unauffällig und anonym genug für einen Rückzug - und zugleich günstig gelegen mit Anschluss an ihre Welt. Das Leben mit falscher Identität und den Zielfahndern des Bundeskriminalamtes hinter sich, dürfte an allen Orten gleichermaßen Stress bedeuten.

Ex-RAF-Terroristin Klette schweigt –- Komplizen noch frei

Mehr als 30 Jahre lebte sie im Untergrund, jetzt soll Klette die Fahnder auf die Spur ihrer Komplizen Ernst-Volker Staub (69) und Burkhard Garweg (55) bringen. Beim zuständigen Ermittlungsrichter am Amtsgericht Verden machte Klette zu den Vorwürfen keine Angaben, wie eine Sprecherin des niedersächsischen Justizministeriums sagte.

Die Staatsanwaltschaft Verden wirft den drei ehemaligen Mitgliedern der linksterroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) versuchten Mord und eine Serie schwerer Raubüberfälle in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zwischen 1999 und 2016 vor. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Beschuldigten die Taten begangen haben, um an Geld für ihr Leben im Untergrund zu kommen.

Wie dicht die Fahnder inzwischen Staub und Garweg auf den Fersen sind, ist unklar. Aus „ermittlungs- und einsatztaktischen Gründen“ gab das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen zunächst keine weiteren Details bekannt.

Medien: Daniela Klette in JVA Vechta gebracht

Die niedersächsischen Behörden äußerten sich zunächst nicht zu der Frage, in welche Justizanstalt Klette gebracht wurde. Eine Sprecherin des Justizministeriums führte Sicherheitserwägungen an. Sie wollte sich auch nicht dazu äußern, ob Klette etwa in Einzelhaft sitze. Sie habe auch keine Erkenntnisse, ob Klette zur Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe gebracht werden sollte.

Nach Medienberichten sitzt die 65-Jährige im Frauengefängnis Vechta in Untersuchungshaft.

Nach unbestätigten Medienberichten soll Klette in der JVA Vechta in U-Haft sitzen.

Nach unbestätigten Medienberichten soll Klette in der JVA Vechta in U-Haft sitzen. Foto: Jörn Hüneke/dpa

Kronzeugenregelung für Daniela Klette?

Der frühere Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger ist überzeugt davon, dass die früheren RAF-Terroristen ein Netzwerk von Helfern gehabt haben müssen. „Wir haben das bei allen RAF-Generationen erlebt, dass es jede Menge Unterstützer gab, die etwa Unterschlupf angeboten haben“, sagte Pflieger der Deutschen Presse-Agentur. Er war in den 1980er Jahren an mehreren RAF-Ermittlungen und Anklageschriften beteiligt. „Manche Dinge wie Arztbesuche und andere Dinge des täglichen Lebens sind nur schwer zu erledigen ohne eine solche Hilfe. Es gab sicher Hilfe.“

Der frühere Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger.

Der frühere Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger. Foto: Marijan Murat/dpa

Pflieger rechnet nicht damit, dass Klette die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen wird, um Namen zu nennen. „Die Tradition der RAF zeigt, dass die Leute zu 99 Prozent versucht haben, das Schweigegebot einzuhalten“, sagte der Terrorexperte. „Ich habe die Sorge, dass sich Frau Klette daran hält.“ Dennoch sollte der Staat die festgeschriebene Kronzeugenregelung weiter offensiv anbieten, damit die früheren Terroristen ihre Geheimnisse offenbaren. „Es muss uns wichtig sein, die bislang offenen Fragen zu den Attentaten und Opfern zu beantworten“, sagte Pflieger. „Wenn wir kein Zugeständnis machen, werden wir die historische Wahrheit vielleicht nie erfahren.“

Klette wird Sprengstoffanschlag vorgeworfen

Konkret wird Klette zur Last gelegt, gemeinsam mit den noch gesuchten RAF-Terroristen Staub und Garweg im März 1993 einen Sprengstoffanschlag auf die im Bau befindliche Justizvollzugsanstalt (JVA) Weiterstadt in Hessen verübt zu haben. Durch die Explosion war an dem Gebäude ein Schaden von rund 123 Millionen D-Mark entstanden.

Klette soll darüber hinaus mit weiteren RAF-Mitgliedern versucht haben, im Februar 1990 einen Sprengstoffanschlag auf ein Gebäude der Deutschen Bank im hessischen Eschborn zu verüben. Der Sprengstoff detonierte nicht, da die Zündung versagte. Außerdem hatte Klette Erkenntnissen der Ermittler zufolge im Februar 1991 mit RAF-Mitgliedern mindestens 250 Schüsse auf die US-Botschaft in Bonn-Bad Godesberg abgegeben.

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