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Festnahme

Mathe-Nachhilfe und Kekse: Was Nachbarn über RAF-Terroristin Klette sagen

Polizisten stehen am Eingang eines Mehrfamilienhauses in Stadtteil Kreuzberg, während ein Polizist in Schutzanzug an einem Absperrband steht. Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette (65), ist in Berlin gefasst worden.

Polizisten stehen am Eingang eines Mehrfamilienhauses in Stadtteil Kreuzberg, während ein Polizist in Schutzanzug an einem Absperrband steht. Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette (65), ist in Berlin gefasst worden. Foto: Paul Zinken/dpa

Getarnt als „Claudia“ lebte die seit mehr als 30 Jahren gesuchte RAF-Terroristin Daniela Klette mitten in Berlin. Jetzt ist die 65-Jährige spektakulär aufgeflogen. Die Nachbarn ahnten nichts. Die RAF-Taten sollen dabei bis nach Stade führen.

Von Frank Christensen Dienstag, 27.02.2024, 19:00 Uhr

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Berlin/Verden/Hannover. Sie soll sich Claudia genannt, Mathe-Nachhilfe gegeben und zu Weihnachten Kekse verschenkt haben: Doch die freundliche Nachbarin in Berlin-Kreuzberg heiße in Wirklichkeit Daniela Klette und sei die lange gesuchte Ex-RAF-Terroristin, zeigten sich die Ermittler am Dienstag in Hannover überzeugt. Die 65-Jährige selbst bestreite das auch nicht. Anhand ihrer Fingerabdrücke sei es gelungen, sie zu identifizieren. Ihr werden sechs Raubüberfälle zur Last gelegt, die demnach noch nicht verjährt sind.

Zielfahnder waren jahrelang im In- und Ausland Tausenden Hinweisen nach einem flüchtigen RAF-Trio nachgegangen. Die Ermittler hoffen, nach der Festnahme von Klette auch auf die Spur von Burkhard Garweg (55) und Ernst-Volker Staub (69) zu kommen, dem Rest des Trios. Es gebe bereits eine weitere Festnahme in Berlin, berichteten sie am Dienstag.

Das undatierte Fahndungsfoto zeigt die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette (heute 65 Jahre alt). Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion ist in Berlin gefasst worden.

Das undatierte Fahndungsfoto zeigt die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette (heute 65 Jahre alt). Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion ist in Berlin gefasst worden. Foto: Polizei/dpa

Nach mehr als 30 Jahren: Ex-RAF-Terroristin Klette gefasst

Zahlreiche Kamerateams verfolgen die Szenerie. Die Festnahme nach mehr als 30 Jahren Fahndung war bereits am Montagabend erfolgt. Das Trio wurde lange im Ausland vermutet, doch die Festnahme Klettes gelang letztlich mitten in Berlin.

Klette lebte in der Berliner Wohnung nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) Hannover unter falscher Identität. Sie habe bei ihrer Festnahme keinen Widerstand geleistet, teilte LKA-Präsident Friedo de Vries mit. Bei der Durchsuchung fanden die Ermittler den Angaben zufolge unter anderem Magazine einer Waffe und Patronen. Eine Waffe sei bislang nicht gefunden worden.

In diesem Mehrfamilienhaus lebte die Ex-RAF-Terroristin Klette.

In diesem Mehrfamilienhaus lebte die Ex-RAF-Terroristin Klette. Foto: Paul Zinken/dpa

Raubstraftaten von Ex-RAF-Terroristin Klette sind nicht verjährt

Gut drei Jahrzehnte hat Klette im Untergrund verbracht. Doch es war nicht die großangelegte Öffentlichkeitsfahndung, die die Ermittler vor einigen Tagen auch mithilfe der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ gestartet hatten und bei der mindestens 250 Hinweise eingegangen waren. Der entscheidende Hinweis stammte bereits aus dem November 2023, verrieten sie.

Klette wird sich nach derzeitigem Stand nicht für die Terroranschläge der RAF vor Gericht verantworten müssen. Aber ihr wird in sechs Haftbefehlen die Beteiligung an jenen sechs Raubüberfällen zur Last gelegt. Die Raubserie startete nach der 1998 erklärten Selbstauflösung der RAF. Dabei ging es um Beschaffungskriminalität für das Leben im Untergrund.

 Ein gepanzertes Fahrzeug der Polizei verlässt in einer Kolonne mit weiteren Polizeifahrzeugen das Amtsgericht.

Ein gepanzertes Fahrzeug der Polizei verlässt in einer Kolonne mit weiteren Polizeifahrzeugen das Amtsgericht. Foto: Sina Schuldt/dpa

RAF-Terroristen: Spur führt auch zum Stader Marktkauf-Überfall

Immer wieder wurde DNA des Trios Klette, Garweg und Staub im Zusammenhang mit Raubüberfällen gesichert, die sie zwischen 1999 und 2016 begangen haben sollen. Schwerpunkte waren Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Bei den Überfällen etwa auf Geldtransporter waren sie schwer bewaffnet - vermutlich konnten sie sich aus den Waffendepots der RAF bedienen.

Immerhin 10 der laut Bundesanwaltschaft 34 Morde der RAF sollen zudem auf das Konto dieser dritten Generation gehen.

Im Fall Klettes beziehen sich die Haftbefehle den Angaben nach konkret auf Taten in Stuhr, Wolfsburg, Hildesheim und Cremlingen in Niedersachsen sowie Bochum und Duisburg in Nordrhein-Westfalen. Sie fanden demnach unter anderem 1999, 2006, 2015 und 2016 statt.

Deutschlandkarte mit Orten der Raubüberfälle mutmaßl. früherer RAF-Terroristen"

Deutschlandkarte mit Orten der Raubüberfälle mutmaßl. früherer RAF-Terroristen" Foto: dpa

Der Raubüberfall in Stade, bei dem 2012 ein Marktkauf ausgeraubt wurde, wurde von den Ermittlern nicht aufgeführt. Die Tat ist noch immer nicht aufgeklärt. Eine Spur hatte zu den ehemaligen RAF-Terroristen geführt.

In Stade waren zwei Männer waren an Heiligabend 2012 in das Kassenbüro des Marktkauf-Centers eingedrungen, hatten drei Angestellte überwältigt und mit dem erbeuteten Geld - mehrere Tausend Euro - in einem silberfarbenen VW-Golf 3 die Flucht ergriffen. Am Steuer, das berichteten Zeugen, soll eine Frau gesessen haben.

Weitere Festnahme in Berlin

Kurz nach der Festnahme von Klette nahmen die Fahnder allerdings in Berlin eine weitere Person fest. Es handele sich um einen Mann im „gesuchten Alterssegment“, sagte LKA-Präsident de Vries. Die Identität des Festgenommenen werde noch geklärt. Es sei nicht sicher, ob sein Ausweisdokument echt sei.

Gegen die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette (65), wurden mehrere Haftbefehle erlassen. Sie befindet sich in Untersuchungshaft.

Gegen die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette (65), wurden mehrere Haftbefehle erlassen. Sie befindet sich in Untersuchungshaft. Foto: Sina Schuldt/dpa

Laut LKA wurde sie am Dienstag mit einem Hubschrauber nach Bremen geflogen und von dort aus weiter zum Amtsgericht Verden gebracht.

Per Hubschrauber nach Bremen gebracht

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht in der Festnahme der ehemaligen RAF-Terroristin auch ein wichtiges Signal an die Opfer der Taten der Roten Armee Fraktion. „Dieser Fahndungserfolg ist das Verdienst jahrzehntelanger unermüdlicher Ermittlungsarbeit. Der Rechtsstaat hat seine Beharrlichkeit und seinen langen Atem gezeigt. Niemand sollte sich im Untergrund sicher fühlen“, wurde Faeser in einer Mitteilung ihres Ministeriums zitiert.

Friedo de Vries (links), Präsident Landeskriminalamt Niedersachsen, und Daniela Behrens (SPD), Innenministerin von Niedersachsen.

Friedo de Vries (links), Präsident Landeskriminalamt Niedersachsen, und Daniela Behrens (SPD), Innenministerin von Niedersachsen. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

„Die Festnahme zeigt, dass sich der lange Atem der Ermittlungsbehörden auszahlt“, sagte auch Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos). „Es war entscheidend, den Verfolgungsdruck aufrechtzuerhalten, um die Bevölkerung vor weiteren schweren Taten zu schützen.“

Nachbar: oberflächlicher Kontakt

Die frühere RAF-Terroristin soll nach Angaben eines Nachbarn unter dem Vornamen Claudia gelebt haben. Um Geld zu verdienen, soll sie privaten Nachhilfeunterricht in Mathematik gegeben haben, erzählte der Nachbar mittleren Alters am Dienstag vor dem unscheinbaren Mehrfamilienhaus. Sie soll dort im 5. Stock rund 20 Jahre gewohnt haben, ist zu hören. Er habe sich öfter mit Klette, die einen anderen Nachnamen nutzte, unterhalten. Zu Weihnachten habe er Kekse von ihr geschenkt bekommen. Klette habe aber nur eher oberflächliche Kontakte zur Nachbarschaft gepflegt.

„Sie hat immer Hallo gesagt und war eigentlich ganz nett“, berichtete eine Jugendliche aus der Nachbarschaft am Dienstag. „Ich habe sie immer nur alleine gesehen mit ihrem Hund und ihrem Fahrrad.“ Vor dem großen Hund der 65-Jährigen habe sie etwas Angst gehabt. Sie selbst sehe ganz freundlich aus, trage die grauen Haare zum Zopf gebunden. Klette sei nie in Begleitung gewesen, schildern mehrere Anwohner.

RAF-Experte Butz Peters hofft auf weitreichende Aufklärung

Klette steht nach dpa-Informationen im Verdacht, an einem Schusswaffen-Angriff auf die US-Botschaft in Bonn 1991 beteiligt gewesen zu sein. Vermutet wird außerdem eine Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt 1993. Spuren deuten darauf hin, dass sie auch bei der Anti-Terror-Aktion 1993 im mecklenburgischen Bad Kleinen am Tatort war. Bei der Aktion starben damals der Polizist Michael Newrzella und der RAF-Mann Wolfgang Grams. Die frühere RAF-Terroristin Birgit Hogefeld wurde verhaftet.

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Der RAF-Experte Butz Peters hofft nach der Festnahme von Klette auf eine weitreichende Aufklärung der Taten der dritten Generation der RAF. „Jetzt besteht die Chance, Licht ins Dunkel der Taten der dritten RAF-Generation zu bringen“, sagte Peters dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er rechne damit, dass die Ermittler der 65-Jährigen nun „die Kronzeugenregelung schmackhaft machen, sagte Peters, der als Anwalt arbeitet und mehrere Bücher über die RAF geschrieben hat. „Dann muss sie sich entscheiden.“

Die undatierten Handouts des Bundeskriminalamtes (BKA) zeigen Fahndungsfotos (oben) und Alterssimulationen (unten) von Burkhard Garweg (l-r), Ernst-Volker Staub und Daniela Klette, Mitglieder der inzwischen aufgelösten terroristischen Vereinigung RAF (Rote Armee Fraktion).

Die undatierten Handouts des Bundeskriminalamtes (BKA) zeigen Fahndungsfotos (oben) und Alterssimulationen (unten) von Burkhard Garweg (l-r), Ernst-Volker Staub und Daniela Klette, Mitglieder der inzwischen aufgelösten terroristischen Vereinigung RAF (Rote Armee Fraktion). Foto: BKA/dpa

Raubüberfälle statt politisch motivierter Taten

Vertreter der dritten Generation der RAF sollen den damaligen Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und den Treuhand-Chef, Detlev Karsten Rohwedder, umgebracht haben. Täter und Motiv sind bis heute jedoch unbekannt. Rohwedder war am 1. April 1991 in Düsseldorf in seinem Haus am Schreibtisch erschossen worden. Das RAF-Kommando reklamierte die Tat für sich. Rohwedder wurde aus einer Kleingartenlage und mehr als 60 Metern Entfernung ins Visier genommen. Es war der letzte Mordanschlag, der der RAF zugeordnet wird.

Die Behörden werfen Garweg, Staub und Klette versuchten Mord und eine Serie schwerer Raubüberfälle zwischen 1999 und 2016 vor. Die Tatorte lagen demnach in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Überfälle nicht politisch motiviert waren. Die Beschuldigten sollen die Taten begangen haben, um an Geld zu gelangen.

Rund 250 Hinweise zu Ex-RAF-Terroristen eingegangen

Zuletzt hat die Staatsanwaltschaft Verden am 14. Februar Hinweise zu früheren Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ erbeten. Daraufhin haben die Ermittler rund 250 Hinweise zu drei früheren Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) erhalten. Darunter waren laut Staatsanwaltschaft Verden 80 anonyme Hinweise.

Das Handout des LKA Niedersachsen zeigt die zweite Seite eines Fahndungsaufrufs aus 2019, mit dem die Polizei nach einem Ex-RAF-Trio sucht.

Das Handout des LKA Niedersachsen zeigt die zweite Seite eines Fahndungsaufrufs aus 2019, mit dem die Polizei nach einem Ex-RAF-Trio sucht. Foto: -/LKA Niedersachsen/dpa

In der Sendung war die Fahndung immer wieder thematisiert worden. Die Festnahme von Klette ging allerdings nicht auf den Fahndungsaufruf in der Sendung zurück.

Nach Ausstrahlung der Sendung hatten schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei im Wuppertaler Hauptbahnhof einen Mann aus einem Zug geholt und festgenommen, weil ein Augenzeuge ihn für einen gesuchten Ex-RAF-Terroristen gehalten hat. Der Verdacht, es handele sich um Ernst-Volker Staub, hatte sich aber nicht bestätig. (dpa)

Polizisten stehen am Eingang eines Mehrfamilienhauses in Stadtteil Kreuzberg, während ein Polizist in Schutzanzug an einem Absperrband steht. Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette (65), ist in Berlin gefasst worden.

Polizisten stehen am Eingang eines Mehrfamilienhauses in Stadtteil Kreuzberg, während ein Polizist in Schutzanzug an einem Absperrband steht. Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette (65), ist in Berlin gefasst worden. Foto: Paul Zinken/dpa

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