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Antisemitismus

TIvar Buterfas ist die letzte Stimme der Holocaust-Überlebenden

Ivar und Dagmar Buterfas-Frankenthal berichteten im Stadeum vor 950 Schülerinnen und Schülern.

Ivar und Dagmar Buterfas-Frankenthal berichteten im Stadeum vor 950 Schülerinnen und Schülern. Foto: Susanne Helfferich

Der Andrang war groß: 950 Schülerinnen und Schüler kamen am Dienstag ins Stadeum. Der 90-jährige Ivar Buterfas-Frankenthal berichtete in Begleitung seiner Frau Dagmar von der schrecklichen Zeit des Holocausts. Und bezog klar Stellung zum aktuellen Konflikt in Nahost.

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Von Susanne Helfferich
Mittwoch, 15.11.2023, 16:30 Uhr

Stade. „Wenn meine Stimme verstummt, wird es keinen mehr geben, der von den Gräueltaten der Nazis erzählen kann“, begrüßt Ivar Buterfas-Frankenthal die Schüler, „vor Euch sitzt der letzte Zeitzeuge, den Ihr befragen könnt.“

Der letzte Vortrag des Holocaust-Überlebenden in Stade ist knapp anderthalb Jahre her - und wieder füllte sein Besuch den großen Saal des Stadeums. Der 1933 in Hamburg geborene Sohn eines Juden und einer Christin war das jüngste von acht Geschwistern. Sein Vater wurde 1934 von der Gestapo abgeholt und am Kriegsende als Überlebender aus dem KZ Sachsenhausen befreit. Die Mutter und die Kinder überlebten den Krieg in Hamburg – hungernd, ohne Lebensmittelkarten, in Kellern unter Ruinen, kaum geschützt vor den Bomben und ihren Mitmenschen, den Nazis.

„Ihr müsst die Demokratie schützen“

Er sei nicht nach Stade gekommen, um Schuldzuweisungen zu machen, erklärt Ivar Buterfas gleich zu Beginn, „ich möchte Euch deutlich machen, dass wir alles, was im Ansatz braun ist, verhindern müssen.“ Braun waren die Uniformen der Nazis. Daran sind Rechtsextreme heute nicht mehr zu erkennen.

„Wir haben eine Pflicht als Deutsche. Unter Hitler-Deutschland sind 17 Millionen Menschen in ganz Europa ermordet worden“, machte der fast 91-Jährige den Schülern deutlich. Damals hätten die Soldaten vom Endsieg geträumt. „Was wäre geschehen, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte?“, so seine Frage und zieht die Konsequenz für die Gegenwart: „Ihr müsst die Demokratie schützen“, fordert er die Jugendlichen auf.

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Wie wichtig das ist, will sein Vortrag zeigen. Es sei nicht so, dass die Deutschen die Gräuel des Nazi-Regimes nicht mitbekommen hätten. „Wir haben das nicht gewusst“ sei eine Lüge. „Natürlich haben die Menschen alles gesehen.“ Vielleicht nicht die Konzentrationslager, aber die Pogromnacht am 9. November 1938, in der überall jüdische Häuser brannten. „Danach mussten Juden mit einem gelben Stern herumlaufen, als Zeichen, dass sie zum Stamme der Untermenschen gehören.“

Bitte an die Schüler, keine „AfD-Idioten“ zu wählen

„Wenn Ihr wählen könnt“, spricht Buterfas die Jugendlichen an, „macht das Kreuz an der richtigen Stelle, wählt keine Partei mit nationalistischem Gedankengut, wählt keinen dieser AfD-Idioten“, und fügt hinzu, „falls ich jetzt eine Anzeige bekomme, bin ich bereit zu einer Auseinandersetzung.“ Er forderte die Schüler auf, hinzusehen, wenn Unrecht oder Mobbing geschähe, nicht wegzuschauen. „Begebt Euch nicht in Gefahr, aber greift zum Handy und informiert die Polizei.“

Als Sechsjähriger wurde Buterfas auf dem Schulhof vom Schulleiter aufgerufen und hörte: „Du bist ein Judenbalg und verseuchst nicht länger unsere Schule.“ Er wollte nach Hause laufen, wurde aber von anderen Schülern eingefangen und schwer misshandelt; unter anderem zündeten sie zu seinen Füßen Papier und Holz an und sangen: Wir werden die kleine Judensau rösten und vernichten. Ein Passant rettete das Kind. Verstört lief er nach Hause und forderte die Mutter auf, zur Polizei zu gehen. Sie sagte nur: Ich werde Dir später erzählen, warum wir nicht zur Polizei gehen. Noch heute träume er von diesem Ereignis, erzählt Buterfas.

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Nach dem Vortrag forderte er die Schülerinnen und Schüler auf, Fragen zu stellen. Eine Schülerin wollte wissen, wie die Familie in ihren Verstecken überleben konnte. „Wir hatten alle Selbstmordgedanken, keine Aussicht auf Zukunft.“ Doch eine Freundin ihrer Mutter hörte „Feindsender“ und versorgte die Familie mit Informationen. „Das war für uns enorm wichtig, dass der Spuk womöglich bald zu Ende ist“, so Buterfas.

Buterfas fordert Zwei-Staaten-Lösung

Auch zum aktuellen Nahost-Konflikt befragte ihn ein junger Mann. Wie er dazu stehe. Die Antwort ist unerwartet deutlich: „Ich finde die Zustände unerträglich. Es ist wirklich an der Zeit, sich an einen Tisch zu setzen, um das Blutvergießen zu beenden und eine Zwei-Staaten-Lösung zu schaffen.“ Selbst wenn die Hamas zerstört werde, würden sich neue Terrororganisatoren bilden. „Dann nimmt das Blutvergießen kein Ende.“

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Er machte aber auch deutlich, dass die Juden seit 2000 Jahren für alles verantwortlich gemacht würden. Seit der Vertreibung aus dem Gelobten Land. Seither gebe es Antisemitismus. Den „fleißigen Israelis“ werde auch geneidet, dass es ihnen gelungen ist, Wüstensand zu blühenden Gärten gemacht zu haben. Dabei leisteten Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft Großes in Medizin, Politik und Wirtschaft, so Buterfas.

Buterfas mahnt: Die Vergangenheit wiederholt sich und erinnert an brennende Häuser in Mölln und Hoyerswerda Anfang der 1990er Jahre und an den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

Zahlreiche Schülerinnen und Schüler lassen sich nach dem Vortrag im Stadeum von Ivar und Dagmar Buterfas-Frankenthal die Lebenserinnerungen der beiden signieren.

Zahlreiche Schülerinnen und Schüler lassen sich nach dem Vortrag im Stadeum von Ivar und Dagmar Buterfas-Frankenthal die Lebenserinnerungen der beiden signieren. Foto: Susannne Helfferich

Wie er es geschafft habe zu verzeihen, fragte ein junge Frau. „Verziehen habe ich längst, aber vergessen werde ich nie.“

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