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THaftbefehl erlassen – Buxtehuder Entführer baute Bombenattrappe

Nach seiner Festnahme am Flughafen Hamburg wird der Buxtehduer Salman E. am Montag dem Haftrichter vorgeführt.

Nach seiner Festnahme am Flughafen Hamburg wird der Buxtehduer Salman E. am Montag dem Haftrichter vorgeführt. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Immer mehr Details zur Entführung des vierjährigen Mädchens und seinem Vater Salman E. kommen ans Licht. Die Aufarbeitung hat der Generalstaatsanwalt in Hamburg übernommen. In Stade berichten Nachbarn von dramatischen Minuten.

Von Redaktion Montag, 06.11.2023, 17:35 Uhr

Stade/Hamburg. Die Polizei Hamburg hat sich am Montagvormittag zunächst mit weiteren Informationen zu dem festgenommenen Buxtehuder Geiselnehmer vom Hamburger Flughafen zurückgehalten. Die Frage, ob der 35-jährige Salman E. aus Buxtehude möglicherweise beim Airport gearbeitet hat und deshalb mit den Örtlichkeiten vertraut war, konnte der Sprecher mit Hinweis auf das laufende Ermittlungsverfahren nicht beantworten.

„Darüber hinaus kann ich auch aus polizeitaktischen Erwägungen keine Auskunft dazu erteilen“, hieß es weiter.

Tochter als Geisel genommen - Haftbefehl gegen Salman E.

Gegen Salman E. ist am Montag Haftbefehl erlassen worden. Das teilte die Staatsanwaltschaft am Nachmittag mit.

Der 35-Jährige ist demnach dringend verdächtig, sich Zugang zur Wohnung seiner Ex-Frau in Stade verschafft und gewaltsam die dort lebende gemeinsame vierjährige Tochter mit einem Mietwagen verschleppt zu haben. Die um Hilfe rufende Ex-Frau, die das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter habe, soll er mit einer halb-automatischen Selbstladekurzwaffe bedroht und dabei einen Schuss in die Luft abgegeben haben.

Am Sonnabendabend hatte der türkische Staatsbürger am Flughafen Hamburg eine Absperrung Bereich des Nordtores durchbrochen und war mit dem Auto aufs Vorfeld des Airports gefahren.

Über den polizeilichen Notruf habe er mitgeteilt, dass er eine Bombe im Fahrzeug habe und für sich und seine Tochter die Ausreise in die Türkei fordere, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit. Der Beschuldigte soll hier drei weitere Schüsse aus der Pistole abgegeben und zwei Brandsätze aus dem Pkw geworfen haben.

Neben der Schusswaffe konnte den Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge eine selbstgefertigte Attrappe eines Sprengstoffgürtels sichergestellt werden. Es habe sich um ein mit Alufolie umwickeltes Buch gehandelt, in das Drähte gesteckt waren.

Nach einem mehr als 18-stündigen Nervenkrieg hatte sich Salman E. am Sonntagnachmittag der Polizei ergeben. Die Geiselnahme ging glücklicherweise unblutig zu Ende. Hintergrund sollen Sorgerechtsstreitigkeiten gewesen sein.

Buxtehuder Geiselnehmer wird Haftrichter vorgeführt

Das Verfahren gegen den Mann hat mittlerweile wegen der besonderen Bedeutung die Zentralstelle Staatsschutz der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg übernommen. „Die Generalstaatsanwaltschaft wird einen Haftbefehlsantrag insbesondere wegen des Vorwurfs der Geiselnahme, der Entziehung Minderjähriger sowie Delikten nach dem Waffengesetz stellen“, sagte Oberstaatsanwaltin Liddy Oechtering.

Der Buxtehuder war nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen in einem Untersuchungsgefängnis untergebracht worden, wie die Polizei mitteilte. Dabei seien Beweismittel sichergestellt, der Mann erkennungsdienstlich behandelt und ihm Blut entnommen worden, erklärte ein Polizeisprecher dazu.

Eine Waffe durfte er nicht tragen. „Der Beschuldigte befindet sich nicht im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis“, bestätigte Oberstaatsanwältin Oechtering.

Zeuge in Stade: Mutter wollte Auto stoppen

Vor der 18-stündigen Geiselnahme ihrer Tochter soll die Mutter laut einem Zeugen noch verzweifelt versucht haben, ihren Ex-Partner zu stoppen. Die Frau habe auf der Straße geschrien und versucht, sein Auto anzuhalten, sagte am Montag in Stade ein Nachbar der Mutter der Deutschen Presseagentur.

Der Mann habe die Frau auf der Udonenstraße fast angefahren, danach sei sie auf der Straße zusammengebrochen. Der 24-Jährige war nach eigenen Angaben Zeuge der Kindesentführung geworden.

Laut Polizei hatte Salman E. am Sonnabend gegen 19.30 Uhr seine von ihm getrennt lebende 38 Jahre alte Ehefrau in Stade aufgesucht und die gemeinsame Tochter in seine Gewalt gebracht. Er habe zweimal mit einer Pistole in die Luft geschossen, das Kind in einen schwarzen Audi gesetzt und sei geflüchtet.

Die 38 Jahre alte Mutter blieb bis auf einen Schock unverletzt.

Stader Nachbarn berichten von dramatischen Szenen

Er habe der Frau helfen wollen, sagte der Zeuge. Sein Bruder habe dann aber geschrien, dass der Mann eine Waffe habe. „Ich war schockiert“, sagte der 24-Jährige. Der Mann habe das Kind ins Auto reingeschoben und sei mit hoher Geschwindigkeit weggefahren. Er habe nicht nur die Frau, sondern auch einen anderen Nachbarn fast angefahren. Die Familie kenne er nicht persönlich.

Die dramatischen Szenen spielten sich Wohnviertel mit rot geklinkerten Mehrfamilienhäusern und Reihenhäusern ab. „Es ist eine ziemlich ruhige Gegend“, sagte der 24-Jährige.

Für die Fahrt zum Flughafen hat Salman E. ein geliehenes Auto genutzt, um eine Absperrung zu durchbrechen und aufs Rollfeld zu fahren. „Das Tatfahrzeug war ein Mietwagen“, sagte Rainer Bohmbach, Sprecher der Polizeiinspektion Stade.

Schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei bereiteten sich am Sonntag am Flughafen auf einen Einsatz vor.

Schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei bereiteten sich am Sonntag am Flughafen auf einen Einsatz vor. Foto: Bodo Marks/dpa

Entführer von Vierjähriger hatte kein Sorgerecht mehr

Salman E. hatte sich den Angaben zufolge bereits Mitte letzten Jahres schon einmal mit seiner Tochter über mehrere Monate unerlaubt in der Türkei aufgehalten. Der Vater sei im Frühjahr 2023 zu einer Geldstrafe von 3600 Euro wegen Entziehung Minderjähriger verurteilt worden, sagte Kai Thomas Breas, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stade, am Montag.

Der Türke habe das Mädchen im März 2022 in seine Heimat mitgenommen. Die Mutter habe Anzeige erstattet, dann aber zunächst versucht, auf anderem Wege die Sache zu regeln. Zunächst sei das Verfahren daher eingestellt worden.

Am 2. September 2022 habe die Frau dann noch einmal Anzeige erstattet, sagte der Behördensprecher. Zuvor hatte im Juli das Familiengericht des Amtsgerichts Stade dem Vater die elterliche Sorge entzogen und das Sorgerecht allein der Mutter übertragen. Die Frau holte ihre Tochter demnach am 17. September aus der Türkei ab und brachte sie zurück nach Deutschland. Der Strafrahmen für die Entziehung Minderjähriger liegt zwischen einer Geldstrafe und bis zu fünf Jahren Haft.

Familie des Geiselnehmers ist Jugendamt bekannt

Die Familie des Geiselnehmers ist dem Jugendamt des Landkreises demnach bekannt. „Nähere Hintergründe können wir aus Gründen des Sozialdatenschutzes und aus Rücksicht auf das Kindeswohl an dieser Stelle nicht mitteilen“, hieß es auf Nachfrage.

Wo sich Mutter und Kind derzeit aufhalten und wie es dem vierjährigen Mädchen geht, wollte die Polizei aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht sagen. Das Kind sei während der 18-stündigen Geiselnahme auf dem Rollfeld des Flughafens aber mit Essen und Trinken versorgt gewesen.

Der Geiselnehmer vom Hamburger Flughafen wohnte in Buxtehude. Seine Wohnung wurde durchsucht.

Der Geiselnehmer vom Hamburger Flughafen wohnte in Buxtehude. Seine Wohnung wurde durchsucht. Foto: Weselmann

Durchsuchungen mit Spürhund in Buxtehude

In Buxtehude war die Wohnung von Salman E. in der Schröderstraße am Sonntagmittag durchsucht worden. Die Polizei war mithilfe der Buxtehuder Feuerwehr über den Balkon in die Wohnung vorgedrungen, um auszuschließen, dass diese präpariert sei, hatte Bohmbach berichtet.

Weil der 35-Jährige brennbare Gegenstände auf das Vorfeld des Flughafens geworfen hatte, wurde zur weiteren Sicherung von Beweismitteln der Spürhund „Besko“ angefordert.

Wie sicher ist der Hamburger Flughafen?

Die Tat hat eine Debatte über die Sicherheit deutscher Flughäfen ausgelöst. Ermittelt werden muss jetzt, warum der Buxtehuder überhaupt die mit Schranken gesicherte Zufahrt durchbrechen und nicht früher gestoppt werden konnte.

Das Tor (links), durch das der Geiselnehmer am Wochenende auf das Vorfeld gefahren sein soll, ist am Montagvormittag geschlossen.

Das Tor (links), durch das der Geiselnehmer am Wochenende auf das Vorfeld gefahren sein soll, ist am Montagvormittag geschlossen. Foto: Bodo Marks/dpa

Als Reaktion will der Hamburger Flughafen sein Sicherheitskonzept erhöhen. „Wir werden weitere bauliche Maßnahmen umsetzen, um mögliche Zugangspunkte zum Sicherheitsbereich zu verstärken“, sagte eine Flughafensprecherin dazu am Montag in Hamburg. Vorfälle wie die Geiselnahme zeigten, dass die Sicherheitskonzepte laufend neu bewertet werden müssen. „Das gilt für die gesamte kritische Infrastruktur, aber eben auch ganz konkret für den Flughafen Hamburg.“

Unter anderem hatte die AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft die Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen kritisiert. „Weihnachtsmärkte und Volksfeste sind stärker gesichert als der Hamburger Flughafen“, sagte der Fraktionschef und innenpolitische Sprecher Dirk Nockemann. „Das ist verwunderlich, denn vor einigen Monaten spazierten Klimakleber bereits auf das Rollfeld und hielten den Betrieb auf.“ Es könne doch nicht sein, dass eine Drahtschere oder eine Autofahrt ausreiche, um den Flughafen lahmzulegen.

Wenige Stunden nach dem unblutigen Ende der Geiselnahme war der Flughafen am Montagmorgen wie geplant in den Normalbetrieb gestartet. Gegen 6 Uhr waren die ersten Maschinen in Richtung Lissabon und Frankfurt am Main abgehoben, wie aus dem im Internet veröffentlichten Flugplan hervorging. Im Anschluss sollten weitere Maschinen eng getaktet folgen. Bereits am Sonntag war der Flugbetrieb nach dem Ende des Polizeieinsatzes gegen 17.30 Uhr wieder angelaufen. Bis Betriebsende war es noch zu Streichungen und Verzögerungen gekommen.

Der Flughafen Hamburg, der mit 570 Hektar so groß ist wie etwa 800 Fußballfelder, ist den Angaben zufolge von 22 Kilometer Zaun umgeben. Dieser Zaun sei bereits stabiler und intensiver gesichert als das Gesetz es vorschreibe. Dort gebe es zwei bis drei Einfahrten für Flughafenmitarbeiter und Dienstleister. Sie alle würden wie die Passagiere auch kontrolliert, bevor sie auf das Gelände dürfen. Auch die Fahrzeuge werden überprüft. „Grundsätzlich sind die Schranken immer geschlossen. Die gehen nur hoch, wenn alles einmal überprüft ist - Mensch und Auto.“

Bund setzt auf Aufklärung des Vorfalls am Flughafen Hamburg

Die Bundesregierung setzt nach der Geiselnahme auf eine Aufklärung des Vorfalls durch die örtlichen Behörden. Grundsätzlich seien die deutschen Flughäfen sehr sicher, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Zugleich würden jeder Vorfall und jede mögliche Gefahr sehr ernst genommen, und man stehe mit Betreibern und Behörden dazu in engem Austausch, machte ein Sprecher des Verkehrsministeriums deutlich. Solche Vorfälle seien zudem Anlass, Sicherheitskonzepte zu hinterfragen, erläuterte eine Sprecherin des Innenministeriums.

Das Bundesinnenministerium dankte den Einsatzkräften und erläuterte, die örtlichen Notfallkonzepte für eine solche Lage hätten gegriffen. Der Ablauf werde Gegenstand von Ermittlungen sein. Generell seien die Betreiber dazu verpflichtet, das Gelände gegen unberechtigten Zugang zu sichern, die Aufsicht darüber liege bei den Ländern. (dpa/st)

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