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T„Rassismus pur“: Streit um Unterbringung von Flüchtlingen im Kreis Stade

Blick in einen Flur der Gemeinschaftsunterkunft im früheren Kreiswehrersatzamt Stade.

Blick in einen Flur der Gemeinschaftsunterkunft im früheren Kreiswehrersatzamt Stade. Foto: Richter

Wohnungsnot: Wohin mit den Flüchtlingen, die anerkannt werden und damit das Wohnrecht in Gemeinschaftsunterkünften verlieren? Das trifft im Landkreis Stade auf 800 Menschen zu.

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Von Karsten Wisser,
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Von Anping Richter
Donnerstag, 27.03.2025, 19:15 Uhr

Buxtehude. Schäbige Denunzierung wohnungssuchender Geflüchteter durch die CDU oder fachgerechte Anfrage an die Landesregierung, um die Fakten zu klären? In scharfer Form kritisieren die Bürgerinitiative Menschenwürde (BI) im Landkreis Stade und der Flüchtlingsrat Niedersachsen eine Kleine Anfrage der CDU im Landtag.

Kritik: Flüchtlinge als Sündenböcke

„Was die CDU, vertreten durch die Landtagsabgeordneten Jan Bauer, André Bock und Birgit Butter, da betreibt, ist Rassismus pur. Die CDU-Abgeordneten machen Geflüchtete verantwortlich für das Versagen ihrer Partei im Bereich des sozialen Wohnungsbaus“, sagt Ingrid Smerdka-Arhelger von der BI Menschenwürde aus Buxtehude. Deutschland fehlten 550.000 Sozialwohnungen. Geflüchtete zu Sündenböcken zu machen und diesen Menschen Bußgelder anzudrohen, weil sie keine Wohnung finden und weiterhin in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften leben müssten, sei purer Zynismus.

Ingrid Smerdka-Arhelger und Barbara Erhardt-Gessenharter von der BI Menschenwürde im Landkreis Stade mit Plakaten der Initiative des Vereins Demopuk zur Förderung demokratischer Politik und Kultur.

Ingrid Smerdka-Arhelger und Barbara Erhardt-Gessenharter von der BI Menschenwürde im Landkreis Stade mit Plakaten der Initiative des Vereins Demopuk zur Förderung demokratischer Politik und Kultur. Foto: Richter

„Ich weise den Vorwurf des ‚Rassismus pur’ persönlich und auch im Namen meiner beiden Landtagskollegen entschieden zurück“, sagt dagegen die Buxtehuder CDU-Landtagsabgeordnete Birgit Butter. Man habe aufgrund der Diskussion in Stade, Bußgelder zu verhängen, eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt. Butter: Wir haben die Faktenlage aufgrund der Zahlen dargestellt, die uns die Landesregierung mitgeteilt hat.“

Die CDU-Landtagsabgeordnete Birgit Butter aus Hedendorf wehrt sich gegen Rassismus-Vorwürfe.

Die CDU-Landtagsabgeordnete Birgit Butter aus Hedendorf wehrt sich gegen Rassismus-Vorwürfe. Foto: Thomas Sulzyc

Rassismus im Wohnungsmarkt

Rassismus ist bei der Suche nach einer Wohnung auf jeden Fall ein Thema. Das berichtet auch Stefanie Schimanski von der Awo-Antidiskriminierungsstelle in Buxtehude: Der Wohnungsmarkt sei ohnehin schwierig. Für Menschen mit Migrationshintergrund gelte dies in besonderem Maße, und die Wohnungssuche dauere oft sehr lange.

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Bei der Wohnungssuche selbst können die Mitarbeiter der Awo auch nicht helfen, sagt Dierk van Dülmen, der Leiter der Awo-Migrations- und Integrationsberatung: „Wir haben keine Wohnungen in der Hinterhand.“ Als Hilfestellung gibt die Awo ein Merkblatt zur Wohnungssuche heraus und weist auf die Suche in Kleinanzeigen und Zeitungen hin.

Hin und wieder sei es vorgekommen, dass sozial eingestellte Vermieter mit der Information, dass sie an Migranten und Geflüchtete vermieten, an die Awo herantraten: „Dann verweisen wir natürlich gerne darauf.“ Besonders schwierig gestalte sich die Suche übrigens für Familien mit vielen Kindern und für Jobcenter-Kunden.

Bleiberecht in Deutschland - nicht im Wohnheim

Im Prinzip ist jede Person mit dem Tag, an dem ein Bleiberecht erteilt wird, verpflichtet, die städtische Unterkunft sofort zu verlassen, erklärt Lona Hollander, Leiterin der Abteilung Soziale Hilfen und Integration in Stade. Sie hat die neue Unterbringungssatzung der Hansestadt Stade eingebracht, die seit dem 1. Januar 2025 die Möglichkeit bietet, eine Strafe von bis zu 5000 Euro zu verhängen, wenn Geflüchtete nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter in einer städtischen Unterkunft wohnen.

Das ist laut einer Antwort der Landesregierung auf die CDU-Anfrage bei 800 Menschen im Landkreis Stade der Fall. Doch wie das Beispiel Stade zeigt, ist es in der Realität schwierig, jemanden zu finden, bei dem eine solche Strafe tatsächlich zur Anwendung kommen könnte. „Wir können ja nicht ab dem ersten Tag sagen: Hau ab. Das geht nicht“, erklärt Lona Hollander. In Stade sei es zum Glück aber noch immer möglich, etwas auf dem freien Markt zu finden.

„Wenn Stade besonders viele Menschen mit Schutzanspruch in Gemeinschaftsunterbringung beherbergt, zeugt das vor allem von einer mangelnden Unterstützung der Betroffenen durch die Kommune“, lautet der Vorwurf von Flüchtlingsrat und BI an die Stadt. Doch in Stade begleiten zwei Mitarbeiter Menschen vom Erstbezug bis zum Auszug. Die Lage sei noch nicht besorgniserregend, sagt Hollander. Es gab im vergangenen Jahr 100 Neuzuweisungen für die städtischen Unterkünfte, aber auch 100 Menschen, die in eigene Wohnungen umzogen. Vor allem Ukrainer fänden in der Regel auch Wohnungen. Insgesamt habe man es mit verschiedenen Gruppen zu tun.

Wer eine Wohnung finden muss

Erstens: Menschen, die zwar ein Bleiberecht, aber eine Wohnsitzauflage haben, Niedersachsen also nicht verlassen dürfen. Oft finden sie eine Arbeit in Hamburg, die dortige Ausländerbehörde zeige aber wenig Lust zur Kooperation: „Die haben schon genug Leute, die eine Wohnung suchen.“

Zweitens: Menschen, die eine Familienzusammenführung wünschen. Dies unterstütze die Stadt nach Möglichkeit. Oft sei Stade übrigens nicht der Erstwunsch.

192 Euro im Monat für einen Platz im Stockbett: Stades Stadtrat Karsten Brokelmann zeigt ein Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft im ehemaligen Kreiswehrersatzamt Stade.

192 Euro im Monat für einen Platz im Stockbett: Stades Stadtrat Karsten Brokelmann zeigt ein Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft im ehemaligen Kreiswehrersatzamt Stade. Foto: Richter

Drittens: Menschen, die Bleiberecht und ein regelmäßiges Einkommen haben. Sie werden aufgefordert, sich etwas Eigenes zu suchen. „Es gibt in den Gemeinschaftsunterkünften einige, die jeden Morgen mit eigenem Auto zur Schicht fahren. Wir haben es nicht für möglich gehalten, aber manche wollen lieber sparen und sagen: Mir reicht ein Platz im Vier-Bett-Zimmer“, berichtet Hollander. Auch der hat seinen Preis, die anfallenden Kosten sind nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu ermitteln. Das Wohnen dort kostet in Stade 192 oder 230 Euro monatlich, abhängig von der Größe der Gemeinschaftsunterkunft.

Das Dilemma ist oft schwer lösbar

Für einen geschmeidigen Übergang hat sich eine Methode bewährt: die Übernahme in ein reguläres Mietverhältnis bei Wohnungen, die bis dahin von der Stadt angemietet wurden. Das klappe gut, wenn das Verhältnis zum Vermieter harmonisch sei.

„Es gibt aber auch Menschen, die werden immer unsere Kunden bleiben“, sagt Hollander. Ohne regelmäßiges Einkommen, bei geringen Fach- oder Sprachkenntnissen oder einem dauerhaft ungeklärten Aufenthaltsstatus sei es schwierig, eine Wohnung zu finden. Die Stadt ist auch für die Unterbringung von Obdachlosen zuständig.

Die Statistik spiegelt diese Erkenntnisse wider: Laut Auskunft der Landesregierung auf die CDU-Anfrage liegt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Gemeinschaftsunterkünften nach Erhalt eines Aufenthaltstitels im Kreis Stade bei zwei Jahren - deutlich höher als in vielen anderen Landkreisen.

Buxtehude: Teuer und begehrt

In Buxtehude gibt es rund 80 Menschen, die in städtischen Sammelunterkünften leben, obwohl sie keinen Anspruch mehr haben. „Im Grunde brauchen wir diese Plätze für die Flüchtlinge, die nachkommen“, sagt Buxtehudes Stadtrat Ralf Dessel. „Wir wissen aber auch, wie schwierig es ist, in Buxtehude eine Wohnung zu finden.“ Die Stadtverwaltung unterstützt die Menschen durch eine Mitarbeiterin bei der Suche nach einer neuen Unterkunft.

Auch das Wohnen in Sammelunterkünften ist in Buxtehude teurer als in Stade, wo mehr Immobilien in öffentlicher Hand sind. Die Kosten pro Platz und Monat in einem der angemieteten Container liegen in Buxtehude bei 500,96 Euro. Bei Gemeinschaftsunterkünften wie der Grothe-Marie-Straße fallen 368,19 Euro pro Person an, das Wohnen in den Holzhäusern in Hedendorf und Heitmannshausen kostet pro Person 204,43 Euro. „Wenn wir ehrlich sind, nützt es uns als Stadt auch wenig, wenn wir das Ausziehen der Menschen erzwingen“, sagt Ralf Dessel. „Dann stehen die Betroffenen im Zweifelsfall als Obdachlose wieder vor unserer Tür.“

Die Hansestadt Buxtehude sucht dringend zusätzliche Unterkünfte für Geflüchtete. An der bestehenden Unterkunft an der Straße Heitmannshausen sollen anfang 2025 zwei zusätzliche Holzhäuser errichtet werden.

Die Hansestadt Buxtehude sucht dringend zusätzliche Unterkünfte für Geflüchtete. An der bestehenden Unterkunft an der Straße Heitmannshausen sollen anfang 2025 zwei zusätzliche Holzhäuser errichtet werden. Foto: Sulzyc

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