TSanieren oder abreißen: Was ist schlechter für das Klima?

Sanieren statt Abriss und Ersatz-Neubau: Die Buxtehude Wohnungsbaugenossenschaft lässt ein Gebäude aus den 1950er Jahren modernisieren. Foto: Weselmann
Forderungen der „Generation Fridays für Future“ erreichen mittlerweile die Architektenszene: Mehr Sanierung und weniger Abriss. Was der Buxtehuder Architekturprofessor Martin Kusic dazu sagt.
Buxtehude. Neubauvorhaben betreibt die Buxtehuder Wohnungsbaugenossenschaft wegen der seit Jahren andauernden hohen Baukosten in Deutschland zurzeit nicht. Zusätzlichen Wohnraum schafft das Unternehmen im eigenen Bestand: In einem 1953 errichteten Gebäude im Süden Buxtehudes ließ sie das Dach ausbauen und sanieren. Balkone wurden angebaut. Mit Strom betriebene Wärmepumpen ersetzen die früheren Gas-Etagenheizungen. Sanieren statt neu zu bauen also.
Bisher ist das Selbstverständnis der Architektenszene vom Entwerfen und vom Neubauen geprägt. Mittlerweile erreichen Forderungen der „Generation Fridays for Future“ nach Klimaschutz die Branche, Akademien und Hochschulen.
Sanierung gewinnt in der Architektenbranche an Bedeutung
Die Bewegung Architects for Future setzt sich für einen Wandel in der Baubranche ein. Eine ihrer zentralen Forderungen lautet: Verlängert die Lebensdauer von Gebäuden, anstatt sie abzureißen! Architects for Future schlägt vor, die Sanierungsquote bei Gebäuden von einem auf mindestens vier Prozent zu steigern.
Eine der größten Chancen für die Klimawende im Gebäudebereich läge daher in den Nachkriegsbauten der 1950er bis 1970er Jahre: Diese Gebäude mit hohem Energieverbrauch machen etwa 40 Prozent des Bestands aus. Sie seien laut Architects for Future vergleichsweise einfach zu Niedrigstenergiegebäuden zu sanieren.

Die Grafik zeigt, wie viel Kohlendioxid (CO2) die unterschiedlichen Heizungstypen ausstoßen. Foto: LBS Infodienst Bauen und Finanzieren
Die Forderung nach mehr Gebäudesanierungen beruhen auf einer Erkenntnis, die zunehmend Bedeutung erlangt: Neben dem eigentlichen Energieverbrauch des Gebäudes müsse die sogenannte graue Energie einbezogen werden. Dann punkte in der Bilanz die Sanierung im Vergleich zum Abriss und Ersatz-Neubau.
Bauen verbraucht viel Energie
Die sogenannte graue Energie bezeichnet die Energiemenge, die beim Bauen aufgewendet und verbraucht wurde. Die graue Energie steckt in der Bausubstanz.
Dagegen ist Bauen energieintensiv: Die Herstellung von Zement benötigt große Mengen an Energie. Der hohe Energieverbrauch führt wiederum zu einem hohen Ausstoß an C02 in die Atmosphäre. Schwere Baumaschinen und Lkw verbrauchen viel Kraftstoff, in der Regel Diesel.
Investition
T Was bei der Sanierung von alten Häusern zu beachten ist
„Die Bedeutung der Sanierung von Gebäuden im Landkreis Stade wird in Zukunft definitiv zunehmen“, sagt der Buxtehuder Architekt Christoph Frenzel. Er begründet das mit dem Klimaschutz, der Energieeffizienz und dem zunehmenden Ressourcenverbrauch. Bauen verbraucht Kies, Sand, Ton und Erze, aus denen Metalle gewonnen werden.
Mit dem Abriss von Gebäuden graue Energie zu vernichten, das hält auch der Professor für Architektur Martin Kusic für falsch. Der 53-Jährige lehrt an der Hochschule 21 in Buxtehude. Er betreute 2022 Studenten und Studentinnen, die in einem Wettbewerb des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung den ersten Platz belegten und zwei weitere Preise gewannen.

Prof. Martin Kusic lehrt an der Hochschule 21 in Buxtehude Bauphysik, Gebäudetechnik und Entwerfen. Er sagt: "Die Party des Neubaus ist vorbei!" Foto: Sulzyc
Anhand eines Quartiers in Buxtehude entwickelten die Studenten und Studentinnen ein Konzept, wie die Gebäude aus den 1970er Jahren saniert und energetisch auf den neuesten Standard gebracht werden könnten.
Plattenbauten, Außenwände und Geschossdecken aus Stahlbeton, kaum Dämmung, die Flachdächer leer und ungenutzt - die Studentinnen und Studenten haben bewiesen, dass sich auch so ein Gebäudebestand sanieren und mit Sonnen- und Windenergie versorgen lässt.
Zur Modernisierung von Schulzentren, Kitas und Sporthallen aus den 1970er und 1980er Jahren sei Abriss und Ersatzbau nicht die einzige Lösung. „Wir haben das Wissen, um die Betonarchitektur der 1970er Jahre in Nutzung zu halten“, sagt Prof. Martin Kusic.
Der Altbau der Sparkasse Harburg-Buxtehude an der Bahnhofstraße in Buxtehude hätte nicht dem Abriss zum Opfer fallen müssen, nennt Kusic ein Beispiel. Die Betonstruktur zu gestalten, hätte Freude bereitet, sagt er.

Das Foto aus dem Jahr 2021 zeigt den inzwischen abgerissenen Altbau der Sparkasse Harburg-Buxtehude an der Bahnhofstraße in Buxtehude. Foto: Richter
Architects for Future schlagen die Einführung einer Abrissgenehmigung vor. Bauherren müssen dann nachweisen, dass der Abriss klimatechnisch sinnvoll sei. Das würde die Sanierung attraktiver machen. Von Gebäuden unter Denkmalschutz abgesehen, dürfe man in Deutschland im Moment alles abreißen, was man möchte, beklagt die Initiative.
Die renommierte Vereinigung Bund Deutscher Architekten zeigt sich mittlerweile auf Erhalten und Bauen im Bestand erpicht. Professor Martin Kusic ist überzeugt: „Die Party des Neubaus ist vorbei.“
Gründe, die gegen eine Sanierung sprechen
Technisch ist vieles möglich. Aber wer ein Gebäude saniert, muss mit einer bekannten Hürde rechnen: Die Erfüllung von Bauvorschriften, die heute gelten. Eine penible Normüberprüfung zum Beispiel der Arbeitsstättenverordnung kann dem Ziel der Nachhaltigkeit entgegenstehen: Deckenhöhen in Büroräumen oder die Größe von Büros sind auf den Zentimeter genau vorgeschrieben.
Eigentümer entscheiden sich deshalb lieber, ihr Gebäude abzureißen, weil es bei Neubauten einfacher erscheint, die Bauvorschriften zu erfüllen.
Tag der Bauwirtschaft
T Expertenrunde in Buxtehude: Kann es bezahlbares Wohnen noch geben?
Was für das Klima das Beste ist, ist nicht immer das preisgünstigste. Architekt Christoph Frenzel nennt drei Faktoren, die eine Gebäudesanierung bezahlbar machen: staatliche Förderung, Einsparungen bei Heiz- und Energiekosten und moderne Technik.
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T Stader Energieberater gibt Tipps: So spart man Energie und Kosten
„Durch moderne Technologien wie bessere Dämmstoffe und effizientere Heizsysteme lassen sich heute viele Sanierungsmaßnahmen kostengünstiger umsetzen als noch vor einigen Jahren“, sagt Christoph Frenzel. Oft seien Gebäude aus den 1970er Jahren solide gebaut und könnten mit vertretbarem Aufwand modernisiert werden.
Der erfahrene Architekt zeigt eine klare Haltung: „Aus meiner Sicht ist mehr Sanierung notwendig, um den steigenden Anforderungen an Energieeffizienz und Nachhaltigkeit und somit CO2-Einsparung gerecht zu werden.“

Die Grafik zeigt die Altersstruktur des deutschen Wohnbestands. Der Sanierungsbedarf ist groß: Vier von fünf Immobilien sind nicht auf aktuellem energetischem Stand. Foto: LBS Infodienst Bauen und Finanzieren