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Frostschutz

TBeeindruckendes Schauspiel: Eis wärmt Blüten der Apfelbäume im Alten Land

Blick am Dienstagmorgen von der A-26-Anschlussstelle Jork in Richtung Estebrügge und Hamburger Hafen. In den Obstplantagen laufen die Frostschutzberegnungsanlagen.

Blick am Dienstagmorgen von der A-26-Anschlussstelle Jork in Richtung Estebrügge und Hamburger Hafen. In den Obstplantagen laufen die Frostschutzberegnungsanlagen. Foto: Vasel

Die Obstbauern haben in der Nacht zu Dienstag die Frostschutz-Beregnungsanlagen in Gang gesetzt, um die Apfelernte an der Niederelbe zu sichern. Die Frage: Haben sie dadurch auch einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz im Süden?

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Von Björn Vasel
Mittwoch, 24.04.2024, 08:30 Uhr

Altes Land. Die Obstbauern an der Niederelbe haben in der Nacht zu Dienstag das zweite Mal in diesem Frühling ihre Frostschutzanlagen angeworfen. „Fast flächendeckend“, sagt der stellvertretende Leiter des Obstbauzentrums Esteburg in Moorende, Dr. Matthias Görgens. Das Thermometer war in der Marsch auf bis zu minus 3 Grad Celsius gefallen. Ab Mitternacht liefen die Pumpen, gegen 8 Uhr seien die letzten abgestellt worden.

„So eine Eisbildung bis in den Kopf der Bäume hinein, das habe ich - bei Vollblüte - so noch nicht erlebt“, sagt Görgens Kollege Dr. Dirk Köpcke. Das sei „ungewöhnlich“. Die Blüte hat in diesem Jahr außergewöhnlich früh begonnen, die Äpfel haben im Vergleich zum Vorjahr einen Vorsprung von 16 Tagen.

Görgens spricht vom „frühesten Jahr“, etwa zwei Tage eher als beim bisherigen Rekord vor neun Jahren. In den vergangenen Jahrzehnten blühten die Obstbäume lediglich 1990 (13. April) und 2014 (8. April) ähnlich früh wie jetzt. Klimawandelbedingt hat sich die Blüte seit 1976 an der Niederelbe um 25 Tage nach vorne verschoben. Die Krux: Beim Spätfrost gibt es keine zeitliche Verschiebung, so dass die Frostschutzanlagen in der Marsch ein großer Standortvorteil sind.

Bei Frost schlägt das Frühwarnsystem an

Die Altländer müssen ihre Nacht aber nicht vor dem Thermometer verbringen. Sie verfügen über ein Frühwarnsystem, das mit den Echtzeitdaten aus Wetterstationen gefüttert wird. Das liefert Prognosen. Durch die längere Vorwarnzeit sind die Obstbauern gerüstet, die Wetterinfos und die Alarm-SMS laufen auf dem Smartphone auf.

Ausschlaggebend ist, so Köpcke, die Feuchttemperatur. Diese liegt etwas niedriger als die tatsächliche und zeigt an, was die Blüte spürt. Die Empfindlichkeitsschwelle liegt bei Äpfeln in der Vollblüte bei null Grad Celsius. Bei den Kirschen ist lediglich eine nicht so effektive Unterkronenberegnung möglich.

Eispanzer bei Vollblüte im Alten Land - ein seltener Anblick.

Eispanzer bei Vollblüte im Alten Land - ein seltener Anblick. Foto: Vasel

So funktioniert die Frostschutzberegnung

Doch wie funktioniert das? Die Frostschutzberegnung basiert auf dem Wärme-durch-Kälte-Prinzip. Durch das ununterbrochene Besprühen der Apfelbäume mit Wasser aus den Regnern wächst in den Risiko-Nächten mit polarer Kaltluft oder mit Spätfrösten ein bizarrer Eispanzer um die Knospen und die Blüten. Dadurch entsteht die schützende Erstarrungswärme.

Mit einem Druck von knapp fünf Bar wird Wasser über die auf Stangen sitzenden Regner verteilt. Um die 35 Kubikmeter pro Hektar und Stunde werden im Schnitt in einer Nacht benötigt, sagt Köpcke. Das sind drei Millionen Kubikmeter Wasser - also drei Millionen gefüllte Badewannen - im gesamten Gebiet, von Francop bis Balje.

Die Pumpen werden von den Schleppern angetrieben; die Wettern, Gräben und Beregnungsteiche - wie hier an der K39 in Borstel - sind gefüllt.

Die Pumpen werden von den Schleppern angetrieben; die Wettern, Gräben und Beregnungsteiche - wie hier an der K39 in Borstel - sind gefüllt. Foto: Vasel

Keine Probleme mit Brackwasser

Die Wettern, Gräben und mehr als 1200 Beregnungsteiche sind aktuell randvoll, um den Frostschutz über mehrere Nächte zu sichern. Durch die vielen Niederschläge gab es keine Probleme mit Brackwasser, weder im Alten Land noch in Kehdingen. Die Brackwasserzone hat sich bekanntlich durch die Elbvertiefungen elbaufwärts verschoben. Der Wasserbereitstellungsverband Niederelbe hat ausreichend Stauraum für salzarmes Wasser geschaffen.

Die Bedingungen für die ertragssichernde Beregnung in der Nacht zu Dienstag waren günstig. Es war windstill, ordentliches Wasser war im Gebiet ausreichend vorhanden.

Hintergrund: Zu viel Salz oder Eisen könnten der Blüte beziehungsweise Frucht schaden. Rund 80 Prozent der Obstbauflächen könnten bei Frost durch eine Beregnungsanlage geschützt werden, sagt Köpcke. Deshalb mache er sich aktuell für das Alte Land beim Apfel wenig Sorgen.

Vorteil für die Obstbauern gegenüber der Konkurrenz aus dem Süden?

In Süddeutschland, Polen, Frankreich und Österreich ist möglicherweise mit Ernteausfällen durch den Kälteeinbruch zu rechnen. Ob die Obstbauern im Landkreis Stade dadurch tatsächlich einen Vorteil haben, werde sich allerdings erst in den kommenden Wochen zeigen, so Köpcke.

Eispanzer: Die Erstarrungswärme schützt die Blüte der Apfelbäume vor dem Frost.

Eispanzer: Die Erstarrungswärme schützt die Blüte der Apfelbäume vor dem Frost. Foto: Vasel

Auch die Bienen und die Wildinsekten werden - so eine erste, noch nicht abschließende Einschätzung - trotz des Wetters für eine ausreichende Bestäubung sorgen. Zum Wochenende soll es wärmer werden. Es habe auch am vergangenen Wochenende immer wieder trockene, windstille und nicht so kalte Phasen gegeben, so dass die Bienen flogen und der Pollenschlauch durchwachsen konnte, wenn die Bestäubung stattgefunden hatte.

Aus den Blüten entwickeln sich nach der Befruchtung und dem Abfallen der Blütenblätter letztlich die Äpfel. Das Fruchtfleisch ist der verdickte Blütenboden der Ursprungsblüte. Für eine gute Apfelernte sind laut Obstbauzentrum etwa 250.000 Früchte beziehungsweise befruchtete Blüten pro Hektar ausreichend - rund 120 pro Baum.

Die Obstbauern denken für das Wochenende sogar über eine Ausdünnung nach, beispielsweise bei Sorten wie Elstar. Das Ziel: den Fruchtbehang regulieren.

Blick in eine Apfelplantage am Dienstagmorgen an der A26 in Neuenkirchen.

Blick in eine Apfelplantage am Dienstagmorgen an der A26 in Neuenkirchen. Foto: Vasel

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