TStader Industriepark: So sollen die Bützflether vor Lärm geschützt werden

Der Industriepark auf Bützflethersand liegt weniger als einen Kilometer von der Wohnbebauung entfernt. Foto: Martin Elsen
Wie können Bürger vor Lärm geschützt und große Industriebetriebe gleichzeitig nicht zu stark eingeschränkt werden? Die Stadt Stade arbeitet an einer Lösung.
Stade. Das Areal auf Bützflethersand ist mit mehr als 1.100 Hektar das größte Industrie- und Gewerbegebiet im Landkreis Stade. Dow Deutschland nutzt als größter Betrieb etwa 550 Hektar im südlichen Teil. Im nördlichen Teil produziert die Aluminium Oxid Stade GmbH (AOS) auf einem 55 Hektar großen Gelände Aluminiumoxid und Aluminiumhydroxid für die Industrie.
Besserer Schallschutz für die Bützflether
Weniger als einen Kilometer davon entfernt fängt die Wohnbebauung an - insgesamt leben etwa 4.800 Menschen in Bützfleth. Einige fühlen sich durch den Lärm der Betriebe gestört und fordern bessere Schallschutzmaßnahmen.
Auch die Bürgerinitiative für eine umweltverträgliche Industrie (BI Bützfleth), die den Bau eines Holzkraftwerks kritisch sieht, macht immer wieder auf die Belastung der Anwohner durch Lärm aufmerksam. Wie sich die Interessen der Anwohner in Bezug auf Lärmschutz mit denen der Industriebetriebe in Einklang bringen lassen, treibt auch die Stader Stadtverwaltung um. Sie kann Vorgaben zum Lärmschutz über einen Bebauungsplan machen und hat dies in der Vergangenheit auch getan.
Im Einvernehmen mit den Betrieben vor Ort hat die Stadt seinerzeit allerdings zu starke Schalleinschränkungen vorgenommen. Zu diesem Schluss kam das Oberverwaltungsgericht im August 2018 und hat daraufhin den Bebauungsplan, der die Flächen nördlich der Johann-Rathje-Köser-Straße mit der AOS umfasst, für ungültig erklärt. Ironischerweise hatte zuvor ein Bützflether Bürger geklagt, weil er der Meinung war, die Stadt habe den Lärmschutz nicht ausreichend berücksichtigt.
Höhere Lärmwerte als geplant
Grund für die Entscheidung des Gerichts ist unter anderem die Einstufung der Ortschaft als Mischgebiet. Das ist nicht so gut geschützt vor der benachbarten Industrie wie ein reines Wohngebiet. In Sachen Schallschutz gilt derzeit die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, kurz TA-Lärm. Sie lässt deutlich höhere Werte zu, als es von der Stadt vorgesehen war.
Der Logik der Rechtsprechung folgend müsste die Stadt nur einen Bebauungsplan erarbeiten, der zumindest in einem größeren Teilbereich keine Schalleinschränkungen vornimmt, und alle rechtlichen Probleme wären gelöst. Doch weit gefehlt, in solch einem Fall könnten sich Bützflether Bürger erfolgreich vor Gericht wehren, weil der ihnen zustehende Schutzanspruch missachtet würde. Für die Stadtverwaltung bedeutet dies, dass sie für den Bereich der elbseitigen Industrie faktisch keine anwendungsfähigen Bebauungspläne erlassen kann - ob mit oder ohne Schalleinschränkungen, gegen jede Art von Bebauungsplanung kann erfolgreich geklagt werden.
Rechts- und Planungssicherheit für die Wohnbevölkerung und die Industriebetriebe zu schaffen, daran arbeitet die Verwaltung seit Jahren. Das geht aus einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Rat der Stadt hervor, die kürzlich im Stadtentwicklungsausschuss auf der Tagesordnung stand.
Immissionsrichtwerte nicht eingehalten
Die Grünen wollten unter anderem wissen, ob es Messungen oder Berechnungen zur aktuellen Lärmbelastung im betroffenen Gebiet gibt. Laut Verwaltung würden die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm von 45 dB(A) in der Nacht teilweise nicht eingehalten. Sie seien aber auch rechtlich nicht maßgeblich.
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Das Industriegebiet und die umliegenden Siedlungsbereiche befinden sich nämlich aufgrund ihrer unmittelbaren und jahrzehntelang gewachsenen Nachbarschaft in einer „untrennbaren Großgemengelage“. Somit seien hier nicht die Grenzwerte und der TA-Lärm entscheidend, sondern „geeignete Zwischenwerte“. Das bedeutet, dass es auch mal lauter werden darf.
Die Anwohner hätten aber das Anrecht auf angemessenen Schutz vor Luft- und Schallemissionen sowie Schutz vor Unfällen und unzumutbarem Verkehr. Auf der anderen Seite genieße das seit Jahrzehnten bestehende Industriegebiet Bestandschutz.
Stadt entwickelt Vertrag mit Industrieunternehmen
Um Lärmkonflikte zu vermeiden und weil eine planungsrechtliche Lösung auf Grundlage des bestehenden Baurechts derzeit nicht absehbar ist, bereite die Stadt aktuell eine vertragliche Lösung mit den Industrieunternehmen zur Einhaltung von Lärmschutzwerten vor, so der Erste Stadtrat Lars Kolk. Abgestimmt werde das Konzept eng mit dem Gewerbeaufsichtsamt und dem Umweltministerium in Hannover.
Dass es derzeit keine Möglichkeit gebe, den Lärmschutz über Bebauungspläne zu steuern, sei politisch unbefriedigend, aber aus rechtlicher Sicht nachvollziehbar, so Tim Evers von den Grünen. Er werde mit seiner Fraktion die Entwicklung weiter beobachten und darauf achten, dass sowohl die Schutzinteressen der Anwohner als auch die berechtigten Belange der Industrie fair berücksichtigt werden.
Mit den Planungen nochmal ganz von vorne anfangen
Derzeit fänden Abstimmungen wiederum mit dem Umwelt- sowie mit dem Wirtschaftsministerium in Hannover statt, um der Stadt wieder eine stärkere Steuerungsmöglichkeit zu sichern, so Kolk weiter. Dieser langfristige Prozess sei aber stark von politischen Strömungen und den handelnden Personen abhängig. Besonders ärgerlich: Im Rahmen der geplanten Novelle des Baugesetzbuches schien eine Lösung in greifbarer Nähe. Doch dann kam das Ampel-Aus. „Wir müssen mit den Planungen wieder ganz von vorne anfangen“, so Kolk. Der Abdruck seiner Zähne in der Tischkante sei immer noch sichtbar, sagte er im Ausschuss.
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