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Nationalsozialismus

TStolpersteine in Horneburg: Was mit Gita, Marie und Heinrich geschah

Mit viel Sorgfalt platziert Gunter Demnig den Stolperstein im Boden.

Mit viel Sorgfalt platziert Gunter Demnig den Stolperstein im Boden. Foto: Buchmann

Gita Gruber, Marie Bade und Heinrich Alpers wurden von den Nazis ermordet. Horneburg will die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachhalten.

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Von Steffen Buchmann
Dienstag, 15.07.2025, 09:50 Uhr

Horneburg. Sorgsam verfüllt Gunter Demnig das quadratische Loch im Pflaster in der Langen Straße zwischen Hausnummer 9 und 11. Er nimmt sich Zeit, klopft den messingfarbenen Stein behutsam mit einem Gummihammer fest. Er redet nicht, während er arbeitet. Auch die über 50 Menschen um ihn herum schauen und schweigen. Mit einem Handfeger füllt er die letzten Hohlräume mit Sand, gießt etwas Wasser darüber und drückt den Stolperstein für Gita Gruber ein letztes Mal fest.

Viele interessierte Menschen kamen zur Verlegung der Stolpersteine in Horneburg.

Viele interessierte Menschen kamen zur Verlegung der Stolpersteine in Horneburg. Foto: Buchmann

„Wir wollen nicht vergessen, dass auch Horneburg ein Teil dieser vernichtenden Kriegsmaschinerie war“, sagt Hannelore Kathenbach, Sprecherin der Gruppe gegen das Vergessen, kurz danach im Mehrgenerationenhaus. 1944 waren mehr als 300 jüdische Mädchen zwischen 13 und 20 Jahren in das KZ-Außenlager Neuengamme transportiert worden, um als Zwangsarbeiterinnen für die Philips-Valvo-Röhrenwerke Radioröhren und Glühlampen herzustellen.

Zur Zwangsarbeit nach Horneburg verschleppt

Das öffentliche Interesse an der Stolperstein-Aktion in Horneburg war groß. In den 90er Jahren hatte der Künstler Gunter Demnig die Kunstaktion als größtes dezentrales Mahnmal der Welt gestartet.

Künstler Gunter Demnig ist für das Verlegen der Stolpersteine persönlich nach Horneburg gereist.

Künstler Gunter Demnig ist für das Verlegen der Stolpersteine persönlich nach Horneburg gereist. Foto: Buchmann

Bis heute haben der 77-Jährige und sein Team rund 120.000 Stolpersteine in Deutschland und 31 weiteren europäischen Ländern verlegt. Bei der anschließenden Gedenkstunde im Mehrgenerationenhaus konnte er nicht mehr dabei sein, da er bereits zum nächsten Einsatz nach Hessen fahren musste.

Hannelore Kathenbach engagiert sich mit der Gruppe gegen das Vergessen für die Gedenkkultur zur NS-Zeit in Horneburg.

Hannelore Kathenbach engagiert sich mit der Gruppe gegen das Vergessen für die Gedenkkultur zur NS-Zeit in Horneburg. Foto: Buchmann

Überlebende wie Erika Weiss, Lea Schnapp und Eva Goldberg waren in der Vergangenheit zurück nach Horneburg gekommen, um von den Gräueltaten des NS-Regimes zu erzählen. Die Schicksale dreier Menschen, die in Horneburg gelebt haben und während der NS-Zeit ermordet wurden, sollen in Form der Stolpersteine Menschen zum An- und Innehalten bringen. Während die Horneburger Pastorin Dorlies Schulze Fürbitten vorbrachte, entzündete der Jugendbeirat für jedes der drei Opfer eine Kerze.

Über 70.000 Menschen mit Behinderungen ermordet

„Jeder Stein stellt Fragen“, sagt Fleckenbürgermeister Jörk Philippsen. Gita Gruber kam 1928 in Rumänien zur Welt. Die Nationalsozialisten deportierten die junge Jüdin in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Von dort wurde sie zur Zwangsarbeit nach Horneburg verschleppt. Ermordet worden sei sie am 24. Dezember 1943, wie die Stiftung des Aktionskünstlers Gunter Demnig nach TAGEBLATT-Informationen ermittelt haben soll. Zuletzt waren regionale Historiker von einem anderen Todesdatum ausgegangen.

Der Stolperstein für Gita Gruber in der Langen Straße.

Der Stolperstein für Gita Gruber in der Langen Straße. Foto: Buchmann

Für Marie Bade wurde ein Stolperstein an der Issendorfer Straße gesetzt, wo der Radweg die L123 in Richtung Daudieck kreuzt. Bade wurde 1913 in Horneburg geboren, die Nationalsozialisten ließen sie 1934 in die Heilanstalt Lüneburg einweisen. 1941 wurde sie zunächst nach Herborn in Hessen und weiter nach Hadamar verlegt.

Der Stolperstein von Marie Bade an der Issendorfer Straße.

Der Stolperstein von Marie Bade an der Issendorfer Straße. Foto: Buchmann

Im Rahmen der sogenannten Aktion T4 wurde sie am 21. Mai 1941 ermordet. Durch die Aktion T4, abgekürzt für die damalige Zentraldienststelle in der Tiergartenstraße 4 in Berlin, wurden mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen in Deutschland ermordet.

Verhaftet wegen „Rassenschande“

Der dritte Stolperstein erinnert vor dem Haus in der Moorstraße 12 an Heinrich Alpers. Der 1887 geborene Horneburger wurde am 28. August 1941 wegen sogenannter Rassenschande verhaftet und in Stade eingesperrt.

Der Stolperstein von Heinrich Alpers in der Moorstraße.

Der Stolperstein von Heinrich Alpers in der Moorstraße. Foto: Buchmann

Die NS-Propaganda nutzte den Begriff zur Diffamierung sexueller Beziehungen zwischen Deutschen und Angehörigen anderer „Rassen“, nach NS-Ideologie beispielsweise Juden. Die Nationalsozialisten ermordeten den Horneburger am 27. Februar 1942 im KZ Sachsenhausen.

Es ist von großer Bedeutung, dieses Andenken an die nächsten Generationen weiterzugeben.

Jörk Philippsen, Fleckenbürgermeister Horneburg

Die Gruppe gegen das Vergessen hatte sich gemeinsam mit dem Horneburger Jugendbeirat dafür eingesetzt, dass in Horneburg die ersten Stolpersteine gesetzt werden. In Horneburg entstehen so drei neue Erinnerungsorte: Auf dem Waldfriedhof in Horneburg steht bereits seit drei Jahren ein Gedenkstein für die NS-Opfer in der Samtgemeinde. „Es ist von großer Bedeutung, dieses Andenken an die nächsten Generationen weiterzugeben“, sagt Bürgermeister Philippsen.

Aktuell erlebe unsere Gesellschaft wieder Verschiebungen wie in der NS-Zeit, weshalb es wichtig sei, miteinander und nicht gegeneinander zu leben. „Wir können es uns nicht leisten, die junge Generation an Lügner und Hetzer zu verlieren“, betont Philippsen und legt nach: „Denn wir sind die Mehrheit.“

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