TSchockiert und nachdenklich: So reagiert die Politik auf die Wahlergebnisse im Osten

Ein Drittel der Wähler hat bei den Landtagswahlen ihre Stimme der AfD gegeben. Foto: Carsten Koall/dpa
Mit der AfD wählt ein Drittel der Wähler in Thüringen eine Partei, die dort als gesichert rechtsextrem gilt. Auf der anderen Seite rutschen die Parteien der Ampelkoalition in die Bedeutungslosigkeit ab. Das sind die Reaktionen.
Landkreis. „Die CDU ist in Sachsen die stärkste Kraft, und in Thüringen haben wir dazugewonnen“, sagt Melanie Reinecke, Kreisvorsitzende der Stader CDU und Landtagsabgeordnete. „Diese Siege haben aber einen bitteren Nachgeschmack“, sagt sie gegenüber dem TAGEBLATT. Es sei festzustellen, dass ein Drittel der Wähler eine als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei gewählt habe.
Die CDU stünde in beiden Bundesländern vor sehr schwierigen Koalitionsgesprächen. „Es ist richtig“, sagt Reinecke, „dass wir mit der AfD und der Linken Unvereinbarkeitsbeschlüsse haben.“ Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht müsse man reden, „auch wenn das mehr Personenkult als Partei ist.“
Brandmauer nach rechtsaußen steht bei der CDU
Reinecke sieht die Schuld für das Erstarken extremer Kräfte bei der Ampelregierung. „Es reicht nicht, ständig zu wiederholen, dass man die Arbeit der Bundesregierung besser erklären muss.“ Richtig sei dagegen, dass sehr viele Menschen diese Politik nicht wollten.

Die Landtagsabgeordnete und CDU-Kreisvorsitzende Melanie Reinecke. Foto: privat
Reinecke setzt auf Bildung, um rechtsextremistischen Tendenzen früher zu begegnen. „Die NS-Zeit verliert an Schrecken. Zu meiner Zeit waren oft Zeitzeugen in der Schule“, sagt sie. „Wir brauchen mehr Demokratieförderung und Medienschulungen. Es ist schlimm, welchen Blödsinn viele Leute glauben“, sagt Reinecke.
Helmut Damann-Tamke, Fraktionsvorsitzender der CDU im Kreistag, bezeichnet die Ergebnisse als absehbar. „Ich bin aber auch schockiert, dass 90 Jahre nach der Machtergreifung - einem Tiefpunkt der deutschen Geschichte - ein Drittel eine gesichert rechtsextreme Partei wählt“, sagt der ehemalige Landtagsabgeordnete aus Ohrensen.
Die CDU ist auch ein Teil des Problems
Die Ergebnisse der Wahlen seien aber auch die Folge daraus, dass die etablierten Parteien der Mitte nicht ausreichend auf die Menschen und deren Sorgen eingingen.
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Seine CDU sieht er dort aufgrund der langen Regierungsbeteiligung auch in der Pflicht. Alle Parteien der Mitte seien jetzt in der Verantwortung für stabile Regierungen in Sachsen und Thüringen. „Neuwahlen würden nur die extremen Kräfte weiter stärken“, sagt Dammann-Tamke.
SPD-Chefin: Frust der Menschen ist überall spürbar
„Die Wahlen hatten auch ein gutes Ergebnis“, sagt Corinna Lange, Co-Vorsitzende der Kreis-SPD und Landtagsabgeordnete aus Deinste. Sie meint die hohe Wahlbeteiligung in den beiden ostdeutschen Ländern. Dass so viele Menschen so rückwärtsgewandt gewählt hätten, schockiere sie, so Corinna Lange. „Es gibt bei den Menschen viel Frust. Das spüre ich auch vor Ort“, sagt Lange.

Landtagsabgeordnete und Stader SPD-Co-Vorsitzende Corinna Lange. Foto: privat
Dabei seien nicht alle Entscheidungen der Ampel schlecht. „Die Kommunikation ist ein Problem“, sagt sie. Gerade im ländlichen Raum fühlten sich die Menschen abgehängt, wir müssen uns hinterfragen“, sagt Lange.
Ampel: Grüne und FDP behindern die Regierungsarbeit
Ist Olaf Scholz der richtige Bundeskanzler? „Seine besonnene Art finde ich gut, aber es ist schwierig, wenn zwei Partner immer wieder Öl ins Feuer kippen“, kritisiert Lange Grüne und FDP.
„Das Wahlergebnis in Thüringen und Sachsen hat mich sehr erschrocken. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als SPD klarer und zielorientierter agieren müssen“, sagt Björn Protze, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion.
Protze: AfD und BSW bringen nur populistische Phrasen
„Wir sollten den Menschen besser zuhören und die Dinge tun, die einem Großteil der Bevölkerung wichtig sind“, so Protze. Die Menschen wollten Lösungen der Probleme und nicht wissen, warum die Politik es nicht tut.
„Auf der anderen Seite sind die populistischen Phrasen von AfD und BSW das Papier nicht wert, auf dem sie stehen“, sagt der Stader Sozialdemokrat. Beide Parteien wären sofort entzaubert, wenn sie Verantwortung übernehmen müssten, sagt er.
Die Stader AfD hat am Sonntag lange gefeiert
Die AfD im Landkreis Stade hat am Sonntag eine Wahlparty organisiert.
Wir werden sehen, wie lange sich das undemokratische Gequassel über eine Brandmauer noch weiterführen lässt
Helmut Wiegers, AfD
„Spannend wird es in den nächsten Wochen. Wir werden sehen, wie lange sich das undemokratische Gequassel über eine Brandmauer noch weiterführen lässt“, sagt Helmut Wiegers aus Buxtehude. Er macht bei der AfD im Kreis die Öffentlichkeitsarbeit und ist Vorsitzender des Ortsverbands Buxtehude. Seine Partei könne sich jetzt ganz entspannt zurücklehnen und abwarten, wie die Wahlverlierer mit diesen Ergebnissen weiterarbeiten wollten.
Absolute AfD-Mehrheiten ohne Politikwechsel
„Für Machtpolitiker ist es ja nicht so ganz ungewöhnlich, dass nach dem Grundsatz, ´was stört mich mein Geschwätz von gestern` gehandelt wird“, beantwortet Wiegers, die Frage, wo die AfD Mehrheiten finden will. „Ein ,Weiter so‘ der derzeitigen Regierungsparteien wird aber zwangsläufig in einigen Bundesländern eine absolute Mehrheit der AfD zur Folge haben“, so Helmut Wiegers.
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„Die AfD im Landkreis Stade befindet sich auf einem sehr erfolgreichen Weg“, sagt er. Steigende Mitgliederzahlen, ganz besonders bei Jüngeren und Frauen, ließen für die Zukunft ein größeres Potenzial an Kandidaten für die Kommunalwahlen erwarten.
Mit Erfolgen grüner Regierungsbeteiligungen werben
„Die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen sind eine klare Zäsur in der deutschen Politik“, sagt Joachim Fuchs, Co-Kreissprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Engagierter Wahlkampf, eindringliche Warnungen aus Wirtschaft, Kirche oder Zivilgesellschaft hätten nicht gefruchtet. Fuchs: „Eine in Teilen rechtsextreme Partei, die in zwei Landesparlamenten ein Drittel der Mandate erreicht, stellt unsere Demokratie vor massive Herausforderungen.“

Der Grünen-Co-Kreisvorstandssprecher Joachim Fuchs (links) und die beiden Buxtehuder Sprecher Joachim Butler und Amalien Meyer im Gespräch. Foto: Wisser
Die Ergebnisse zeigten auch, dass die Polarisierung der Debatten, wie sie auch von demokratischen Parteien wie CDU und FDP befeuert würden, nur Demokratiefeinden nützten, so Fuchs: „Eine Lehre für uns als Partei ist nun, dass wir Erfolge von grüner Regierungsbeteiligung in Bund und Land stärker in den Vordergrund stellen und zeigen müssen: Grün wirkt.“
Migration Lösung für den Fachkräftemangel
Gleichzeitig müssten die Grünen aber auch inhaltliche Lehren ziehen: „Migration ist ein wichtiges Thema, aber nicht das zentrale. Nur wird dies von vielen aus allen politischen Lagern kommuniziert und der Eindruck vermittelt, wenn das im Griff ist, sind alle Probleme erledigt und Deutschland wird sicherer, gerechter und allen geht es besser“. Der Zuzug von Menschen gefährde nicht das Zusammenleben und den Wohlstand, sondern sei ein Teil der Lösung bei Arbeits- und Fachkräftemangel.
Rechtsradikale und linke Märchenerzähler
„Das - nicht überraschende - Ergebnis der FDP ist schlimm für uns als Partei, aber wirklich Sorgen macht mir, dass das Ergebnis zeigt, in welchem Ausmaß ein Großteil der Wähler in Sachsen und Thüringen bereit ist, auf Freiheit zu verzichten und das Land Rechtsradikalen und linken Märchenerzählern anzuvertrauen“, sagt FDP-Kreischefin Hilke Ehlers aus Stade.

André Grote ist Vorsitzender der FDP-Fraktion in Buxtehude. Foto: Daniela Ponath Fotografie
„Natürlich ist das Wahlergebnis aus unserer Sicht enttäuschend“, so der Buxtehuder Fraktionsvorsitzende der Liberalen, André Grote: „Die Unzufriedenheit über die Ampel ist ein großer Brocken, das spaltet auch die FDP intern“. Die Stärke der AfD sei auf die jahrelang schlechte und von Ideologien getriebene Politik aller Parteien zurückzuführen.
„Die Ergebnisse sind für uns eine Katastrophe“, sagt Benjamin Koch-Böhnke, Fraktionsvorsitzender der Linken im Kreistag und im Buxtehuder Rat. In Thüringen brauche es aber die Linke, um eine stabile Regierung zu bilden. „Die CDU muss ihre unsinnige Brandmauer nach links einreißen“, sagt Benjamin Koch-Böhnke.