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„Problemtiere“

TWolfsabschuss: Einigung steht – aber Kritik der Jägerschaft

Anders als bisher soll für einen Abschuss nicht erst eine DNA-Analyse abgewartet werden müssen.

Anders als bisher soll für einen Abschuss nicht erst eine DNA-Analyse abgewartet werden müssen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Beinahe täglich werden im Landkreis Wölfe gesichtet, die Zahl der Attacken auf Weidetiere schlug im Spätsommer hohe Wellen. Im kommenden Frühjahr soll nun abgeschossen werden - mit Sonderrechten an Deichen.

Von Redaktion Freitag, 01.12.2023, 16:10 Uhr

Landkreis/Münster. Problematische Wölfe, die Schutzzäune überwunden und Nutztiere gerissen haben, sollen in Deutschland künftig schneller als bisher getötet werden können. Das Modell von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wurde parteiübergreifend und einstimmig angenommen. Darauf verständigten sich die Umweltminister von Bund und Ländern bei ihrem zweitägigen Treffen im westfälischen Münster.

„Uns ist da ein Durchbruch gelungen“, sagte Nordrhein-Westfalens Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) am Freitag als Vorsitzender der Konferenz zu deren Abschluss. Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (ebenfalls Grüne) begrüßte den Beschluss ausdrücklich: „Niedersachsen setzt sich seit langem für pragmatische, einfache und schnellere Entnahmen von Wölfen in Regionen mit hohen Nutztierschäden trotz bestehendem Herdenschutz ein. Ich bin sehr erleichtert und froh, dass meine Kolleginnen und Kollegen von CDU, SPD und Grünen sich einstimmig für das von Niedersachsen befürwortete neue Modell zur Abwehr erheblicher Schäden an Weidetieren ausgesprochen haben.“

Christian Meyer (Grüne), Umweltminister von Niedersachsen.

Christian Meyer (Grüne), Umweltminister von Niedersachsen. Foto: Sina Schuldt/dpa

„Gleichzeitig erlaubt der Vorschlag des Bundesumweltministeriums zur Einrichtung von Gebieten mit erhöhtem Rissaufkommen eine angemessene Entbürokratisierung bei der Entnahme auffälliger Wölfe“, betonte Tobias Goldschmidt (Grüne), Minister in Schleswig-Holstein.

Einige Bundesländer wollen schnellere Wolfsabschüsse ab Frühjahr 2024

Unklar blieb, wie viele Tiere das pro Jahr treffen könnte. Es sei unseriös, jetzt schon eine Zahl zu nennen, sagte Bundesumweltministerin Lemke. Nach Expertenmeinung kommen Wölfe nach einem Riss im Laufe einiger Tage oft an den Ort zurück, um dort wieder Tiere zu töten.

Hervorzuheben ist: Stark betroffene Bundesländer wollen mit einheitlichen Länderverordnungen den schnelleren Wolfsabschuss bereits zum Start der Weidesaison 2024 möglich machen. Das kündigte Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) an. Dazu soll es gesondert Gespräche geben - schon in der kommenden Woche. Mit im Boot: Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und eben Mecklenburg-Vorpommern.

Wolfsvorkommen in Deutschland

Wolfsvorkommen in Deutschland Foto: dpa

Umweltminister einigen sich auf Schnellabschuss problematischer Wölfe

Das ist jetzt geplant: Die Bundesländer sollen nun eigenständig bestimmte Regionen mit vermehrten Wolfsrissen festlegen. Deiche sollen etwa besonders berücksichtigt werden. Möglich auch: Ganze Landkreise können als solche Wolfkrisengebiete festgelegt werden. Dies ist nicht abschließend geklärt.

Meyer: „Wir werden für bestimmte topographische Lagen eine andere Regelung machen können. Dazu gehören die Deiche an der Küste oder an Flussläufen. Denn dort ist der Herdenschutz eindeutig schwieriger.“

Anders als bisher soll dann für einen Abschuss aber nicht erst eine DNA-Analyse abgewartet werden müssen, wenn ein Wolf Schutzvorkehrungen überwunden und Nutztiere gerissen hat.

Nach dem Vorschlag des Bundes, der nun in den gemeinsamen „Praxisleitfaden Wolf“ von Bund und Ländern einfließt, wird der Abschuss von Wölfen für 21 Tage im Umkreis von 1000 Meter um die betroffene Weide herum erlaubt. „Durch schnellere Entnahmen um die betroffene Weide herum besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, den verursachenden Wolf zu entnehmen“, sagte Minister Meyer.

Dieses Wolfsbild ist in der Nähe von Drochtersen im September mit einer Wärmebildkamera aufgenommen.

Dieses Wolfsbild ist in der Nähe von Drochtersen im September mit einer Wärmebildkamera aufgenommen. Foto: Jägerschaft

Die nun angenommenen Vorschläge hatte Steffi Lemke bereits im Oktober vorgelegt. Sie seien mit dem EU-Recht vereinbar, sagte Lemke am Freitag. Auf Wunsch Niedersachsens und Mecklenburg-Vorpommerns hatten sowohl die EU-Kommission als auch der Bund die Rechtsicherheit der Neuregelung und Vereinbarkeit schriftlich bestätigt.

Landwirte bleiben bei Kritik - CDU greift Grünen-Minister an

Nutztierhalter und Landwirte hatten weitergehende Maßnahmen gefordert. Vertretern von Tierhaltern reichen die Maßnahmen bei verhaltensauffälligen Wölfen jedoch bei weitem nicht aus. Der Förderverein der Deutschen Schafhaltung fordert von der Bundespolitik, eine Populationsbegrenzung festzulegen. Alle überzähligen Wölfe seien zu entnehmen, forderte der Vorsitzende Wendelin Schmücker im Vorfeld der Konferenz. Die steigende Zahl an Wölfen habe dramatische Folgen für Weidetiere und deren Halter, die um ihre Existenz bangten.

Der Verband Landvolk Niedersachsen führte an, dass die Vorgabe, dass ein Wolf die Schutzvorkehrungen überwunden und ein Weidetier gerissen haben muss und dass ein Tier nur in einem Zeitraum von 21 Tagen im Umkreis von lediglich 1000 Metern um die Weide abgeschossen werden darf, mit der Realität nichts zu tun habe. Der Zeitrahmen und der Umkreis von nur einem Kilometer seien viel zu eng gesteckt, teilte der Landesbauernverband mit.

Deutliche Worte kamen auch aus der CDU-Landtagsfraktion in Hannover. Die umweltpolitische Sprecherin Verena Kämmerling sagt in Richtung Minister Meyer: „Die vereinfachte Entnahme von Problemwölfen als Durchbruch im Umgang mit dem Wolf zu verkaufen, ist an Dreistigkeit schon nicht mehr zu überbieten. Die Gesetzeslage war diesbezüglich schon vorher eindeutig, wurde aber von unserem grünen Minister Meyer einfach nicht angewendet.“

Schnellabschuss von Wölfen: Reaktionen der Jägerschaft

Der Deutsche Jagdverband (DJV) zeigte sich enttäuscht von der Einigung der Länder. „Es ist ein schlichtes Rissreaktionsmanagement, aber kein regional differenziertes Bestandsmanagement“, sagte DJV-Präsident Helmut Dammann-Tamke. Der Ohrenser saß für die CDU lange Jahre im Landtag in Hannover. Der Beschluss setze nicht ansatzweise den Koalitionsvertrag der Bundesregierung um. Es sei verpasst worden, die Weichen für ein möglichst konfliktfreies Zusammenleben mit dem Wolf zu stellen, so Dammann-Tamke.

Helmut Dammann-Tamke aus Ohrensen.

Helmut Dammann-Tamke aus Ohrensen. Foto: Fehlbus

„Offenbar sind wir jahrelang hinters Licht geführt worden“, hatte er bereits im Oktober dem TAGEBLATT gesagt. Er hatte schon länger argumentiert, dass nach Bundes- und EU-Recht solche Schnellabschüsse möglich seien.

„Das hilft uns nicht beim Deichschutz und nicht beim Wiesenvogelschutz“, hatte zuvor auch Peter Hatecke, Vorsitzender der Jäger im Kreis Stade, gesagt. Die Wolfsangriffe würden besonders die extensive Weidetierhaltung gefährden. Ohne die sei auch der Schutz der Wiesenvögel gefährdet. „Hier ist das Ventil etwas geöffnet worden, um den Druck aus der Wolfsdiskussion zu bekommen, aber das wird bei weitem nicht ausreichen.“

Mehr als 1000 Wolfsangriffe auf Nutztiere

Die Zahl der Wolfsübergriffe auf Nutztiere ist im vergangenen Jahr deutlich auf mehr als 1000 Fälle gestiegen. Dabei wurden mehr als 4000 Nutztiere getötet oder verletzt, wie aus einem Bericht hervorgeht. Als effizienteste Maßnahme zum Schutz von Nutztieren stellt der Bund Herdenschutzmaßnahmen wie Zäune und Herdenschutzhunde heraus. Der Umweltverband BUND fordert dafür Mindeststandards. Seit der Rückkehr des Wolfs nach Deutschland vor über 20 Jahren gab es laut Bundesumweltministerium keine Wolfsübergriffe auf Menschen.

Der Abschuss von einzelnen auffälligen Wölfen ist auch heute schon unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Nach Daten des Bundesamtes für Naturschutz sind in Deutschland seit 2017 zwölf Wölfe mit Behördengenehmigung in mehreren Bundesländern getötet worden. Nachgewiesenerweise gibt es in Deutschland laut einer Statistik mehr als 1300 Wölfe. Die Verbände der Landwirte, Jäger und Reiter gehen von 2000 bis 3000 Wölfen aus. Vor diesem Hintergrund wurden bereits weitergehende Schritte für eine Regulierung des Bestandes gefordert. (dpa/tip)

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