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TKrise in Chemieindustrie: Chancen in Stade sind groß, die Risiken ebenso

Das Industriegebiet Bützflethersand mit dem Hafen (links unten), der AOS und ihrem roten Gestein, der Baufläche fürs LNG-Terminal in der Mitte sowie dahinter und daneben die großen Flächen der Dow mit dem Gasanleger (hinten links).

Das Industriegebiet Bützflethersand mit dem Hafen (links unten), der AOS und ihrem roten Gestein, der Baufläche fürs LNG-Terminal in der Mitte sowie dahinter und daneben die großen Flächen der Dow mit dem Gasanleger (hinten links). Foto: Martin Elsen

Wie lange stimmt die Chemie noch? An den Betrieben hängt - neben Airbus - das wirtschaftliche Wohl und Wehe der Region. 2025 könnte ein Jahr der Weichenstellungen werden.

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Von Lars Strüning
Montag, 30.12.2024, 19:45 Uhr

Stade. Bleiben die alt eingesessenen Betriebe? Kommen die neuen Projekte? Was ist mit dem Hafenausbau gen Norden und dem frisch fertiggestellten Energiehafen? Die Lage im Chemie-Park wirkt derzeit etwas unübersichtlich. Eine Einordnung.

Die Dauerbrenner: Dow und AOS produzieren seit Jahrzehnten ihre Stoffe auf Bützflethersand. Beide Unternehmen litten stark unter den gestiegenen Energiepreisen im Zuge des Ukraine-Kriegs. Die Dow gilt nach der Deutschen Bahn als der bundesweit größte Stromverbraucher. Die AOS benötigt Unmengen an Gas. Beide fuhren ihre Produktion nach einem Tiefstand 2023 im vergangenen Jahr wieder hoch. Doch die Leiden sind noch nicht ausgestanden.

AOS und Dow kämpfen mit gefallenen Preisen

Jetzt gesellt sich durch die schwächelnde Weltwirtschaft noch eine veritable Absatzkrise hinzu. Die Preise sind im Keller, Dow und AOS haben Probleme, gewinnbringend zu arbeiten. Die Dow notierte in guten Jahren eine Auslastung ihrer Anlagen in Stade von mehr als 90 Prozent, jetzt ist sie froh, wenn sie mit ihren 1300 Mitarbeitern 60 Prozent schafft. Die Zahlen machen den Mutterkonzern mit Sitz in Michigan nicht glücklich, der US-Chemieriese hat eine Überprüfung angekündigt - was auch immer das heißt.

Die AOS hingegen scheint wieder im sicheren Fahrwasser zu sein. Das Werk fährt wieder Volllast - wenn nur die Gaspreise nicht wären. Die AOS hat gerade einen Wechsel in der Geschäftsführung erlebt. Volker Richter ging in Rente, Dr. Irene Pötting übernahm und führt mit Hartmut Borchers die Geschicke des Standorts Stade. Beide versprechen Kontinuität. Insgesamt klingt das aber solide und nach einer guten Nachricht für die 500 Beschäftigten.

Für die gut 80 Trinseo-Kräfte war 2024 dagegen kein gutes Jahr. Das Unternehmen stellte die Produktion ein. Die großen Sorgen, die damit einhergingen, dass das Trinseo-Ende einen Dominoeffekt haben könnte, scheinen sich nicht zu bewahrheiten. Die Fachkräfte sollten kein Problem haben, neue Arbeitgeber zu finden. Sie sind gut ausgebildet und werden am Markt händeringend gesucht.

Die Rolle des Hafens: Unter der schwächelnden Produktion leidet auch der Umschlag im Stader Seehafen. Das Jahresergebnis steht noch nicht fest, aber wenn Dow und Co. die Anlagen runterfahren, wird im Hafen auch weniger gelöscht oder geladen. In den fetten Jahren waren es bis zu sieben Millionen Tonnen an Gütern, die vor allem für AOS und Dow umgeschlagen wurden. Der Wert rutschte auf unter vier Millionen Tonnen und wird aktuell irgendwo dazwischen liegen.

Das teure LNG-Schiff liegt arbeitslos in Stade

Die Euphorie um den neuen Energiehafen zum Löschen von verflüssigtem Erdgas (LNG) ist ein wenig verflogen. Land und Bund haben im Eilverfahren 300 Millionen Euro in den neuen Anleger nahe Stadersand gepumpt. Die offizielle Übergabe fand noch vor Weihnachten 2023 statt. Seitdem ist noch kein Kubikmeter Gas im bundesdeutschen Netz via Stade gelandet.

Zwar liegt die für den Bund kostspielige FSRU (Floating Storage and Regasification Units) ständig im Energiehafen, nur ist sie beschäftigungslos. Das Tanklagerschiff, das das tiefgekühlte und deswegen flüssige LNG wieder in Gasform versetzen soll, hat den Betrieb noch gar nicht aufgenommen. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, weil Betreiber DET sich sehr vage hält. Vermutlich wird das LNG derzeit nicht gebraucht und würde sich angesichts des vergleichbar hohen Preises am Markt nicht durchsetzen.

Vielleicht wird der Energiehafen aber doch noch mal groß rauskommen, wenn irgendwann in der Zukunft grüne Gase benötigt und importiert werden müssen. Wann das sein wird? Das weiß heute keiner. Stade wäre aber bereit.

Kommt der Hafenausbau mit dem neuen Holzkraftwerk?

Vage Hoffnungen bieten auch Pläne von N-Ports, der Hafengesellschaft des Landes Niedersachsen, die auch den Seehafen Stade betreibt. Sie denkt an eine Norderweiterung des Hafengeländes. Problem: Das Land müsste sie bezahlen und ist erst dazu bereit, wenn auch der Bedarf da ist. Der wiederum könnte sich unter anderem aus der Ansiedlung eines neuen Holzkraftwerks ergeben (siehe weiter unten).

Das konkrete Projekt: Erste Stimmen munkeln schon, dass das im Bau befindliche LNG-Terminal seinen Betrieb aufnimmt, ehe die FSRU einmal ernsthaft warmgelaufen ist. Projektentwickler Hanseatic Energy Hub (HEH) nimmt dafür gut eine Milliarde Euro in die Hand. Spatenstich für das Megaprojekt an der Unterelbe war im Sommer. Jetzt bestimmen Kräne die Szenerie.

2027 soll das Bauwerk vollbracht sein, bis zu 13 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr sollen importiert werden können. HEH versteht das Terminal als Instrument einer Brückentechnologie, bevor grüne Gase auf dem deutschen Weg zur Entkarbonisierung zum Einsatz kommen. Das feste LNG-Terminal ist der große konkrete Hoffnungsträger für die Stader Region, er könnte weitere wasserstoffaffine Start-Ups anziehen. Und es nutzt Abwärme aus den Dow-Prozessen.

Die Newcomer: Gleich drei Unternehmen liebäugeln ernsthaft mit einem Engagement auf Bützflethersand. Da ist zum Beispiel das Holzkraftwerk vom Unternehmen Hansekraft, das im großen Stil Energie aus nicht mehr verwertbarem Altholz gewinnen will. Geplant ist eine Investition in dreistelliger Millionenhöhe. Das Altholz mit einem Volumen von 500.000 Tonnen pro Jahr soll über den Stader Hafen angeliefert werden - Ausbau des Piers inklusive?

Fernwärmenetz von Bützfleth bis Ottenbeck

Vorteile am Rande, sollte es Holzkraftwerk realisiert werden: AOS könnte Prozessdampf geliefert bekommen und damit der Standort gesichert werden. Außerdem könnten die Stadtwerke Stade ein Fernwärmenetz installieren, das unter anderem das Stader Airbuswerk in Ottenbeck oder Ortschaften wie Bützfleth und Schölisch mit Energie aus dem Holzkraftwerk versorgt.

Eine integrierte Lösung schwebt auch Prime Lithium vor. Das junge Unternehmen will direkt neben der Dow eine der ersten Hightech-Produktionsanlagen zur Herstellung von Lithiumhydroxid Monohydrat (LHM) für Autobatterien in Deutschland errichten.

Erst soll eine Pilotanlage für 50 Millionen Euro entstehen. Wenn das System ausgereift ist, soll bis 2030 eine Großanlage gebaut werden. Das hätte ein Invest von 700 Millionen Euro zur Folge. Zwei weitere Anlagen könnten folgen. Für den ersten Schritt wird mit etwa 350 Angestellten gerechnet, sagte Ideengeber und Unternehmer Dr. Axel C. Heitmann im April im Gespräch mit dem TAGEBLATT.

Grüner Wasserstoff für Deutschland made in Stade

Zukunftsträchtig klingt auch das Vorhaben vom neuen Unternehmen Hanseatic Hydrogen, einem Ableger der HEH, das einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag zur Produktion von grünem Wasserstoff investieren will. Dafür soll bis Ende 2028 ein 100-Megawatt-Elektrolyseur gebaut werden, der mit grünem Strom von der Nordsee betrieben werden soll. Am Ende der Entwicklung ab 2030 könnten mit 500 Megawatt aus Stade rund fünf Prozent des Bedarfs an grünem Wasserstoff in Deutschland abgedeckt werden.

Vorteil auch hier: Hanseatic Hydrogen bezieht von der Dow gereinigtes Wasser aus der Produktion und liefert im Gegenzug Sauerstoff für die Kläranlage. Entscheidend für die Wahl des Standorts Stade war allerdings, dass der Chemiepark an das bundesweite Wasserstoffnetz angeschlossen wird.

Alle jungen Unternehmen würden sich zudem an Kosten für Infrastruktur, Werkschutz oder Feuerwehr beteiligen. So könnte bei integriertem Betrieb der Neuankömmlinge das Überleben der Platzhirsche gesichert werden.

Die Energos Force, das schwimmende LNG-Terminal, hat im Industriehafen Bützfleth festgemacht.

Die Energos Force, das schwimmende LNG-Terminal, hat im Industriehafen Bützfleth festgemacht. Foto: Martin Elsen www.nord-luftbilder

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