Trotz Sieg: Deutschland ist raus aus der WM

Thomas Müller von Deutschland (r) breitet nach dem 1:1-Ausgleichstreffer von Costa Rica die Arme aus. Links steht Niclas Füllkrug von Deutschland. Foto: Tom Weller/dpa
Das war es schon für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Katar. Das 4:2 gegen Costa Rica ist zu wenig, weil Spanien nicht mithilft. Wie 2018 reist das DFB-Team nach Vorrunde heim.
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(Letztes Update am 1. Dezember 2022, um 22.38 Uhr: Statements ergänzt)
Klaus Bergmann, Arne Richter, Jens Marx und Jan Mies, dpa
Bundestrainer Hansi Flick flüchtete eilig vom Ort des nächsten WM-Desasters, seine blamierten Spieler blieben fassungslos zurück. Der deutsche Fußball liegt vier Jahre nach dem historischen Vorrunden-Aus schon wieder am Boden. Nach Joachim Löw in Russland hat es auch Nachfolger Flick bei der WM in Katar böse erwischt. Das dürftige 4:2 (1:0) im letzten Gruppenspiel gegen das limitierte Costa Rica nach späten Joker-Toren von Kai Havertz (73./85. Minute) und Niclas Füllkrug (89.) reichte am Donnerstag in Al Chaur nicht für den Einzug in die K.o.-Runde. Japans überraschender 2:1-Sieg gegen Spanien riss die DFB-Auswahl aus allen Achtelfinal-Hoffnungen.

Deutschlands Trainer Hans-Dieter Flick an der Seitenlinie. Foto: Christian Charisius/dpa
Nach einer erneut missratenen Vorrunde fliegen die mit Titelträumen angereisten deutschen Spieler entzaubert zurück nach Deutschland, wo auf den DFB, Flick und Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff unruhige Adventstage mit kritischen Fragen nach der Zukunft warten. Einen Blitz-Rücktritt schloss der Bundestrainer aber aus und beteuerte: "Mir macht es Spaß. Wir haben eine gute Mannschaft, gute Spieler, die nachkommen. Von daher liegt es nicht an mir."
Allerdings räumte Flick, als er sich etwas gesammelt hatte, auch ein: "Wir hatten keine Effizienz in diesem Turnier. Natürlich ist die Enttäuschung riesengroß, das müssen wir erstmal verarbeiten."
Das Kopfballtor von Serge Gnabry (10. Minute) in der schwungvollen Anfangsphase entpuppte sich als Täuschung einer Mannschaft, die ihre Qualität zu selten wie beim 1:1 gegen Spanien auf den Platz brachte. Yeltsin Tejeda (58.) und Juan Pablo Vargas (70.) brachten vor 67 054 Zuschauern im Al-Bait-Stadion den Außenseiter sogar kurz in Führung. Die drei späten Tore sicherten dem DFB-Team zwar noch den Sieg, aber nicht mehr den Einzug in die K.o.-Runde.

Deutschlands Jamal Musiala (l) spielt gegen Celso Borges von Costa Rica. Foto: Federico Gambarini/dpa
"Die Enttäuschung ist enorm", gestand Routinier Thomas Müller, der einen Rücktritt aus der Nationalmannschaft andeutete. "Es ist ein bissl ein Ohnmachtsgefühl. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Das ganze Unglück ist mit dem Ergebnis gegen Japan passiert", sagte Müller mit Blick auf die 1:2-Auftaktpleite. "Wir müssen uns an unsere eigene Nase packen. Das Spiel gegen Japan hat alles kaputt gemacht", urteilte auch Doppel-Torschütze Havertz.
Fast eine Randnotiz im deutschen Frust blieb der Auftritt von Schiedsrichterin Stéphanie Frappart. Die 38 Jahre alte Französin leitete als erste Frau in der Historie ein Spiel der Fußball-WM der Männer und hatte das Geschehen gut im Griff.
Rekord für Manuel Neuer
Trotz aller Rufe nach einem Startelf-Platz für Superjoker Füllkrug setzte Coach Flick zu Beginn total auf "seine" ehemaligen Bayern-Spieler. Alle sieben verfügbaren Münchner liefen auf, ganz vorn Thomas Müller. Leroy Sané kam als einziger neu ins Team. Joshua Kimmich rückte aus dem zentralen Mittelfeld auf die rechte Abwehrseite und ersetzte dort Thilo Kehrer. Füllkrug bekam wieder die Joker-Rolle. "Eine schwere Entscheidung", sagte DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Flick verriet, diese Frage lange offen gehalten zu haben.
Keinen Zweifel gab es am Einsatz von Kapitän Manuel Neuer, der mit seinem 19. Spiel bei einer Weltmeisterschaft zum WM-Rekordtorhüter wurde. Er löste damit den deutschen Weltmeister von 1974, Sepp Maier, und Brasiliens Claudio Taffarel ab, die jeweils 18 Mal bei einer WM spielten.

Deutschland, Vorrunde, Gruppe E, Spieltag 3, im Al-Bait Stadion, Deutschlands Serge Gnabry (3vr) erzielt das Tor zum 0-1. Foto: Hassan Ammar/AP/dpa
Deutschland hat Costa Rica schon einmal mit 4:2 besiegt
Vor dem Anpfiff schwor Neuer sein Team noch einmal mit einigen Worten ein, dann begann das erwartete Spiel. Der Favorit war sofort drückend überlegen. Costa Rica stand tief in der eigenen Hälfte - und doch fanden Flicks Schützlinge schnell Lücken. Jamal Musiala scheiterte in der 2. Minute noch an Keeper Keylor Navas. Müller setzte völlig frei einen Kopfball daneben (9.).
Der nächste Anlauf passte: David Raums Flanke fand den unbehelligten Gnabry, der per Kopf vollstreckte. Es war das erste Kopfballtor des 27-Jährigen im Nationaltrikot. Dazu kam frohe Kunde vom Parallelspiel, auch Spanien war gegen Japan in Führung gegangen und ließ die deutschen Achtelfinal-Hoffnungen weiter steigen.
Erst zum zweiten Mal traf eine deutsche Mannschaft auf eine Auswahl Costa Ricas. Das 4:2 im Eröffnungsspiel der Heim-WM 2006 lieferte einst den Auftakt zum Sommermärchen. 16 Jahre später war vor allem Jungstar Musiala für das Spektakel zuständig, bei seinen Aktionen wurde es auch im Publikum laut.
Flick hatte seine sehr offensive Taktik voll auf den vermuteten Einbahnstraßen-Fußball ausgerichtet. Kimmich und Raum agierten nahezu als Außenstürmer, Sané sorgte in seinem 50. Länderspiel für Tempo.
Nach dem gelungenen Start tat sich die deutsche Elf jedoch immer schwerer gegen den nun besser postierten Außenseiter. In der Mitte waren die Wege oft versperrt, Flanken von außen fanden selten einen Adressaten. Oft agierte das DFB-Team zu verspielt rund um den Strafraum, anstatt kühl und schnörkellos den Abschluss zu suchen. Die mangelnde Effizienz war wie in den ersten beiden Partien in Katar erneut ein Manko, vor allem Müller spielte vorn wieder glücklos.

Costa Rica - Deutschland, Vorrunde, Gruppe E, Spieltag 3, im Al-Bait Stadion, Deutschlands Kai Havertz trifft zum 2-2. Foto: Robert Michael/dpa
Fast wäre das noch vor der Pause bestraft worden. Raum und Abwehrchef Antonio Rüdiger patzten bei einem eigentlich harmlosen Angriffsball schwer, Neuers Glanztat verhinderte beim Schuss von Keysher Fuller den Ausgleich (42.). Fuller hatte mit seinem Siegtor gegen Japan der deutschen Mannschaft erst die Tür zur K.o.-Runde wieder weiter geöffnet, damit aber auch Costa Rica nach dem 0:7 gegen Spanien zurück ins Spiel gebracht.
Zweite Halbzeit mit bitterem Ende
In der zweiten Halbzeit ging es für die deutsche Mannschaft dann rasant bergab. Leon Goretzka musste mit muskulären Problemen weichen, Lukas Klostermann kam. Dann machte die Nachricht von Japans Doppelschlag gegen Spanien im Stadion die Runde. Das erneute Vorrunden-Aus rückte ganz nah, die Nerven von Flicks Mannen flatterten.
Prompt unterlief Raum ein Fehlpass, Costa Rica konterte rasant. Kendall Wastons Kopfball parierte Neuer noch, bei Tejedas Nachschuss war er machtlos. Nichts lief nun mehr für die Deutschen, gleich zweimal scheiterte Musiala am rechten Torpfosten (61./67.).
Flick hatte längst reagiert, nach Füllkug schickte er auch Havertz und den WM-Siegtorschützen Mario Götze aufs Feld. Doch es kam noch schlimmer. Nach einem Freistoß herrschte Chaos im deutschen Strafraum, Vargas bezwang Neuer artistisch im zweiten Versuch.
Jetzt war es ein offener Schlagabtausch. Havertz blieb nach Füllkrugs Zuspiel cool und hob den Ball zum Ausgleich über Navas hinweg. Kurz darauf hätte Füllkrug dann fast selbst wieder zugeschlagen, doch nach einem tollen Konter warf sich Navas noch in seinen Schuss aus Nahdistanz. So war es wieder Havertz, der nach Gnabrys Flanke vollstreckte und die Partie drehte. Füllkrug stellte den Endstand her, sein Treffer zählte nach Videobeweis. Doch das war am Ende zu wenig.
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der Einzelkritik
Neuer: Eine Glanztat gegen Fuller (42. Minute). Beim Ausgleich machtlos. Beim zweiten Gegentor unglücklich. Ein ganz bitterer Rekordabend im 19. und wohl letzten WM-Spiel.
Kimmich: Erstmals unter Flick für 45 Minuten auf rechts zurückversetzt. Fand dort kaum ins Spiel. Auch in der zweiten Halbzeit als Sechser genügte er nicht den hohen Ansprüchen.
Süle: Der Dortmunder fand nach dem Japan-Fehlstart nie in dieses Turnier. Zu weit weg von seinen Gegnern. Paradebeispiel war das zweite Gegentor.
Rüdiger: Was für ein Bock gegen Fuller (42.) und konfus beim zweiten Gegentor. Schaltete sich am Schluss immer mehr offensiv ein - ohne Fortune.
Raum: Im Anfangsschwung mit guten Flanken. Verlor im Laufe des Spiels zu sehr an Tempo. Bei Costa Ricas Kontern nicht stabil.
Gündogan: Verteilte im Zentrum fleißig die Bälle, in die gefährlichen Zonen kam er zu selten. Musste dann aus taktischen Gründen für Füllkrug (55.) weichen.
Goretzka: Der Münchner war nicht fit. Das sah man von der ersten Minute. Ohne seine typische Dynamik. Zur Halbzeit mit muskulären Problemen raus.
Gnabry: Der deutsche Power-Man. Beruhigte mit erstem Kopfballtor im DFB-Dress erstmal die Nerven. Suchte den Abschluss. Aber zum großen Retter wurde er nicht.
Musiala: Dribbeln, dribbeln, dribbeln. Die Fans raunten vor Begeisterung. Das erste WM-Tor gelang dem jungen Münchner bei der WM-Premiere nicht.
Sané: Startete mit viel Tempo ins 50. Länderspiel. Schuf in der engen Gegnerdefensive Räume. Für das erste WM-Tor reichte es auch für ihn nicht.
Müller: Das war kein WM-Niveau mehr. Konnte Flicks Vertrauen nicht zurückzahlen. Zu viel Flipper-Fußball. Ein trauriges Turnierende für den Rio-Weltmeister.
Klostermann: Kam für die zweite Halbzeit als rechter Verteidiger. Mit zu wenig Aktionsradius, um den nötigen Torwirbel auszulösen.
Füllkrug: Warf als Joker wieder alles rein. Scheiterte erst an Costa Ricas Torwart Navas. Sein zweites WM-Tor war dann ein nutzloser Schlusspunkt.
Havertz: Kam in der Schlussoffensive und traf doppelt. Doch die Tore des Chelsea-Stürmers reichten nicht mehr.
Götze: Der Frankfurter kam beim WM-Comeback wie gegen Japan als Joker. Eine Chance, mehr nicht. Der Rio-Moment ließ sich nicht wiederholen.
Ginter: Der Freiburger bekam von Flick beim dritten WM-Turnier in der Nachspielzeit noch seine ersten WM-Minuten geschenkt.

Deutschlands Thomas Müller (M) steht mit Niklas Süle (l) und Joshua Kimmich nach dem Ausgleichstreffer auf dem Platz. Foto: Federico Gambarini/dpa
Der irre Fußball-Abend mit dem Deutschland-Aus im Kurzfilm
Die Konstellation ist heikel. Alle vier Mannschaften können noch ins Achtelfinale der Fußball-Weltmeisterschaft kommen. Im abgelegenen Stadion Al-Bait muss Deutschland gegen Costa gewinnen. Rund 50 Kilometer südlich spielt Spanien am Donnerstagabend gegen Japan im Chalifa International Stadion. Das Drama im Spielfilm.
22.00 Uhr (Ortszeit): Anpfiff der beiden Partien. Stand jetzt: Spanien Erster in der Gruppe E mit vier Punkten vor Japan (3). Dritter ist Costa Rica, wie Japan mit drei Punkten, aber der schlechteren Torbilanz nach dem 0:7-Auftakt gegen Spanien. Deutschland ist Letzter mit nur einem Zähler.
10. Minute im Al-Bait Stadion in Al-Chaur: Deutschland jubelt. Serge Gnabry trifft zur 1:0-Führung. Im Chalifa International Stadion steht es 0:0. Stand jetzt: Das reicht noch nicht. Ein zweites Tor muss her.
11. Minute im Chalifa International Stadion: 1:0 für Spanien. Alvaro Morata trifft. Stand jetzt: Deutschland ist weiter. Japan und Costa Rica wären raus.
48. Minute im Chalifa Interational Stadion: Japans Ritsu Doan erzielt das 1:1 für Japan. Stand jetzt: Japan ist weiter hinter, Deutschland ist raus.
51. Minute im Chalifa Interational Stadion: 2:1 für Japan. Ao Tanaka erzielt den Führungstreffer. Stand jetzt: Japan ist vorn, Spanien dahinter, Deutschland ist raus.
55. Minute im Al-Bait Stadion: Auf der Stadionanzeige erscheint der Zwischenstand aus dem Chalifa International Stadion. Applaus und Jubel brandet auf.
58. Minute im Al-Bait Stadion: 2:1 für Costa Rica. Die deutschen Fans sind entsetzt und fassungslos. Für den Außenseiter triff Yeltsin Tejeda. Stand jetzt: Costa Rica ist weiter, Japan auch. Die hochdekorierten Favoriten-Nationen Spanien und Deutschland sind vorgeführt worden und raus.
73. Minute im Al-Bait Stadion: Deutschland gleicht aus. 2:2 durch Kai Havertz. Stand jetzt: Das reicht nicht. Japan und Spanien sind weiter.
85. Minute im Al-Bait Stadion: Was für Spiel! Havertz zum zweiten: Der eingewechselte Profi vom FC Chelsea legt nach - 3:2 für Deutschland. Noch ein Tor muss her. Oder eins von Spanien gegen Japan. Stand jetzt: Deutschland ist raus.
89. Minute im Al-Bait Stadion: Tor! Niclas Füllkrug jubelt. Nur kurz. Schiedsrichterin Stéphanie Frappart pfeift ab. Abeits! Der Video-Schiedsrichter greift ein. Und überstimmt Frappart bei ihrer historischen WM-Premiere als erste Frau, die eine Partie leitet. 4:2 für Deutschland. Stand jetzt: Deutschland ist immer noch draußen. Spanien müsste ausgleichen. Im Chalifa International Stadion aber steht es weiter 2:1 für Japan.
90. Minute im Al-Bait Stadion: Es gibt zehn Minuten Nachspielzeit.
90. Minute im Chalifa International Stadion: Es gibt sieben Minuten Nachspielzeit.
90.+3 im Chalifa International Stadion: Abpfiff, Endstand 2:1 für Japan. Deutschland müsste noch deutlich mehr Tore erzielen.
90.+10 im Al-Bait Stadion: Abpfiff, Endstand 4:2 für Deutschland. Das reicht nicht. WM-Aus nach der Gruppenphase. Schon wieder.

Deutschlands Kai Havertz trifft zum 2-3. Foto: Christian Charisius/dpa

Costa Ricas Yeltsin Tejeda trifft zum 1-1. Foto: Robert Michael/dpa