TOliver Grundmann: „Ich habe mir zu wenig Zeit für meine Familie genommen“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Oliver Grundmann verabschiedet sich aus der Politik. Foto: Archiv
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Oliver Grundmann kehrt der Politik den Rücken. Im Interview spricht er über die Gründe für seinen Rückzug, seinen Beitrag an der Realisierung des LNG-Terminals in Stade und die Schattenseiten seiner Zeit als Berufspolitiker.
TAGEBLATT: Seit Wochen gibt es Gerüchte darüber, dass sie zur nächsten Bundestagswahl nicht noch mal antreten. Was ist da dran?
Oliver Grundmann: Das kann ich heute selbstbewusst bestätigen: Nach über zehn Jahren im Bundestag und drei spannenden Legislaturperioden ist es für mich an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Das müssen Sie uns erklären.
Als ich 2013 in den Bundestag gewählt wurde, stand unsere Region vor großen Herausforderungen: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hatte ihre Spuren hinterlassen, das AKW in Stade war seit zehn Jahren abgeschaltet und der Stader Hafen befand sich in einem schlechten Zustand. Die Industrie drohte abzuwandern. Ich hatte ein großes Ziel: Ich wollte meine Heimat wieder an die Spitze der nordeuropäischen Energie-Standorte führen. Heute steht fest: Es ist vollbracht. Die Bagger rollen.
Wir bekommen das erste und vor allem größte Anlande-Terminal für flüssige Gase, die größte Energiedrehscheibe in Deutschland. Mehr als 1,4 Milliarden Euro werden hier verbaut.
Und davon profitieren wir alle, jeder einzelne Bewohner dieser Region. Es sind ja nicht nur neue, zukunftsfeste Arbeitsplätze, die hier entstehen und die nachgelagerte Wasserstoffwirtschaft im gesamten Elbe-Weser-Raum. Nein, wir können wohl auch über geringere Netzentgelte profitieren. Das Terminal kann das Gas für uns dauerhaft günstiger machen.
Dieses Terminal haben wir gegen raue Winde durchgesetzt
Oliver Grundmann, CDU
Und ich möchte betonen: Dieses Terminal, diese Milliarden-Investition, haben wir gegen raue Winde durchgesetzt. Wir haben es gegen den Bundeskanzler, gegen Olaf Scholz ganz persönlich durchgekämpft, der in seiner historischen Zeitenwende-Rede steif und fest behauptete, in Deutschland würden nur zwei Terminals gebaut, und zwar in Brunsbüttel und in Wilhelmshaven.
Und jetzt – jetzt ist Stade die Nummer 1. Das bedeutet, wir werden einer der mächtigsten Anlandepunkte in Europa, die größte private Industriebaustelle in ganz Deutschland. Mit Hafenerweiterung, Terminal und Pipelineausbau werden insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro in unseren Elbe-Weser-Raum gespült. Und mit dem Baustart locken wir weitere Investitionen an. Es ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte, auf die wir alle sehr stolz sein können!
Manche hier im Wahlkreis sagen, den Grundmann, den gibt‘s nur noch im Dreierpack zusammen mit Wasserstoff und LNG?
Ich habe in meiner Arbeit eines gelernt: Wenn Du durchschlagende Wirkung erzielen willst, dann musst Du Dich fokussieren und auf wenige Themen konzentrieren - das hat mir Wolfgang Schäuble am Anfang meiner Zeit in Berlin mit auf den Weg gegeben.
Das Größte, was Du als Abgeordneter für deinen Wahlkreis erreichen kannst, ist, dass Du etwas Bleibendes hinterlässt, dass Du ganz konkret mit bestimmten Themen und Projekten verbunden wirst.
Energieversorgung
Milliarden-Investition in Stade: LNG-Terminal wird gebaut
Wir befinden uns gerade in einem begrenzten Zeitfenster, das darüber entscheidet, ob es uns gelingt, unsere Heimat zum Drehkreuz für die Energie-Zukunft Deutschlands zu machen – oder eben nicht. Das war und ist eine Jahrhundertchance, für uns, für die gesamte Region – diese einmalige Chance haben wir genutzt!
Ist Jahrhundertchance da nicht etwas hochgegriffen?
Fakt ist: Wasserstoff und grüne Gase werden neben regenerativem Strom in den nächsten Jahrzehnten nahezu alle bisher bekannten Energieträger ersetzen. Wir werden künftig rund zwei Drittel unserer Energien importieren und nebenbei Stade zur neuen Energie-Hauptstadt machen. Das habe ich bereits 2017 auf dem Kreisparteitag angekündigt. Das habe ich in meiner Nominierungsrede vor vier Jahren versprochen.
Und heute kann ich sagen: Mission erfüllt. Und als Sahnehaube obendrauf haben wir noch die große Chance auf eine hochmoderne Lithiumproduktion und weitere große Zukunftsinvestitionen, dazu war ich gerade in Chile und führe zurzeit vielversprechende Gespräche. Da besucht uns im Juni eine hochrangige Delegation aus den Emiraten. Mehr will ich an dieser Stelle aber noch nicht verraten.
Elektro-Antriebe
T Diese Nachricht macht Mut: Neue Firma im Chemie-Park Stade
Sie sitzen seit 2013 im Bundestag: Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Das waren drei spannende Legislaturperioden. Die Erste war die Härteste, weil man sich in Berlin erst mal einen Namen machen muss. Ohne die richtigen Netzwerke und Ämter kannst Du keine großen Dinger reißen. Ich hatte aber das Glück, als Jurist und ehemaliger Geschäftsführer in einer großen mittelständischen Unternehmensgruppe grundlegende Gesetze im Bereich Planungsbeschleunigung verhandeln zu dürfen.
Damit konnte ich sprichwörtlich den Grundstein für die Großinvestitionen bei uns im Wahlkreis legen. Na ja, und das Durchboxen und Allianzen schmieden, das habe ich bei meinen Freunden in Bremervörde gelernt.
In der zweiten Legislatur gelang mir dann der Sprung zum Chef der CDU-Küstenparlamentarier. Da saßen die wichtigsten Haushalts- und Energiepolitiker drin, alles, was Rang und Namen hatte von der Küste. Aber vor allem der direkte Draht ins Kanzleramt und zur neuen Fraktionsspitze um Ralph Brinkhaus war sehr hilfreich. In dieser Zeit entstanden wichtige Zukunftspläne.
In der dritten Legislatur hieß es dann: Ernte einfahren.
Die FSRU (Anm. d. Red.: Floating Storage and Regasification Unit; übersetzt: schwimmendes Anlandungsterminal für verflüssigtes Erdgas), der Hafenausbau, das milliardenschwere Terminal. Vor allem war ich weltweit unterwegs, als Experte meiner Fraktion für die Themen Wasserstoff und internationale Energiepartnerschaften. Ich las dazu vor Kurzem, der Grundmann jettet nur noch um die Welt. Mal ehrlich, viele missverstehen den Job eines Abgeordneten. Milliarden-Investitionen kommen schließlich nicht von allein zu uns.
Gerade im Nahen Osten, in den USA oder Südamerika suchen Investoren nach politischen Köpfen, denen sie vertrauen und nach deren Empfehlungen sie ihre Investitionsentscheidungen ausrichten. Das erfordert Vertrauen, was zunächst hart erarbeitet werden muss.
Das klingt nach harter Arbeit. Gibt es denn auch Dinge, die Sie bedauern?
Ich will da nicht drum herumreden. Ich habe mir zu wenig Zeit für meine Familie genommen, Freunde und ja, auch zu wenig Zeit für meine stärksten Unterstützer. Und ich zahle dafür auch einen echt hohen persönlichen Preis. Und ja, auch meinen Parteifreunden habe ich nicht immer die Aufmerksamkeit und vor allem Präsenz geschenkt, die sie verdienen.
Da habe ich einige enttäuscht. Die wollten einen Abgeordneten zum Anfassen. Und keinen, der entweder nicht da ist oder, wenn er mal da ist, von Wasserstoff-Projekten in Patagonien erzählt. Ich hoffe, meine Kritiker sehen mir das nach und nehmen mir ab, dass ich in den letzten zehn Jahren mit Haut und Haaren für die Zukunft unserer Region gekämpft habe.
Wofür sind sie dankbar?
Obwohl ich gerade auch in Bremervörde und Selsingen zuletzt weniger präsent war, haben meine Parteifreunde mich immer machen lassen, haben mir vertraut. Das hat mir Stärke verliehen. Das sage ich aus tiefster Demut und Dankbarkeit für meine langjährigen politischen Freunde.
TAGEBLATT-Kolumne
T Der CDU-Abgeordnete Grundmann und die Probleme mit seiner Partei
Dankbar bin ich vor allem auch meiner Familie, die nicht viel von mir hatte. Wenn man das Aufwachsen seiner Kinder verpasst, dann kann man das nicht mehr nachholen. Das tut mir sehr leid. Deshalb bin auch ein echter Kämpfer für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geworden. Wenigstens der Sonntag sollte für die Familie reserviert bleiben. Das ist leider im politischen Geschäft längst noch nicht der Fall.
Was haben Sie in den nächsten eineinhalb Jahren im Bundestag noch vor?
Ich arbeite gerade mit Jens Spahn an einem umfassenden Konzept für eine Grüngas-Quote im bestehenden Erdgasnetz. Unser Ziel ist es, die Energieträger schnellstmöglich klimafreundlich zu machen, ohne Heizungen und Gasleitungen herauszureißen.
Wir möchten das Biomethan unserer Landwirte und grünes Gas über unser Terminal in Stade direkt ins Gasnetz einspeisen und so das fossile Gas ersetzen. Dadurch können Privathaushalte und Industrie ihre CO2-Einsparziele erreichen, ohne dass eine neue Heizung erforderlich ist, also ähnlich wie wir heute Ökostrom aus dem Stromnetz beziehen, und das zu bezahlbaren Preisen.
Am Ende waren Sie einer von 730 Bundestagsabgeordneten. Wie konnte man da Wirkung entfalten?
Da kamen mir ohne Frage meine Berufserfahrung und mein privatwirtschaftlicher Hintergrund zugute. Diese Verankerung im realen Leben verschafft einem Abgeordneten eine innere Unabhängigkeit, die für die persönliche Wirksamkeit und das eigene politische Urteilsvermögen unentbehrlich ist. Und klar, auch als dreimal souverän direkt gewählter Abgeordneter hat man einfach ein anderes Standing.
Haben Sie damit das Anforderungsprofil für ihren Nachfolger definiert?
Das steht mir nicht zu. Im Übrigen glaube ich, dass ich mir da keine Sorgen machen muss. Allenfalls ein Wunsch: Wir brauchen mehr Frauen in der Politik. Vielen Debatten tut eine weibliche Stimme gut, und kämpfen können die auch. Nehmen Sie Gitta Connemann, unsere Stimme des Mittelstandes und eine der besten Kolleginnen, die ich kenne. Von solchen starken Frauen brauchen wir mehr.
Was planen Sie für die Zeit nach dem Bundestag?
Ich werde mich bis zum letzten Tag mit ganzer Kraft meinem Mandat widmen, denn dafür wurde ich gewählt. Danach sehen wir weiter. Ich wollte nie Berufspolitiker sein, für mich war das immer nur ein Mandat auf Zeit – und so sollte es auch sein. Mein größter Respekt galt immer den Politikerinnen und Politikern, die nicht ihr Leben lang Politik gemacht haben.