Andrea Reidl: Sie weiß mehr als 101 Dinge über das Radfahren
Die Buxtehuder Journalistin Andrea Reidl ist unter die Buchautorinnen gegangen: Für den GeraMond-Verlag hat sie „101 Dinge, die ein Fahrrad-Fan wissen muss“ zusammengetragen.
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Das Ratgeberbuch ist im vergangenen Mai erschienen, das Projekt konnte sie ohne größere Mühe bewältigen: Die 49-Jährige schreibt und bloggt seit vielen Jahren über das Radfahren und die Verkehrsinfrastruktur. Auch im Verkehrs- und im Umweltministerium ist sie gefragt. Von Sven Husung
Die Eurobike, für die Reidl nach Friedrichshafen gereist ist, gilt als eine der internationalen Leitmessen der Fahrradindustrie. Ein Pflichttermin für die Journalistin und Bloggerin. Und wie immer kommt sie mit frischen Eindrücken zurück. Das Trendthema dieses Jahres? „Ganz klar Cargobikes“, so Reidl. Die Lastenräder erleben in Städten gerade ein Revival. Viele Hersteller bieten praktikable Lösungen für Lieferdienste und Handwerker an.
Auch in ihrem Buch hat die Buxtehuderin diesem Trend zwei Seiten gewidmet – der Hype um das Lastenrad hatte sich schon vor der Messe abgezeichnet. Unter Punkt 91 von „101 Dingen, die ein Fahrrad-Fan wissen muss“, informiert sie über Beschaffenheit, Formen und Einsatzmöglichkeiten der Cargobikes: „Das Anfahren unter Last fordert die Beinmuskulatur. Rollt das Fahrzeug aber erst einmal, kommt man trotz der Zuglast gut voran. Bedeutend leichter geht es allerdings mit Motor“, heißt es in dem Buch.
Der Lastenverkehr per Fahrrad wird in Deutschland laut Andrea Reidl zunehmen. Foto: Evolo
In ihrem Ratgeber führt Andrea Reidl nicht nur die verschiedenen Bauweisen und Typen von Rädern und technische Merkmale auf, sondern nimmt das Fahrrad auch kulturgeschichtlich und in Hinsicht auf seine soziale Bedeutung in den Blick. So habe die Erfindung der Laufmaschine durch Karl von Drais im Jahr 1817 – nach dem Erbauer „Draisine“ genannt – einen gesellschaftlichen Umbruch eingeleitet. Die Folgen der gewonnenen Mobilität ohne kostspielige Hilfsmittel wie Pferde und später Automobile, die Einsatzmöglichkeiten im Freizeitbereich und dem Profisport und die politische Dimension nimmt Reidl in 101 Kurzkapiteln in den Blick – immer schwungvoll geschrieben und mit vielen eigenen Bildern illustriert.
„Das Buch ist nicht nur für Fahrrad-Fans geeignet“, sagt die Autorin im Gespräch. Und tatsächlich schafft es die Fahrrad- und Mobilitätsexpertin, auch dröge Aspekte wie die Erfindung der Nabenschaltung in interessante Zusammenhänge zu stellen und kurzweilig zu beschreiben. Andrea Reidl ist Journalistin und weiß genau, wie Texte auch für eine fachfremde Leserschaft geschrieben werden müssen. Ihre Ausbildung hat sie im Jahr 1999 beim TAGEBLATT absolviert, danach war sie freiberuflich für verschiedene Medien tätig.
Obwohl die gebürtige Rheinländerin immer gern Fahrrad gefahren ist, hatte sie nie geplant, sich auf das Thema zu spezialisieren. Den Anstoß dazu gab die Anfrage eines SPIEGEL-Redakteurs aus dem Auto-Ressort. Sie sollte für eine Reportage engagiert werden, reagierte aber ablehnend: „Autos? Find ich blöd!“, so ihre Antwort. Trotzdem begann sie für das Auto-Ressort zu schreiben – und suchte sich außergewöhnliche Geschichten abseits der klassischen Auto-Berichterstattung. Für den SPIEGEL besuchte sie Bobbycar-Rennen, Muscle-Car-Events und tauchte mit dem Besuch eines Bike-Polo-Turniers in die Fahrradsubkultur ein. „So bin ich in dem Thema gelandet“, sagt sie.
Die Trendsportart "Bikepolo". Foto: Reidl
Nach und nach hat sich die Journalistin zu einer Expertin für Verkehrspolitik und Mobilität entwickelt. „Anfangs habe ich noch viel über die Technik geschrieben“, sagt sie. Für ZEIT ONLINE verfasste sie dann viele Jahre den Fahrrad-Blog „Velophil“ und nahm darin zusätzlich die Arbeit von Politikern und Verkehrsplanern sowie die Fahrradkultur in den Blick. Seit ihrem Ausstieg Ende 2015 betreibt sie mit „Busy Streets“ ihren eigenen Blog über „zeitgemäßes Radfahren in sich wandelnden Städten“, wie es auf der Webseite heißt.
Pressereisen führen die 49-Jährige über den ganzen Globus, wo sie sich in Städten wie New York und Helsinki mit eigenen Augen ansieht, wie Verkehrs- und Mobilitätskonzepte umgesetzt werden. In der finnischen Hauptstadt ist etwa ein Radschnellweg auf einer ehemaligen Bahnstrecke im Zentrum entstanden, in New York wurde eine Verkehrsachse auf dem Time Square zeitweise gesperrt, um ein neues Fahrradkonzept zu testen. „Der Widerstand in der Bevölkerung war groß.“ Als der Probelauf glatt lief, akzeptierten die New Yorker das Projekt sofort.“
Diese Entschlossenheit wünscht sich die Fahrradexpertin auch in Deutschland. „Es ist beeindruckend, was möglich ist, wenn der politische Wille da ist. Vor allem in der Lokalpolitik fehlt es hier noch an Aufklärung.“ Und sie sagt: In Deutschland sei keine Stadt richtig gut. „Wir haben jahrzehntelang Autostädte gebaut.“ Das räche sich jetzt. Ihrer Ansicht nach fehlen in Deutschland klare Strukturen. Beispielsweise fordert sie – auch für ihren Wohnort Buxtehude – besser ausgewiesene Radwege und deutliche Symbole: „In Amerika sind alle Radwege blau markiert, andere Länder haben andere Farben.“
Städte wie Kopenhagen haben massiv in den Radverkehr investiert. Foto: L. Rolfsted Mortensen
In Deutschland verwirre dagegen die rote Pflasterung, die an vielen Stellen und nicht nur für Radfahrer auftauche. In Buxtehude etwa vom Bahnhof Süd in Richtung Hauptstraße. Auch die Verkehrsführung in der Bahnhofstraße Richtung Altstadt ist ihr ein Dorn im Auge. „Warum nicht die Straße für den Autoverkehr sperren? Oder nur für eine Richtung öffnen und einen Ringverkehr installieren?“, schlägt sie vor. Die Umgestaltung der Bahnhofstraße in eine Fußgängerzone ist immer wieder Thema in der Buxtehuder Politik. Andrea Reidl wünscht sich auch großzügige Radwege für die Verbindung zwischen Bahnhof und Altstadt. Skeptikern sagt sie: „Auch die Buxtehuder Altstadt war früher für den Autoverkehr offen.“ Und das könne sich heute keiner mehr vorstellen.
Auch als Moderatorin und Vortragsrednerin ist die Expertin unterwegs. So führt sie Polit-Talks in Städten, die sich auf den Weg zu Radfahrkonzepten machen, moderiert Messeveranstaltungen zu Themen wie dem Dienstrad-Leasing und lenkt Diskussionen des Verkehrs- und des Umweltministeriums. Besonders im Umweltamt sei der Radverkehr gerade Boom-Thema. Sie habe Glück, weil sich die Atmosphäre in den Städten gewandelt hat: „Die Probleme gab es schon vor fünf Jahren, aber jetzt ist der Handlungsdruck da.“
Die Expertise aus ihrer langjährigen Beschäftigung mit dem Radverkehr steckt auch in den 192 Seiten ihres Buches – wenn auch in Häppchen verpackt und ausschnitthaft. Den ersten Schritt hatte der GeraMond-Verlag im vergangenen Jahr gemacht und bei ihr angefragt – pünktlich zum 200. Geburtstag des Fahrrads. Für die Texte brauchte sie zwei Monate. „Es war schön, noch einmal alle Zusammenhänge zu sehen und die Geschichte des Fahrrads aufzuarbeiten“, sagt sie. Dabei seien ihr zwei Einschnitte besonders bewusst geworden: die Erfindung des Mountainbikes mit Schaltung, Federung und leistungsstarken Bremsen sowie die Elektrifizierung. „Ohne die E-Bikes würden wir jetzt nicht über Velo-Routen zwischen Stade und Hamburg sprechen.“ Diese Strecke ist Teil des Radverkehrskonzeptes für die Metropolregion Hamburg.
Selbst fährt die Journalistin täglich mit dem Rad in ihr Buxtehuder Büro. Ihre längste Tour hat sie während ihres Studiums in Bremen unternommen: Mit einem Sechs-Gang-Hercules-Rad sei sie sechs Wochen lang durch Südfrankreich geradelt. Von ihrem beruflichen Schwerpunkt hat sie noch lange nicht genug. Schließlich stünden wir in Deutschland gerade an einem spannenden Scheideweg. „Wir entscheiden jetzt, wie unsere Städte in der Zukunft aussehen.“
Andrea Reidl: „101 Dinge, die ein Fahrrad-Fan wissen muss“. 192 Seiten, broschiert, 14,99 Euro. Erschienen 2018 im Verlag GeraMond.
Weit mehr als einen Familienroman hat die Italienerin Francesca Melandri mit ihrem dritten Buch „ Alle, außer mir“ geschrieben. Es handelt von der unrühmlichen und verdrängten Kolonialgeschichte Italiens und deren Folgen.
Weit mehr als einen Familienroman hat die Italienerin Francesca Melandri mit ihrem dritten Buch „ Alle, außer mir“ geschrieben. Es handelt von der unrühmlichen und verdrängten Kolonialgeschichte Italiens und deren Folgen.
An einem heißen Augustabend des Jahres 2010 trifft die in Rom lebende Lehrerin Ilaria vor ihrer Wohnungstür einen jungen Afrikaner, der behauptet, ihr Neffe zu sein. In seinem Pass liest Ilaria den Namen ihres italienischen Vaters und auch ihres Halbbruders.
Sein Vater, so berichtet der junge Mann, starb an den Folgen von Haft und Folter unter der äthiopischen Militärjunta, er selbst floh nach Massakern nach Italien. Doch nun soll er abgeschoben werden.
Dieses Treffen ist für Ilaria der Anlass, sich auf die Suche nach der Geschichte ihrer Familie und ihres Landes zu begeben. Dabei drängen unbequeme Wahrheiten ans Licht und bringen ihr Weltbild ins Wanken: Statt als Partisan kämpfte ihr Vater Attilio für Mussolinis Faschisten und war an der brutalen Annektion Äthiopiens im Jahr 1935 beteiligt. Trotzdem begehrte er aufrichtig eine junge Äthiopierin und zeugte ein Kind mit ihr, ehe er nach Italien zurückging. Diesen Sohn erkannte er offiziell nie an, setzte sich aber später für ihn ein, um ihn aus dem Gefängnis zu holen.
Melandris Epos ist nicht nur eine spannend geschriebene und erschütternde Familiengeschichte. Der Roman verknüpft die Historie mit der Gegenwart und den Geschichten der heute Asylsuchenden. Immer wieder zwingt die Autorin den Leser, sich in seiner bequem eingerichteten Wohlstandsgesellschaft den Fragen nach Moral, Schuld und Recht neu zu stellen.
Susanne Seemann, Organisatorin des Literarischen Cafés im Kulturforum in Buxtehude
„Ich lese gerade das Buch ‚Ein Mädchen, ein Traum. Solo um die Welt‘ von Laura Dekker. Es ist die Geschichte einer 15-jährigen Niederländerin, die mit ihrem Boot von 2010 bis 2012 allein um die Welt gesegelt ist. Ich hatte es nie verstanden, wie ein so junger Mensch einhand um die Welt segeln kann. Durch die Lektüre kann ich sie verstehen.“