Bomber-Absturz bei der Operation Gomorrha in Buxtehude

Dietrich Alsdorf (links) von der Kreisarchäologie sowie Antonio Bolívar (3. von links) und Dieter Pintatis aus Ardestorf (4. von links) haben sich vor Ort mit dem Absturz eines britischen Lancaster-Bombers in Daensen an der Este beschäftigt
Angehörige einer britischen Bomberbesatzung haben am Sonnabend in Daensen bei Buxtehude einen Gedenkstein enthüllt. Der Stein erinnert an sieben Flieger, die am 3. August 1943 beim Absturz ihrer viermotorigen Lancaster den Tod gefunden hatten.
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Mit Holzkreuzen erinnerten die Angehörigen an die Crew, die bei ihrem dritten gemeinsamen Einsatz den Tod fand. Deshalb gibt es kein Foto der Besatzung. Über Jahrzehnte wussten ihre Familien nicht, wo sie gestorben waren. Lange Zeit hieß es, dass Nachtjäger den Bomber in der Nähe von Juist über der Nordsee abgeschossen hatten. Der Leutnant Hermann Leube hatte den Bomber-Abschuss für sich reklamiert. Doch das entspricht nicht den Tatsachen. Recherchen und Ausgrabungen des früheren Elstorfer Diakons Dieter Pintatis ist es zu verdanken, dass die Angehörigen heute Gewissheit haben.
Ein Lancaster-Bomber der Serie MKIII wird mit Bomben beladen; ein Flieger dieses Typs stürzte an der Este ab.
Das ist die Geschichte einer langen Suche: Kurz vor ihrem Tod hatte seine Mutter ihn 1989 gebeten, herauszufinden, was am 2./3. August 1943 während der „Operation Gomorrha“ mit ihrem Bruder Benjamin Robinson geschehen war, sagte Tony Clifford dem TAGEBLATT. Er machte sich auf die Suche – in den Archiven und in Internetforen. Pintatis hatte sich nach ZeitzeugenInterviews zum Zweiten Weltkrieg im Jahr 2005 und einem Gespräch mit dem Bombenkrieg-Experten Dietrich Alsdorf von der Kreisarchäologie, aufgemacht, das Rätsel des Bomberabsturzes von Daensen zu klären.
Sicher ist, dass die sieben am 2. August kurz vor Mitternacht mit ihrem viermotorigen Bomber vom Typ ‚Lancaster Mark III W 5000 QR - N‘ abhoben. Es war einer von rund 340 Bombern, die mit Ziel starteten, über Hamburg Spreng- und Brandbomben abzuwerfen. Doch das Wetter war zu schlecht: Dichte Wolken hingen über Hamburg, starke Gewitter zogen über die Elbe. Sie machten sich aus diesem Grund auf dem Heimweg nach England. Mehrere Flugabwehr-Kanonen („Flak“) nahmen sie unter Beschuss. Die Flak-Stellungen in Neuland, in Eißendorf und die Eisenbahn-Flak zwischen Harburg und Stade reklamierten den Abschuss dieses Bombers für sich. Um 2.02 Uhr, heißt in den Berichten der deutschen Behörden aus dieser Zeit, sei der Lancaster-Bomber am 3. August 1943 bei Daensen abgestürzt. Der Flieger habe noch Spreng- und Stabbrandbomben und die Phosphor-Kanister an Bord gehabt. Gewichte mehrerer Stabbrandbomben zeugen davon. „Es ist beim Aufprall explodiert“, sind Pintatis und Alsdorf überzeugt. Laut Zeitzeugen waren die Bomber auch von Nachtjägern angegriffen worden, die Explosion sei noch in Daensen und Pippensen zu hören gewesen. Das Wrack versank mit den Toten am Waldrand in einem Krater von rund 30 Metern Durchmesser in den Wiesen. Ein Bergungstrupp der Luftwaffe aus Stade, auf dem Fliegerhorst waren Nachtjäger stationiert, habe sich am Tag vor Ort umgeguckt, Leichenteile sollen zu sehen gewesen sein. Bis zu 400 Meter flogen die Wrackteile.
Beweis I: Der Packard Merlin-Motor.
Nach dem Krieg versuchten Schrottsammler, die Reste des Wracks mithilfe von Pumpen und Flaschenzügen zu bergen. Das Abpumpen scheiterte letztlich, sie sollen einen Motor geborgen haben. Kurzfristig war auch die Kanzel mit dem toten Piloten zu sehen gewesen, berichtete der Zeitzeuge Walter Johannsen aus Pippensen vor einigen Jahren dem TAGEBLATT, bevor der Kampfmittelräumdienst die Absturzstelle untersuchte. Später wuchs der Krater zu, ein Teil des riesigen Wasserlochs wurde mit Müll verfüllt, berichtet Dietrich Alsdorf. Die Absturzstelle ist heute als Kriegsgräberstätte und als Bodendenkmal geschützt.
1976 fand Alsdorf dort den Schlauch einer Sauerstoffmaske eines Fliegers. Rund 100 Flugzeuge der Alliierten und der Deutschen seien 1939 bis 1945 im Landkreis Stade abgestürzt. Auf dem Rückflug warfen britische Bomber ihre übrig gebliebenen Bomben über Dörfern wie Apensen, Hollenbeck oder Ahlerstedt ab, um Höhe zu gewinnen. Flieger, die abstürzten und überlebten, wurden zum Teil schwer misshandelt und ausgeplündert.
2013 fanden Pintatis und die Angehörigen der Besatzung über die Diskussion in einem Internetforum zusammen, der Ardestorfer war sich – nach von Stadtarchäologe Dr. Bernd Habermann genehmigten Ausgrabungen – sicher, dass es sich um den gesuchten Bomber handeln musste, auch wenn das Schild mit der Motorennummer fehlt. Die Beweise: Nur eine der abgestürzten drei Lancaster-Maschinen war in dieser Nacht mit einem Packard-Merlin-Motor unterwegs, des Weiteren buddelte Pintatis die Abdeckung eines Maschinengewehrs (Browning 303 MG) mit der Aufschrift W 5000 und einen Bombenabwurfmechanismus aus.
Jan Stosiek, Peter Lyon, Roger Gibb und Tony Clifford legten am Sonnabend einen Kranz für die Toten vor den Gedenkstein nieder. Clifford betonte berührt, wie wichtig es für sie alle sei, Gewissheit über die Umstände des Todes ihrer Angehörigen zu haben und dass es, so Peter Lyon, einen Ort der Erinnerung gebe. Pintatis unterstrich, dass die Männer gegen die Nazi-Diktatur und für die Freiheit gekämpft hätten. Deutsche und Briten betonten, wie glücklich sie seien, dass seit mehr als 70 Jahren Frieden herrsche.
„Operation Gomorrha“: Das war der militärische Codename für zwei Tagesangriffe der Amerikaner und fünf Nachtangriffe der Briten vom 25. Juli bis zum 3. August 1943 auf die Stadt Hamburg. Sie war auch eine Antwort auf den verbrecherischen Angriffskrieg des Dritten Reiches. Bei den Flächenbombardements starben rund 34 000 Menschen, 125 000 wurden verletzt. Durch Spreng- und Brandbomben entstanden Feuerstürme. Die Stadt lag in Schutt und Asche, rund 600 Industrieanlagen und 280 000 Wohnungen wurden zerstört. Der britische Marshall Arthur Harris wollte mit dem Bombenkrieg die Moral der Bevölkerung untergraben. Kriegsentscheidend war das alles nicht.

Tony Clifford (rechts) an der Absturzstelle an der Este.

Auch Roger Gibbs Onkel Sergeant George Hodges , Flugingenieur der Lancaster, starb bei dem Absturz.

Beweis II: MG-Klappe mit W5000.