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Buxtehuder Tafel schließt keine Bedürftigen aus

Jeder ist willkommen: Heiderun Land, Pastor Michael Glawion, Hannelore Hesse und Karin Singer vom Tafel-Team der St.-Petri-Gemeinde. Foto Vasel

Jeder ist willkommen: Heiderun Land, Pastor Michael Glawion, Hannelore Hesse und Karin Singer vom Tafel-Team der St.-Petri-Gemeinde. Foto Vasel

Die Diskussion um die Entscheidung der „Essener Tafel" vorübergehend nur noch Kunden mit deutschem Pass aufzunehmen, hat auch in Buxtehude für Diskussionsstoff gesorgt. Ihre Haltung ist eindeutig: Das christliche Menschenbild verbiete es, Bedürftige auszuschließen.

Von Björn Vasel Montag, 12.03.2018, 16:00 Uhr

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„Bei uns geht niemand mit leeren Taschen nach Hause“, betont Hannelore Hesse vom ehrenamtlichen Tafel-Team der St.-Petri-Kirchengemeinde in Buxtehude. „Diakonie heißt: Jeder kann zu uns kommen, der unsere Hilfe benötigt. Jemanden auszuschließen, würde unserem christlichen Menschenbild widersprechen“, sagt Pastor Michael Glawion. Für die drei Ehrenamtlichen Heiderun Land, Hannelore Hesse und Karin Singer war die Entscheidung der Essener Tafel ein Hilferuf an die Politik – und kein Zeichen für Rassismus. Leider habe die AfD das Thema für sich instrumentalisiert. In Buxtehude hätten sie ausreichend Ehrenamtliche und Lebensmittel, bei einigen deutschen Tafeln in sozialen Brennpunkten gebe es Engpässe. Die Bürger müssten sich bewusst sein, dass die Tafeln kein „Reparaturbetrieb des Sozialstaates“ sind. „Wir lindern nur die Symptome, mehr können wir nicht leisten“, sagt der Pastor.

In Buxtehude sei der Ausländeranteil seit dem Jahr 2015 „deutlich zurückgegangen“. Zahlen gibt es nicht, der Ausländer-Anteil wird nicht extra erfasst. 559 Erwachsene und 482 Kinder zählt die Buxtehuder Kundenstatistik. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle hatten die Buxtehuder mit dem Mittwoch wegen des höheren Betreuungsaufwandes einen dritten Ausgabetag eingeführt – für die Flüchtlinge. Die 50 Ehrenamtlichen wurden in der Zeit von Sprachmittlern unterstützt. Ansatz: Die Neu-Kunden, die viele der Lebensmittel nicht kannten oder aus religiösen Gründen nicht essen (Inhaltsstoffe) dürfen, sollten umfassend informiert werden. Flüchtlinge aus Syrien und Albanien halfen beim Sortieren der Ware. Noch heute hängen Info-Zettel in Deutsch, Arabisch und Farsi an der Pinnwand.

Mittlerweile ist der dritte Ausgabetag wieder abgeschafft, die Flüchtlinge sind in die beiden Ausgabetage integriert worden. Einen Verdrängungswettbewerb gebe es in Buxtehude nicht. Das liege auch am 14-täglichen Verteilungssystem. Und auf dem TafelAusweis steht eine vierstellige Nummer, abwechselnd wird mit der niedrigsten oder höchsten Ziffer begonnen. Damit Ältere und Kranke nicht in der Schlange stehen müssen, wird für sie eine halbe Stunde früher geöffnet. In diesem Zeitfenster dürfen auch Flüchtlinge kommen, die nachmittags zur Schule oder zum Sprachunterricht gehen. Das klappe gut, so Hesse. Natürlich gebe es ab und zu Konflikte, die allerdings seien menschlicher Natur – und nicht herkunftsbedingt.

Keimzelle der Buxtehuder Tafel waren das Obdachlosenfrühstück und die Wärmestube in der Turmkapelle, seit 2002 sitzt die Tafel an der Hansestraße. Die Helfer sammeln die überschüssigen, aber qualitativ einwandfreien Lebensmittel – bei einigen ist beispielsweise das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen – in 15 Supermärkten ein, sortieren die Ware und geben diese an „nachweislich bedürftige Menschen“ gegen einen Kostenbeitrag an zwei Tagen in der Woche ab. Wie in einem Markt können sie sich die Ware selbst aussuchen – abhängig vom Angebot. Stichwort: Würde und Wertschätzung. So zahlt eine Einzelperson einen Euro an der Kasse, ein Zwei- bis FünfPersonen-Haushalt ist mit zwei Euro und Großfamilien mit drei Euro dabei. „Die Tafel ist ein zusätzliches Angebot“, betont Karin Singer.

Vermehrt kämen Ältere, ob das ein Zeichen für steigende Altersarmut sei, sei offen. Vielleicht liege es auch daran, dass die Tafel bewusst Lebensmittel nicht mehr in Tüten wie Almosen verteile. Die Tafel gebe mit ihrem Supermarkt-Prinzip und dem Entgelt den Menschen ihre Würde zurück und lasse sie am Konsum teilhaben, so Pastor Michael Glawion von der St.-Petri-Gemeinde, die Trägerin der Tafeln in Buxtehude und in Horneburg ist. Sie könnten sich auf diese Weise Dinge wie Tulpen, Süßes oder Südfrüchte leisten, die sich mit dem Hartz IV-Satz nicht so leicht bezahlen ließen, so die Ehrenamtliche Heiderun Land. Ein Trend: Es gebe eine Tendenz zur dauerhaften Bedürftigkeit unter den Kunden.

Bundesweit nutzen 1,5 Millionen Menschen das Tafel-Angebot. 900 gibt es bundesweit. Jeder vierte Tafel-Kunde ist unter 18 Jahre, jeder fünfte kommt aus Altersarmut. Rund die Hälfte erhält Arbeitslosengeld. Im Landkreis Stade gibt es die Tafeln in Stade, Harsefeld, Drochtersen, Himmelpforten sowie in Buxtehude und Horneburg. In Buxtehude gibt es eine enge Anbindung an die Schuldner-Sofort-Begleitung, aber auch eine Sucht- oder eine Lebens- und Eheberatung der Diakonie.

www.tafel.de

„In Stade läuft es gut“, sagt die Geschäftsführerin des Diakonieverbandes, Annette Kirn. Unter ihrer Regie stehen die Tafel-Ausgabestellen in Stade und Harsefeld. „Eine Problematik wie in Essen haben wir nicht.“ 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, sei die Situation „schwierig“ gewesen. Einige Flüchtlinge seien sehr „ruppig“ aufgetreten. Dagegen sei das Team sofort angegangen: „Da muss eine Klarheit her, dann klappt das auch.“ Entschiedenes Auftreten der Mitarbeiter und zur Not ein Hausverbot für die Störenfriede – mit dieser Linie habe die Stader Tafel gute Erfahrungen gemacht. Eigene Ausgabetage für Flüchtlinge habe es deshalb nicht gegeben. „Die Leute haben sich so zu verhalten wie bei Rewe, Lidl oder Aldi“, beschreibt Kirn ihre Grundhaltung. Der Kundenstamm habe zugenommen, das Angebot an Lebensmitteln aber nicht. Doch die Tafel sei kein Vollversorger, sondern eine Hilfe für Menschen mit kleinen Einkommen. Alleinerziehende oder Rentner sollen unterstützt werden, unterstreicht Kirn. Rund 1200 Kunden hat die Stader Tafel in Drochtersen, Himmelpforten, Stade und Harsefeld.

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