Zähl Pixel
Erinnerungen an das Ende des Ersten Weltkrieges

Dankbarkeit für den Frieden

Wilhelm Hauschild im Krieg. Der 17 Jahre alte Soldat sitzt ganz rechts. Er wurde 1916 ins Großherzoglich- Mecklenburgische Feld-Artillerie-Regiment Nummer 60 eingezogen. Foto Familie

Wilhelm Hauschild im Krieg. Der 17 Jahre alte Soldat sitzt ganz rechts. Er wurde 1916 ins Großherzoglich- Mecklenburgische Feld-Artillerie-Regiment Nummer 60 eingezogen. Foto Familie

Hundert Jahre nach dem Waffenstillstand am Ende des Ersten Weltkrieges, das klingt für viele Menschen sehr weit weg. Für Volker Nutbohm nicht. Die Erlebnisse seines Großvaters sind für ihn heute noch wichtig.

Von Karsten Wisser Freitag, 09.11.2018, 20:00 Uhr

Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!

Es ist eine Geschichte zwischen Klein Wohnste, Amiens in Frankreich und Hedendorf. Die Geschichte hat in der Familie von Volker Nutbohm die Zeiten überstanden, und er selbst hat sie als Kirchenvorstand vor einem Gottesdienst erzählt. Sein Großvater Wilhelm Hauschild hat sie erlebt. Der gerade 17 Jahre alte Junge aus Klein Wohnste wurde 1916 zum Großherzoglich-Mecklenburgischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 60 mit Standort Schwerin eingezogen und nach der Ausbildung mit seiner Einheit an der Westfront in der Nähe der nordfranzösischen Stadt Amiens eingesetzt.

{picture2s} Der Jugendliche wurde dort mit den Grabenkämpfen des ersten industriell geführten Krieges der Neuzeit konfrontiert, er er- und überlebte den ersten Panzerangriff der Geschichte in der Endphase des Krieges – die Panik, das Chaos und den Tod vieler Menschen. Nach Verlusten und Umstrukturierungen gehörte Wilhelm Hauschild gemeinsam mit dem Soldaten Dammann aus Hedendorf zu einer Einheit, die sonst aus Soldaten aus Bayern bestand. „Du, wir müssen aufeinander aufpassen. Die anderen haben uns nicht auf der Rechnung“, soll Dammann, dessen Vorname Johannes gewesen sein könnte, zu seinem Kameraden gesagt haben. Das sollte schnell bitter notwendig werden.

Nach einem Artilleriebeschuss der Stellung war Soldat Dammann verschüttet und in akuter Lebensgefahr. Wilhelm Hauschild suchte seinen Kameraden als einziger und konnte ihm mit viel Glück das Leben retten. Der neue, sehr große Stahlhelm der deutschen Soldaten war dem Hedendorfer vor das Gesicht gerutscht und verhinderte so wohl, dass der Verschüttete schnell erstickte. Beide überlebten den Krieg. Wilhelm Hauschild ging auf den kleinen Hof in Klein Wohnste zurück, heiratete und wurde Vater von vier Töchtern. Die dritte, Hilde-Marie, ist die Mutter von Volker Nutbohm.

Was ihn heute noch an der in den Kriegshandlungen nicht ungewöhnlichen Geschichte fasziniert, ist die Dankbarkeit der Familie Dammann für die Rettung ihres Sohnes. Noch Jahre nach dem Kriegsende gab es Kontakt und in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit versorgten die Dammanns aus Hedendorf den Retter aus Klein Wohnste mit Lebensmitteln. Von Eingekochtem ist in der Familiengeschichte die Rede. Irgendwann ging der Kontakt im Laufe der Jahrzehnte aber doch verloren. „Ich habe schon mal überlegt, ob ich die Familie suche, aber Dammänner gebe es in Hedendorf sehr viele, so Volker Nutbohm.

{picture1}

„Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschen heute noch so dankbar wären“, sagt Nutbohm. Er wohnt der Liebe wegen seit vielen Jahren in Hechthausen, arbeitet bei Airbus in Finkenwerder und ist seit seiner Zeit im Grundwehrdienst in der Von-Göben-Kaserne in Stade TAGEBLATT-Leser. Er sieht den Mangel an Dankbarkeit aber nicht nur auf der zwischenmenschlichen Ebene. „Wir leben jetzt so lange in Frieden und Freiheit wie keine andere Generation in Deutschland. Ich habe das Gefühl, dass die Wertschätzung dafür verloren geht“, sagt er. Und dann schließt sich für ihn auch wieder der Kreis zu seinem 1966 verstorbenen Großvater.

Das Jahr 1899 – um diesen Jahrgang herum hundert Jahre später sind Volker Nutbohms eigene drei Söhne geboren worden. „Die wären ins Maschinengewehrfeuer geschickt worden. Da sind ganze Jahrgänge ausgelöscht worden“, sagt der 52-Jährige. „Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, wie gut es uns heute geht.“ Für ihn ist das Erinnern an das Ende des Ersten Weltkrieges auch eine Warnung, wie schnell friedliche Zeiten enden können. „Für die Soldaten in den Schützengräben war das von heute auf morgen grausamst zu Ende.“

Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.