Das Geheimnis der „Undine“

Der schöne Gaffelschoner „Undine“ liegt still am Lotsekai im Binnenhafen. Der Kapitän ist abtaucht.
Im Harburger Binnenhafen liegt seit Monaten ein Schiff unbewegt: Die „Undine“, Deutschlands einziger Frachtsegler, auf dem ihr Eigner Torben Hass auch Passagiere im Shuttle zwischen Hamburg und Sylt mitnahm.
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Jetzt ist der Kapitän verschwunden. Im Februar 2013 legte Hass mit seinem Segelfrachtschiff erstmals in Hörnum an, Sylts südlichstem Hafen. Hass und seine Crew waren einen Tag zuvor in Hamburg gestartet. Ihre Reise traf auf reges Medieninteresse, unter anderem begleitete ein Kamera-Team des NDR die Premiere. Über mediale Beachtung kann sich Hass bis heute nicht beklagen. Noch im März erschien ein großer Bericht im Manager-Magazin, in dem dessen Autoren von dem auf dem Schiff erlebten Seemannsgefühl schwärmten.
Dieses ebenfalls zu erleben, hatten sich auch verschiedene Besitzer von Gutscheinen für eine Mitfahrt erhofft. Doch sie können diese Coupons derzeit nicht einlösen, denn Hass oder sein Unternehmen sind nicht zu erreichen. Auf Facebook und auch beim TAGEBLATT sind Beschwerden eingegangen von Menschen, die einen Gutschein gekauft oder geschenkt bekommen haben, aber keinen Kontakt zu Hass oder seiner Firma aufbauen können. „Seit Jahresanfang versuche ich, Kontakt zur Reederei aufzunehmen. Ich glaube nicht, dass ich meine Gutscheine jemals einlösen kann“, beklagt sich etwa ein Facebook-User auf der Seite von Torben Hass.
Auch Anfragen des TAGEBLATTS liefen ins Leere: Keine Reaktion auf Gesuche per E-Mail oder Handy, die E-Mail-Adresse des Unternehmens existiert offenbar nicht mehr. Die Homepages www.kapitaen-hass.de und www.windjammer-shipping.de wurden gelöscht. Gorch von Blomberg von der Harburger Kulturwerkstatt, die mit ihrem Kulturkran die „Undine“ mehrfach beschickt hat, kann Hass derzeit ebenfalls nicht erreichen. „In diesem Jahr haben wir die ,Undine‘ noch nicht einmal beladen“, bestätigt von Blomberg. „Im vergangenen Jahr war sie ein paar Mal zum Laden und Löschen in Harburg.“
Und so schmückt das schöne Schiff den Liegeplatz am Lotsekai, doch wie es weitergeht mit der „Undine“ bleibt unklar. Der Gaffelschoner lag bereits im Sommer dort, ist also nicht nur fürs Überwintern in den Harburger Binnenhafen gekommen. Auf Sylt wurde die „Undine“ auch schon seit Monaten nicht mehr gesichtet. Im Juni hatte Hass laut „Sylter Rundschau“ anstehende Reparaturarbeiten dafür verantwortlich gemacht. Damit das Schiff wieder fahrtüchtig werde, müsse erst ein Ersatzteil für das 90 Jahre alte Schiff aufwendig in einer Museumswerkstatt in den Niederlanden hergestellt werden. Es sei unklar, wie lange dies dauert. Das auf der Insel kursierende Gerücht, er stehe kurz vor der Pleite, wies Hass nach Angaben der Zeitung entschieden zurück.
Hass gilt als ein sehr erfahrener Seemann. Der ehemalige Offizier der „Gorch Fock“ hat sich nach eigenen Angaben ein zweites Schiff gekauft, den 100 Jahre alten Motorewer „Annemarie“, mit dem er im Wattermeer unterwegs sein soll und unter anderem Klärschlamm von den Halligen aufs Festland bringt. Mit seiner „Undine“ musste der 40-jährige Kapitän schon häufiger durch schwieriges Fahrwasser. Schon einmal war er mit seinem Projekt Frachtsegeln in starke finanzielle Schieflage geraten, als „Undine“ nach einer Havarie mit Treibgut für Wochen still lag und die anstehenden Reparaturen laut Medienberichten nur mit Hilfe des finanziellen Engagements von privaten Investoren erledigt werden konnten.
Die zweifellos charmante Idee eines umweltfreundlichen Segelboot-Liniendienstes für Frachtgut und Passagiere zwischen Hamburg und Sylt, der Lieblingsinsel betuchter Hamburger, fand auch angesichts steigender Energiekosten und erhöhter Umweltauflagen viele Fürsprecher und Unterstützer. Dem markanten Torben Hass, der für seine Idee brannte und die Menschen im Sturm davon zu überzeugen verstand, gehörten die Sympathien.
Jetzt haben ihm offenbar kaufmännische Defizite den Wind aus den Segeln genommen. Gläubiger, die ihr Geld in die Finanzierung der „Undine“ gesteckt haben, rücken ihm inzwischen auf die Pelle. Oder würden es gern tun: Auch für sie ist Kapitän Hass derzeit abgetaucht.
Die „Undine“
Die „Undine“ ist in Harburg keine Unbekannte. Bevor Hass das Schiff erwarb, gehörte es der Jugendhilfe Gangway e.V., die auf dem Schiff mehr als 25 Jahre lang straffällig gewordene Jugendliche betreute. Auch damals lag es immer wieder im Harburger Binnenhafen. Die „Undine“ wurde im Jahr 1931 auf der niederländischen Werft Gebr. Niestern & Co in Delfzijl als „Franziska“ gebaut und als Frachtschiff in Nord- und Ostsee betrieben. Im Zweiten Weltkrieg fuhr das Schiff für die Kriegsmarine, 1948 wurde unter anderem der Rumpf verlängert und die Takelage abgebaut. Bis 1980 war es derart umgebaut als Frachtschiff unter Motor in der Küstenfahrt im Einsatz. Anfang der 1980er Jahre wurde die „Undine“ restauriert. Sie bekam wieder eine Takelage, der Rumpf wurde auf das alte Maß verkürzt. Bis 2009 wurde das Schiff für die soziale Jugendarbeit genutzt.