Deichkind feiert Tourende

Die Hip-Hop- und Electropunk-Formation Deichkind beim Abschlusskonzert ihrer „Niveau Weshalb Warum“-Tour in der Barclaycard-Arena. Foto Charisius/dpa
Die Grenzen zwischen Performance, Musik, Reimen und Theater sind bei der Hamburger Hip-Hop- und Electropunk-Formation Deichkind fließend. Beim Heimspiel und Abschluss ihrer 2016er-Tournee überzeugte die Band abermals restlos.
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10 000 Zuschauer in der Barclaycard-Arena feierten frenetisch und waren am Ende restlos aus dem Häuschen.
Deichkind haben es innerhalb weniger Jahre vom Hip-Hop-Underground zu einer der – zumindest live – besten und angesagtesten deutschen Combos geschafft. Textlich wird das gesamte Spektrum, vom prollig-süffisanten Krakeelen bis zum kritischen Sinnieren, abgedeckt. „Niveau Weshalb Warum“, heißt vielsagend ihre aktuellste Platte.
Das Konzert wurde mit einem Videointro eingeleitet, in dem Berge und Seen, ja die Erde als Ganzes aus der Vogelperspektive betrachtet wurden. Dann wurde es laut und Kryptik Joe, Porky, Ferris und DJ Phono enterten die Bühne, den Kopf bedeckt von mittlerweile zum Markenzeichen gewordenen Pyramiden aus Leuchtdioden. „Wir haben Euch vermisst“, hallte es in den kochenden Saal, dann ging die Post ab. Früh schon erreichte das Auditorium den ultimativen Party- und Geräuschpegel. „Bück dich hoch“ und „Leider geil“ sind mittlerweile Hymnen, euphorisierend wie Klassenfest-Hits. Doch wird der Trashfaktor immer wieder eingeholt von einer zwar schillernden, aber choreografisch hochprofessionell inszenierten Bühnenshow.
Die Verkleidungen sind extrem extravagant: Da tauchte Ferris mit einem rosa Riesenhirn auf dem Kopf auf, silberne Schirme kamen ebenso zum Einsatz wie rollbare Untersätze, skurrile Kostüme und bewegliche Bühnenelemente, die die Protagonisten auch in die Höhe beförderten. Das Publikum wurde ebenfalls mit einbezogen und ließ ein Riesenschlauchboot mit den Rappern auf Händen durch die Halle gleiten. Deichkind funktioniert extrem über die Interaktion. Auch wenn die basslastigen Songs durch die starken Sound-, Licht- und Showeffekte in den Hintergrund zu geraten drohen, schimmert die sozialkritische Attitude der Band immer wieder durch. „Deichkind ist ein ziemlicher Wirbelsturm und unsere Alben sind für uns eine Art Reality-Check“, formulierte Porky die Synthese jüngst in einem Interview. Lieder wie „Befehl von ganz unten“ oder „Illegale Fans“ zeugten hiervon.
Vor zehn Jahren noch spielten Deichkind als Subkultur-Act in Kiez-Spelunken vor 70 oder 80 Leuten, nun füllen sie die Riesenhallen. Auch der musikalische Stilwandel, vom zähen Deutsch-Rap zum treibenden Techno, hat hieran einen riesigen Anteil. Beim Konzert besannen sich die Protagonisten dennoch auf ihre Wurzeln, spielten ältere Songs ihres Debütalbums „Bon Voyage“ oder eine Version von Afrobs Hip-Hop-Klassiker „Reimemonster“. Am Ende tauchten sogar noch Tobi & Das Bo als Überraschungsgäste auf. Doch die Zeit schreitet im Eiltempo voran. Die Kritiker werfen Deichkind zwar „Ausverkauf“ vor, doch ist bei aller Rasanz ein gewisser Markenkern, eine „Street-Credibility“, wie es im Jargon heißt, geblieben. Imposant vor allem auch die Schnelligkeit, mit der sich die Jungs vom Deich ihrer Kostüme entledigten und in die nächste Rolle schlüpften.
Auch die Mischung aus Klamotten aus der Theaterrequisite und welchen mit Neonelementen zeugten von diesem progressiven Stilmix. „Ein Hoch auf die Säufersolidarität“, hieß es am Ende in Vogelkostümen, kurz darauf setzten die Musiker mit „Refugees-Welcome“-T-Shirts ein politisches Statement. Doch auch der Song und Slogan „Arbeit nervt“ spielte eine Rolle.
Arbeit und Spaß gehen bei den Vier von Deichkind zusammen, wie ein Bühnenbild zum Abschluss, bestehend aus einem Trampolin, einer Hüpfburg, Wigwam, Fahnen und einem Riesenfass, dem diesmal das Hirn aufgepfropft ist, versinnbildlichte. Der letzte Hit lautete „Remmidemmi“, dann war das zweistündige Spektakel mit Erschöpfungssyndrom vorbei.