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Die kleine Kneipe an unserer Ecke

Alles im Griff: Wirt Tim Kreidelmeyer hat die „Schnulze“ an der Winsener Straße 2006 übernommen.

Alles im Griff: Wirt Tim Kreidelmeyer hat die „Schnulze“ an der Winsener Straße 2006 übernommen.

Es wirkt rustikal, gediegen, ja anachronistisch in der „Schnulze“ an der Winsener Straße in Harburg. Ihr Wirt Tim Kreidelmeyer schafft es, ganz verschiedenen Menschen zusammenzubringen.

Montag, 06.06.2016, 18:14 Uhr

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Wirt Tim Kreidelmeyer legt seine große Pranke auf das riesige Kupferrohr, aus dem das Bier fließt und sagt: „Auch wenn es ein bisschen so aussieht, zu uns kommen nicht nur ältere Herrschaften. Es kommen auch junge Leute, viele Studenten.“

Die Eckkneipe „Schnulze“ zeugt also von Vergangenheit und Gegenwart zugleich. Generationen gaben sich hier die Klinke in die Hand. Seit 2006 hat Kreidelmeyer das Zepter oder eher den Zapfhahn in der Hand. Der 52-Jährige war mit 20 zum ersten Mal mit seinem Schwager hier. „Da drüben in der Ecke haben wir gesessen“, lässt er die Zeit Revue passieren. Über das Alter der Kneipe rätselt er: „Ich glaube, seit das Haus hier steht, gibt es darin auch eine Kneipe.“

Er habe damals das Lokal von Andy Hinrichs übernommen, der auch noch „Schnulzes Landhaus“ in Tostedt betrieb. Auch in der Harburger „Schnulze“ habe es bis 2010 noch Küche gegeben. „Dann wurde das Rauchergesetz erlassen, und ich habe mich für das Rauchen entschieden“, erzählt Kreidelmeyer. Der Laden lebt schließlich von der schnuckeligen Gemütlichkeit, es ist eng und verwinkelt, die Atmosphäre dicht. Erst recht, wenn der Laden brummt, was fast jedes Wochenende der Fall ist.

Man trifft hier zwar auch den klassischen Kneipengänger: älterer Biertrinker, qualmend, graue Haare, Halbglatze, Koteletten. Aber: „Dass Abiturienten hier regelmäßig auflaufen, hat Tradition“, berichtet Kreidelmeyer. Bis zum Studium bevölkerten sie dann die gemütliche Kaschemme, besonders beliebt sei der hintere Raum bei den Toiletten: Ein riesiger Holztisch ist von Sesseln, Sofa und Stühlen umringt, das Ensemble nimmt den gesamten Raum ein. Die gesamte Szene scheint auszudrücken: „Mitgehangen, mitgefangen“ oder auch „Prost, hoch die Tassen, reih dich ein.“

„Wenn man aus dem Laden hier etwas anderes machen würde, wäre er tot“, ist Kreidelmeyer überzeugt, dass sein auf den ersten Blick einfaches Konzept, eine urige Kneipe zu bieten, gut und richtig ist. „Ich versuche nicht, auf Schickimicki zu machen, gemütlich muss es sein und Charme haben“, sagt er.

In einer Ecknische steht eine alte rostige Triumph und zeugt von einer Zeit, in der es auch in Harburg noch Rentensicherheit und Wohlstand für alle gab. Draußen bewirtet Kreidelmeyer im Sommer bis zu 20 Gäste: „Trotz Straßenlärm ist es immer voll“, sagt er. Neben dem Schriftzug auf der Balustrade grüßt ein Gartenzwerg schelmisch. „Am Freitag stapeln sich hier die Leute. Besonders angesagt ist dann das Bierwürfeln mit 2,80 Euro Einsatz“, sagt der Wirt mit Leib und Seele. Das geht so: Wer eine Eins bis Drei würfelt, bekommt ein Kleines, bei Vier oder Fünf wird ein 0,4-Liter-Glas mit einem Kurzen gezecht, die Sechs ist der Hauptgewinn: Es gibt eine Mass für einen unschlagbaren Preis. „Im Durchschnitt hält es sich die Waage“, schmunzelt Kreidelmeyer. Bevor er Gastwirt wurde, war er in der Chemiebranche tätig.

Am Wochenende helfen in der „Schnulze“ zwei junge Kollegen aus, montags ist Ruhetag. Die „Schnulze“ öffnet ab 18 Uhr, wochentags geht es bis 2 oder 3 Uhr, ansonsten ist Open End. Kreidelmeyer erinnert sich noch an den Wasserschaden voriges Jahr im Dezember. Als er wiedereröffnete, war es brechend voll: „Wir sind ja schließlich auch ein Kultladen, sagt Kreidelmeyer nicht ohne Stolz. Seine Kneipe liegt in einem vielfältigen Gebiet: Da ist Wilstorf mit seinen Altbauten, um die Ecke die Genossenschaftswohnungen des Eisenbahnbauvereins, nach oben hin die Außenmühle. Auch das Publikum ist dementsprechend gemischt.

Früher habe es einige solcher Läden mehr gegeben, sagt Kreidelmeyer. 2002 schloss die Hexenklause am Schwarzenberg, die jeder, der in Harburg aufwuchs, kannte. Kreidelmeyer: „Da haben wir Pizza nachts um vier gegessen und sind dann auf den Fischmarkt gefahren.“

Dennoch erfreut sich Harburg immer noch einer bunten Kneipenszene: Ob es im „Knobel-Eck“ in Heimfeld immer noch die fettige Pferdewurst gibt, ist allerdings nicht verbrieft. Dafür sind die Bratkartoffeln in der „Löschecke“ berühmt. Das „Marien-Eck“ steht für die eher härtere Gangart, auch das „Astra-Eck“ befindet sich mit seiner Jukebox in Heimfeld. Beim Phönix-Center liegt das „2nach4“. Und auch im „Marias Ballroom“, das jetzt auf Musikevents ausgerichtet ist, hat es unlängst noch den Charme einer Gardinenkneipe mit Gelsenkirchener Barock gegeben. Da ist die „Schnulze“ mit seinem dunklen Eichentresen dann doch viel schicker.

In lockerer Folge stellte das TAGEBLATT angesagte Szene-Kneipen in der Süderelbe-Region vor. Im letzten Teil heute: die „Schnulze“.

Und täglich grüßt der Gartenzwerg: Außenansicht der „Schnulze“.

Und täglich grüßt der Gartenzwerg: Außenansicht der „Schnulze“.

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