Zähl Pixel
Archiv

Ein Fußballchef kämpft um seinen Frieden

Vorstandschef des TuS Heeslingen Bernhard Eckhoff. Foto: Oliver Moje

Vorstandschef des TuS Heeslingen Bernhard Eckhoff. Foto: Oliver Moje

Seit sieben Jahren wehrt sich der TuS Heeslingen gegen den Vorwurf der Steuerhinterziehung. Anfangs ging es um Nachforderungen in Höhe von 690.000 Euro. Inzwischen geht es zwar um viel weniger, aber es bleibt die Geschichte eines nicht enden wollenden Rechtsstreits.

Sonntag, 02.12.2018, 14:00 Uhr

Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!

Von Christian Heinig

Dieses Datum, es hat sich ganz fest eingebrannt in seinen Kopf, dieser 28. November 2011. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Bernhard Eckhoff nicht daran denkt. „Es war ein Montagmorgen, um 8 Uhr haben sie geklingelt“, erinnert sich der Vorsitzende des Vereins TuS Heeslingen. Die Steuerfahndung stand vor seiner Haustür. Drei Autos. Sechs Beamte. Zwei Stunden durchsuchten sie sein Haus. Und nicht nur seines. Bei seinem damaligen Stellvertreter, Manfred Müller, wurden sie ebenfalls vorstellig. Genauso wie in der Geschäftsstelle des TuS und bei zahlreichen Spielern.

Genau sieben Jahre ist dieser Montagmorgen inzwischen her. Und die Tatsache, dass er noch immer sehr präsent ist im Leben von Bernhard Eckhoff, hat vor allem einen Grund: Die Sache ist noch nicht erledigt. Noch immer läuft deshalb ein Gerichtsverfahren. Es geht um die Nachzahlung von Steuern und Sozialabgaben für Spieler. „Sie wollen mich nicht gewinnen lassen“, sagt der 65-Jährige fast trotzig. Mit sie meint er die Deutsche Rentenversicherung.

Um seine Sicht der Geschichte zu erzählen, hat sich Eckhoff den Ort ausgesucht, an dem alles seinen Anfang nahm: das Waldstadion in Heeslingen. Es ist eine schmucke Sportanlage, geradezu idyllisch, viele Bäume stehen ringsherum, bis zu 1000 Fußball-Fans finden hier Platz. Der TuS war lange das Aushängeschild der Region. 1994 schaffte man den Sprung in die Niedersachsenliga, der höchsten Klasse im Land. Alles lief prächtig. Doch dann klingelten 2011 die Steuerfahnder – und die heile TuS-Welt brach praktisch über Nacht zusammen. Mittendrin: Bernhard Eckhoff.

Der Vorwurf des Landessozialgerichts Niedersachsen an den Verein lautete: Er soll Sozialversicherungsbeiträge seiner Spieler hinterzogen haben. Der erste Nachforderungsbescheid, der den Heeslinger Club 2013 erreichte, belief sich auf 690.000 Euro. Fast 50 Spieler wurden aufgelistet. Manche sollen etwa 300 Euro im Monat bekommen haben, zwei auch über 1000 Euro. Bei der Steuererklärung hatte der Club laut Eckhoff stets nur Aufwandsentschädigungen und Reisekosten für die Spieler geltend gemacht. Sozialabgaben wurden nur in Einzelfällen geleistet. Die Behörde sieht darin ein entscheidendes Versäumnis. „Sie sagen, wir hätten Angestellte gehabt und die Entschädigungen waren ganz normale Löhne“, sagt Eckhoff und schüttelt den Kopf. Für ihn sind die Spieler keine Arbeitnehmer, sondern Hobbysportler. „Die haben ja alle einen Fulltime-Job.“ Es gebe kein Arbeitnehmerverhältnis. „Die bekommen ja auch keinen Urlaub oder eine Lohnfortzahlung, wenn sie verletzt sind.“

Man kann die Sichtweise von Eckhoff naiv finden, so ganz abwegig klingt sie aber nicht. Entscheidend ist letztlich: Was ist rechtens? Ab wann sind Amateurfußballer keine Hobbykicker mehr – ab wann sind es Angestellte? Mit diesen Fragen beschäftigen sich viele kleinere Clubs in Deutschland tagaus, tagein. Es ist kein Geheimnis, dass hierzulande auch im Amateurfußball viel Geld im Spiel ist. Steuerlich bewegen sich die Clubs dabei aber häufig in einer Grauzone. Nicht selten wird auch getrickst.

Laut der DFB-Spielordnung gilt ein Fußballer, der mehr als 250 Euro pro Monat erhält, als Vertragsspieler. Für ihn werden dann Sozialversicherungsbeiträge fällig, heißt es in entsprechenden Musterverträgen. Der DFB betont auf Nachfrage bei diesem Thema jedoch einschränkend: „Inwieweit Vertragsspieler als Arbeitnehmer und ihre Vereine als Arbeitgeber anzusehen sind oder nicht, ist (...) immer eine Frage des Einzelfalles.“

Bei der Deutschen Rentenversicherung will man von Einzelfällen nichts wissen. Auf Nachfrage teilt sie mit: „Vertragssportler sind regelmäßig abhängig Beschäftigte, die ihren Sport als Mittel zum Gelderwerb ausüben und damit einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen.“ Wer hingegen keine wirtschaftliche Gegenleistung erhalte, der würde sich auch nicht „in einem sozialversicherungsrechtlich relevanten Beschäftigungsverhältnis“ befinden. Haben Eckhoff und der TuS-Vorstand das alles nicht gewusst? Waren sie fahrlässig unterwegs oder haben sie es darauf ankommen lassen? Oder sind Fußballer ein arbeitsrechtlicher Sonderfall im Amateursport, für die es einfach an eindeutigen Gesetzen fehlt?

Klar geregelt hat die Politik bislang zumindest die Frage des Mindestlohns. 2015 einigte sich das Bundesarbeitsministerium mit dem DFB darauf, dass Vertragsamateure, die weniger als 450 Euro bekommen (Mini-Job-Basis), „nicht dem Mindestlohngesetz unterfallen“. Dennoch sieht der DFB, was den möglichen Arbeitnehmer-Status von Vertragsamateuren angeht, Verbesserungsbedarf. Hier seien „weitere Nachbesserungen und Klarstellungen seitens des Gesetzgebers notwendig“, heißt es auf Nachfrage.

Das Problem beim TuS Heeslingen ist allerdings: Verträge gab es offenbar nur mit wenigen Spielern. Trotzdem flossen Gelder. Bernhard Eckhoff sagt: „Vielleicht haben wir nicht alles richtig gemacht. Und dass es Geld gab, bestreitet ja keiner. Aber das waren Aufwandsentschädigungen.“ Einer der Spieler, der damals 1000 Euro bekommen haben soll, sei mit dem Auto aus Bremen angereist. Fahrtstrecke: mehr als 60 Kilometer pro Tour. Bei viermal Training die Woche plus der Fahrten am Wochenende zu Spielen sei so einiges zusammengekommen, betont der ehemalige TuS-Vizechef Manfred Müller, der zugleich als Manager der ersten Mannschaft fungierte.

Ein Einzelfall ist der TuS Heeslingen, der sein Spielrecht schon 2013 an den neu gegründeten Heeslinger SC abgab und heute nur noch ein Team in der 3. Kreisklasse besitzt, in jedem Fall nicht. Auch andere Clubs aus Niedersachsen hatten in den letzten Jahren verstärkt Besuch der Finanzfahnder. Zum Beispiel der Lüneburger SK Hansa und der VSK Osterholz-Scharmbeck. Auch sie sollen Spielergehälter nicht ordnungsgemäß versteuert haben. Gegen die SV Drochtersen/Assel lief zudem 2014 ein Ermittlungsverfahren nach einer Selbstanzeige. Bei allen drei Clubs haben sich die Dinge inzwischen geklärt.

Wie genau, lässt sich nur im Fall von Osterholz-Scharmbeck sagen. Hier hatte sich der Club mit dem Finanzamt und der Sozialbehörde auf eine nachzuzahlende Summe geeinigt. Beim TuS ist es hingegen anders. Hier geht der Rechtsstreit weiter. Lediglich das Strafverfahren, dass es gegen Eckhoff wegen Steuerhinterziehung vor dem Landgericht Stade gab, ist vor wenigen Monaten ohne Auflage eingestellt worden.

Die Deutsche Rentenversicherung aber lässt nicht locker. Zwei Verfahren gab es schon. Das letzte davon fiel 2017 aufgrund von Verfahrensfehlern der Gegenseite zugunsten des TuS aus. Doch die Rentenversicherung will den Fall jetzt erneut aufrollen und geht dabei offenbar anders vor. Sie prüft jetzt Einzelfälle. Allerdings nicht mehr zu 50 Spielern, sondern nur noch zu 15 Fußballern.

Das Heikle für Eckhoff und den damaligen TuS-Vorstand bleibt: Sie müssen Nachforderungen – sollte es doch welche geben – am Ende aus eigener Tasche bezahlen, denn Vermögenswerte hatte der Verein nicht. Bei der Finanzierung der ganzen Prozesse kann Eckhoff, der beruflich im Agrarsektor beschäftigt ist, auf Mittel aus der ARAG Sportversicherung zurückgreifen. Außerdem bekommt er Unterstützung von einem befreundeten Steuerberater aus Zeven. Hilfe hätte er sich auch vonseiten des Deutschen Fußball-Bundes und des Niedersächsischen Fußballverbands erhofft. Hier sei aber wenig passiert.

Steffen Heyerhorst, der Justiziar des NFV, kennt den Fall des TuS. Er sagt: „Wir dürfen als Verband keine Rechts- und Steuerberatung geben. Aber wir empfehlen den Vereinen, sich steuerlich beraten zu lassen.“ Viele Teams in der Regionalliga und Oberliga würden das heutzutage auch tun. Bernhard Eckhoff muss derweil weiter kämpfen. Der Rechtsstreit zehrt an ihm. „Es sollte langsam zu Ende gehen“, gesteht er, „aber aufhören kann ich auch nicht.“ Und ehe der Fall nicht abgeschlossen ist, bleibt für den TuS-Vorsitzenden auch der 28. November  2011 weiter omnipräsent.

Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.