Heiko Ehlert deckt alte Wassermühle mit Reet ein

Reetdachdecker Heiko Ehlert deckt mit seinen Mitarbeitern die 1674 erbaute Wassermühle in Ovelgönne neu ein. Es ist der älteste Gewerbebau in der Stadt Buxtehude. Fotos Vasel
Schönheitskur für die Wassermühle in Ovelgönne: Reetdachdecker Heiko Ehlert deckt mit seinem Team seit Dienstag die 1674 erbaute Wassermühle in Ovelgönne mit Reet ein. Das Baudenkmal ist „der älteste Gewerbebau“ in Buxtehude.
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Bei strahlendem Sonnenschein und klirrender Kälte steht Heiko Ehlert mit seinen Mitarbeitern auf dem Gerüst. Am Montag haben die Dachdecker das alte Reet auf der Nordseite entfernt. Rund 180 Quadratmeter werden in den nächsten 14 Tagen eingedeckt. Das Reet stammt aus China. „Alles andere wäre um diese Jahreszeit zu feucht“, erklärt der Reetdachdecker aus VierdenRamshausen (Sittensen), der in den vergangenen Jahren den nachwachsenden Rohstoff auch an der Untereste in Buxtehude-Neuland geerntet hat.
Acht bis zwölf Quadratmeter schaffen sie am Tag, elf bis zwölf Bündel werden im Schnitt pro Quadratmeter benötigt. Mit dem Klopfbrett wird das Reet geglättet. Es wird in einer Stärke von 30 bis 40 Zentimeter verlegt. In früheren Zeiten wurde das Reet mit Haselstöcken und mit Weidenruten zusammengebunden, heutzutage wird verzinkter Draht verwendet. Die Betriebe der Reetdachdecker seien aufgrund der Niedrigzinsphase gut ausgelastet, so Ehlert. Seine Firma gibt es seit 1970.
Im Dezember war bereits ein Baum gefällt worden, durch die Verschattung und Feuchtigkeit waren Teile des Dachs verrottet. Die Vorsitzende des Vereins Ovelgönner Wassermühle, Ilse Römmich, und Ortsvorsteher Rolf Marquardt (CDU) hatten die Stadtverwaltung 2016/2017 überzeugen können, das in die Jahre gekommene Dach endlich zu sanieren. 2009/2010 hatte diese zuletzt mehrere 10 000 Euro investiert – unter anderem in ein neues Wasserrad, einen neuen Wasserzulauf (im Mühlenjargon Kähner genannt), eine neue Zuwegung und die Ausbesserung des Reetdaches. Seit 1984 gehört das Denkmal der Stadt Buxtehude. Betriebs- und Reparaturkosten trägt die Kommune, der Verein kümmert sich um den Betrieb.
Blick auf das Wasserrad (links) und die Dachdecker auf der alten Mühle.
Römmich freut sich, dass die 1674 erbaute Mühle bald wieder schick ist. Beim ersten Mahl- und Backtag am Sonntag, 15. April, können die Besucher wieder das Müllerhandwerk erleben. Skiffle, Boogie und Blues gibt es am Maifeiertag bei dem traditionellen Open-Air-Frühschoppen mit den Appeltown Washboard Worms. Elbsand wird den Besuchern am 21. April mit Rock und Blues einheizen, so Römmich.
Zeitreise: Bis 1930 war die Wassermühle in Ovelgönne in Betrieb, danach wurde das Gebäude vorübergehend als Wohnhaus genutzt. 1984 erwarb die Stadt Buxtehude das Kleinod und setzte eine aufwendige und mit viel Liebe zum Detail ausgeführte Restaurierung in Gang.
Es handelt sich um eine Mühle mit einem sogenannten oberschlächtigen Antrieb, denn der Keetzenbeek ist kein reißender Strom. Er muss(te) aufgestaut werden. Die Freunde der Mühle hoffen, dass der Teich irgendwann einmal wieder entschlammt wird. Erster Pächter und Besitzer der Mühle war Detlef Schwar, Pächter der Moisburger Kornmühle. Er baute die Ovelgönner Mühle auf eigene Kosten, deshalb steht sein Name auch auf dem Türbalken. Dendrologische Untersuchungen haben bewiesen, dass das Denkmal um 1674 erbaut worden ist, so der Stadtarchäologe Dr. Bernd Habermann. 40 Reichtaler kassiert der Herzog als Landesherr als Pacht. Die Mühle war nicht so leistungsfähig wie die in Moisburg an der Este, dort betrug die Pacht 440 Reichstaler im Jahr. Zur Einordnung: Eine Kuh gab’s seinerzeit für vier Taler. Mit der Einführung der Gewerbefreiheit um 1868/1869 und dem Aufkommen der großen mit Dampfmaschinen betriebenen Handelsmühlen, dem Siegeszug der Kartoffel und des Weißbrots (feines Mehl konnten die Müller in Ovelgönne nämlich nicht mahlen) ging’s bergab.
www.wassermuehle-ovelgoenne.de
Ovelgönne geht auf das niederdeutsche Wort für Missgunst zurück. Herzog Otto II. zu Braunschweig-Lüneburg auf Harburg hatte das Dorf im Jahr 1566 durch Ansiedlung eines Bauern gegründet. Der Ortsname bezog sich auf den Streit der Herzöge mit der Stadt Buxtehude und dem Erzstift Bremen um das Hohe Moor zwischen Buxtehude und Rübke. Der (Weide-) Streit hatte 1510 begonnen und endete 1587 mit einem Vergleich. Um seine Ansprüche zu untermauern, legte Otto den Bauernhof in Ubelgünne an. 1664 gab’s sieben kleine Höfe. Auch die Ur-Ovelgönner liebten Brot. 1952 wurde mit der 2500 Jahre alten Spitzwecke von Ovelgönne das älteste bekannte Feingebäck Europas, ein verkohltes Weizenbrötchen, vielleicht eine Opfergabe für die Götter, entdeckt.