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Günter Zint im Interview

„Ich hasse diese Leichenfledderer mit Kamera, die finde ich ganz furchtbar“

Der Fotograf Günter Zint ist untrennbar mit St. Pauli verbunden.

Der Fotograf Günter Zint ist untrennbar mit St. Pauli verbunden.

Günter Zint hat sie alle fotografiert, viele seiner Fotos wurden weltberühmt. Der Kiez-Chronist ist untrennbar mit St. Pauli verbunden und sprüht noch immer vor Tatendrang, und auch im Interview mit TAGEBLATT-Mitarbeiterin Dagmar Gehm ist Zint kaum zu bremsen.

Samstag, 04.01.2020, 14:03 Uhr

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Günter Zint: Mein ganzes Leben war eine wilde Achterbahnfahrt. Ich arbeite als Journalist seit über 50 Jahren mit Günter Wallraff zusammen. Außerdem habe ich einige Bildbände zu verschiedenen politischen Themen herausgegeben, wie: Friedensbewegung, Anti-AKW-Bewegung, Apo (68er-Bewegung). Das brachte mir 17 Gerichtsverfahren mit Verlagen, Polizei, Bundesgrenzschutz und anderen Institutionen ein. Mein Führungszeugnis hat bis heute keine Eintragung, da ich immer freigesprochen wurde. Neben all diesem Stress habe ich mit tüchtigen Mitarbeiterinnen das Sankt-Pauli-Museum gründen können, das seit ein paar Tagen endlich auf festeren Füßen steht.

Ich gelte immer noch als Terrorist, weil ich mit Ulrike Meinhof zusammen in der ersten Pressekommune Hamburgs gewohnt habe. Wir haben das Organ des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds SDS gemacht. Finanziert wurde es von Ernst Bader, dessen Pullover ich gerade trage. Er war Sozialist, Kommunist, Liedertexter und Millionär. Auch das Museum hat er in den ersten zehn Jahren finanziert. Seine Devise lautete: „Eigentum ist Diebstahl, wenn man nicht teilt“.

Unsere WG lebt mit acht Erwachsenen und vier Kindern auf dem Land: meine Ex-Geschäftsführerin, ehemalige Mitarbeiter, Freunde. Wir kennen uns schon seit 50 Jahren. Da hat man keine Gründe mehr zum Streiten, da hat man alles schon hinter sich. Wir halten Pferde, Hühner, Schafe und essen nur Fleisch, von dem wir wissen, wo es herkommt. Als der Bürgermeister das Schild sah mit der Aufschrift „Freie Republik Behrste. Zutritt nur für Personen mit freundlicher Gesinnung“, fragte er: „Seid Ihr Reichsbürger?“ Aber wir sind das Gegenteil − freie Bürger.

Schon 1967 habe ich den Sechstage-Krieg zwischen Israel und Ägypten, Jordanien und Syrien für den „Spiegel“ fotografiert. Das war mein erster Kriegseinsatz. Nordirland war aber gefährlicher. Da flogen mir die Kugeln am Ohr vorbei. Wenn ich es pfeifen gehört habe, wusste ich, die hat mich nicht getroffen. Nach dem Dutschke-Attentat Ostern 1968 in Berlin hat ein Einsatzleiter meine Kamera zertreten. Der Grund: Ich hatte fotografiert, wie die Polizei einem jungen Mann in den Unterleib getreten hat. Zum Glück hat ein Kollege das Ganze fotografiert. Polizeiobermeister Binte wurde daraufhin zu 500 Mark Schmerzensgeld an mich verurteilt, und der Senat von Berlin musste mir eine neue Kameraausrüstung kaufen. Die Anwälte Horst Mahler und Otto Schily haben mich da rausgehauen.

Nein, die Bedeutung der Beatles habe ich erst später erkannt. Im Starclub waren sie laut und lustig wie alle englischen Bands. Da fielen sie gar nicht besonders auf. Sie wurden erst outstanding, als sie mit dem Produzenten George Martin zusammengearbeitet haben. Und mit Orchester. Das war im Starclub nicht möglich. Da sind sie mit einem 30-Watt-Vox-Verstärker aufgetreten. Den hat heute jeder Ghetto-Blaster.

Ich habe sie ja fotografiert, als sie noch keine Stars waren. Das waren Kumpels, mit denen ich abends mal ein Bier getrunken habe. Da habe ich nie geglaubt, dass man heute noch von denen reden wird. Ich bin kein Paparazzo. Ich hasse diese Leichenfledderer mit Kamera, die finde ich ganz furchtbar. Damit habe ich nichts zu tun. Wir haben abends im „Gretel & Alfons“ gesessen, und wenn ich denen ein Foto vom Vortag mitgebracht habe, dann haben die mir mein Bier bezahlt und waren begeistert. Erst ein paar Jahre später sollte ich dann unterschreiben, dass ich kein Teleobjektiv mit mehr als 80 Millimeter benutze, wenn ich Michael Jackson auf Konzerten fotografiere. Damit man nicht die Löcher in der Nasenscheidewand vom Koksen sieht. Aber solche Verträge sind sittenwidrig.

Ja, Paul hat ja auch 1991 das Sankt-Pauli-Museum eröffnet. Er sagte: „Keine Polizei, nur private Sicherheitsdienste.“ Das Büfett durfte nur rein vegetarisch sein, darauf hat Linda bestanden. Ich musste sogar die Rechnungen zeigen, damit sie wussten, dass sie nichts Falsches aßen. 1999 hatte Paul McCartney in Siegen eine Ausstellung von seinen Bildern, die er jetzt malt. Und ich habe parallel dazu eine Fotoausstellung mit 70 Porträts von ihm gemacht.

Der Bankdirektor sagte später: Von der Kosten-Nutzenrechnung war Ihre Ausstellung die erfolgreichere und die preiswertere. Alle wollten ihn auf den Fotos sehen und kaum jemand seine Bilder, die zudem hoch versichert werden mussten. Wir haben jetzt wieder Kontakt zu Paul McCartney über den Bürgerverein St. Pauli, bei dem ich Gründungsmitglied bin. Er möchte ein Kinderheim für benachteiligte Kinder auf St. Pauli bauen und sowohl ihn als auch Yoko Ono gern als Sponsoren gewinnen.

Wallraff und ich haben uns 1963 bei der Zeitschrift „Twen“ kennengelernt und sind seitdem befreundet. Weil ich als Zint schon zu bekannt war, habe ich für unsere Recherchen eine zweite Identität benutzt – Günter Ulrich. Bei dem Buch „Der Aufmacher“ musste ich sowohl bei Springer unter Pseudonym arbeiten als auch bei „Ganz unten“. Beide Bücher habe ich mit meinen Fotos illustriert. Heute braucht mich Wallraff nicht mehr als Fotograf, weil er selber mit kleinen, versteckten Kameras arbeitet. Manchmal setzt er mich noch als Rechercheur ein, zum Beispiel bei den Paketdiensten. Da habe ich Eltern von Paketfahrern besucht, die sich wegen Übermüdung totgefahren haben. Dadurch wurde erreicht, dass die Fahrer angestellt wurden. Ein gutes Gefühl.

Ich habe mal zu Senator Andy Grote gesagt: „Ich bin ja froh, dass du mich nicht verhaftet hast. Beim Massenmörder Fritz Honka war ich ja quasi Mittäter.“ Honka hatte nämlich mit den ganzseitigen Erotikfotos aus den St. Pauli-Nachrichten jene Abseite tapeziert, wo er die abgemurksten Frauen zerstückelt hat. Das haben wir nachher auf den Tatortfotos gesehen.

Ich fotografiere fünf Frauen wieder, die ich in den Sechzigerjahren nackt aufgenommen habe – mit 17 und jetzt als Akt auch mit 71.

Bitte ergänzen Sie ...

Abschalten kann ich am besten ..., wenn ich auf meinem Bauernhof bin in der „Freien Republik Behrste“ an der Oste.

Meine Schwäche ist ..., dass ich schlecht Nein sagen kann.

Meine Stärke ist ..., dass ich meine vielen Ideen habe und die Kreativität.

Längst wollte ich mal wieder ... nach Connemara in Irland fahren. Ich bin Ehrengast im Paddy Coynes Pub, dort wurden Fotos von mir in die Wand eingelassen, als ich in den 60ern ein-, zweimal fast jedes Jahr dort war.

Ich kann mich ärgern, wenn ... mich Menschen bescheißen wollen oder wenn man mich nur kennt, weil ich ein bekannter Fotograf bin – der ist für mich meistens nicht berechenbar. Am liebsten mische ich mich unter die Leute in Kneipen, wo man mich nicht kennt. Was hier auf St. Pauli natürlich schwer ist.

Mein Lieblingsplatz auf St. Pauli ist ... die Hafenstraße. Ich bin Immobilienmogul, mit gehört ein Stück von der Hafenstraße. Dort gehören mir als Genossenschaftsanteil eine Tür und zwei Fenster, denke ich mal. Gegenüber ist das Erotik Art Museum, an dem ich auch beteiligt bin.

Familie ist für mich ... ganz, ganz wichtig. Fünf Kinder und bisher vier Enkel. Wir treffen uns mehrmals im Jahr. Sie kommen aber nicht immer alle.

Auf eine einsame Insel würde ich mitnehmen ... eine nette Frau. Alleinsein ist nicht mein Ding. Ich würde nie auf einer einsamen Insel überleben können. Ich wohne schon immer mit ziemlich viel Menschen zusammen. Ich bin ein absoluter Gesellschaftsmensch. Ich habe Ende der 60er mal mit über zehn Leuten in der Apo Press Kommune gelebt und halte zu einigen noch immer Kontakt.

Günter Zint in drei Worten ... Ich kann das nur in zwei Worten sagen: Zint spinnt.

Günter Zint (78) wuchs in Fulda auf. 1959 wurde er bei dpa in Frankfurt Bildvolontär. Es folgten Reportagen in Israel, Nordirland und Kurdistan. John F. Kennedy begleitete er im Wahlkampf. In den 60ern arbeitete Zint für den „Spiegel“. Danach gründete er die St. Pauli Nachrichten und fotografierte fast 1000 Bands und Solo-Künstler im Starclub.

Mit Günter Wallraff war er zu Undercover-Recherchen unterwegs. Er war Chronist des Mauerfalls und der Grenzöffnung, beschäftigte sich mit der Anti-AKW-Bewegung und setzt sich noch immer für Umweltthemen ein. 1991 eröffnete er mit Paul McCartney das Sankt-Pauli-Museum, daneben betreibt er die Panfoto-Agentur.

Zint war dreimal verheiratet, hat fünf Kinder und vier Enkel. Seine Fotografien werden in Sonderausstellungen gewürdigt wie im Museum für Hamburgische Geschichte.

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