Jobverlust durch Kollege Roboter

Selbst fahrende Autos, denkende Maschinen und intelligente Lagersysteme sowie eine internetbasierte Verwaltung werden in den kommenden fünf bis zehn Jahren einen Keil in die Arbeitswelt treiben: Hochqualifizierte Mitarbeiter werden gefragt sein wie nie; schlecht ausgebildete Arbeitskräfte und Menschen ohne Berufsabschluss werden noch stärker als heute schon Probleme bekommen, einen Job zu finden. Denn: Roboter, Internet oder künstliche Intelligenz werden zunehmend ihre Arbeit übernehmen.
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Zu diesem Ergebnis kommt jetzt auch eine Studie, die Verdi von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für den Dienstleistungssektor hat erstellen lassen. Untersucht wurden die Bereiche Einzelhandel, Logistik, Gesundheitswesen, IT und Banken in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg.
Demzufolge könnten mehr als zehn Prozent aller Tätigkeiten durch digitale Technologien ersetzt werden. In Schleswig-Holstein, wo der Industrie-Anteil traditionell unterdurchschnittlich ist, könnte das den Verlust von etwa 70 000 Arbeitsplätzen bedeuten. Dabei ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dienstleistungssektor im nördlichsten Bundesland in den beiden vergangenen Jahren mit knapp sechs Prozent am stärksten im Vergleich aller Nordländer gestiegen. Der Anteil des Dienstleistungssektors an der Bruttowertschöpfung liegt hier mit 73,8 Prozent über dem Bundesschnitt von 69 Prozent. Umso stärker könnte die fortschreitende Digitalisierung hier die Arbeitswelt erschüttern.
„Während einige gut bezahlte, hoch qualifizierte Jobs entstehen, finden sich zunehmend Beschäftigte in schlecht bezahlter und prekärer Arbeit wieder“, sagte Verdi-Landesbezirksleiter Berthold Bose bei der Präsentation der Studie in Hamburg. Einfache und monotone Arbeiten werden zunehmend automatisiert; Callcenter beispielsweise würden massive Arbeitsplatz-Verluste erleben. Und auch der Einzelhandel und die Straßenlogistik würden gravierend betroffen sein, wenn künftig Lkw fahrerlos unterwegs sind und Roboter Pakete bringen, wie es der Paketzusteller Hermes derzeit in Hamburg schon erprobt.
Wie viele Arbeitsplätze tatsächlich wegfallen, ist derzeit aber noch offen. „Wir haben keinen Netto-Effekt berechnet“, sagt Peter Wilke, Geschäftsführer vom Institut wmp Consult, das die Studie erarbeitet hat. Denn so wie die fortschreitende Digitalisierung Arbeitsplätze vernichte, schaffe sie zugleich auch neue Tätigkeitsfelder und könne wirtschaftliches Wachstum bringen.
Nach Auffassung von Verdi ist „die Qualifizierung der Mitarbeiter der Schlüssel für die Zukunft“, so Bose. Die Gewerkschaft fordert daher eine Qualifizierungsinitiative in den Unternehmen und einen gesicherten Anspruch auf Weiterqualifizierung für Beschäftigte, damit diese in ihren Berufen nicht vom technischen Fortschritt abgehängt werden und in der Folge ihren Arbeitsplatz verlieren. Das Bewusstsein dafür sei aber – insbesondere im Einzelhandel – noch nicht genügend verbreitet. „Viele Einzelhändler machen sich nicht klar, dass es auch sie betreffen wird“, sagt Bose und warnt davor, kostbare Zeit verstreichen zu lassen: „Die Entwicklung hat kräftig Fahrt aufgenommen.“
Das Glas ist immer halb voll
Es tut mal gut, wenn die Propheten der digitalen Zukunft nicht klassisch von der Arbeitgeber-Seite oder dynamischen Start-ups kommen, sondern von Gewerkschaftsseite, von Verdi. So wie der Dienstleistungssektor in den vergangenen Jahren mit ein wichtiger Motor für wirtschaftliches Wachstum und gefühlte Vollbeschäftigung war, so prekär sind immer noch die Einkommen vieler, die von zwei Jobs kaum leben können. Und so nachhaltig bedroht ist die Dienstleistungsbranche durch die Digitalisierung menschlicher Arbeit. Im Raum Stuttgart etwa sind selbstfahrende Lkw auf Probe unterwegs, Maschinen lernen schon erfolgreich zu fühlen, und in Hamburg lässt der Logistiker Hermes Pakete testhalber schon durch Roboter zustellen: Das digitale Zeitalter wird einerseits in hohem Tempo klassische Arbeitsplätze vernichten. Andererseits ist das Glas immer auch halb voll. Wer als Unternehmer seine Geschäfte digital ausrichtet, hat Zukunft. Jedoch nur, wenn er auch Mitverantwortung für das digitale Zukunftswissen seiner Mitarbeiter übernimmt. Das Rufen in der Servicewüste und das Beklagen fehlender Fachkräfte hilft dem Fortschritt nicht, sondern Bewegung auf beiden Seiten: bei den Unternehmern und den Mitarbeitern. Wer digital denkt und sich weiter bildet, hat Zukunft. Und wer an der Spitze der Bewegung ist, kann von ihr schwerer überholt werden.