Klaus Moritz schwebt über den Containern

Durch den Glasboden sieht der Brückenfahrer das Deck. Fotos Richter
Heute soll es trotz stürmischen Wetters mit Brückenfahrer Klaus Moritz aus Fredenbeck hoch hinaus gehen, auf eine der höchsten Containerbrücken im Hamburger Hafen. Als seine Kollegen in der Anmeldung am Burchardkai hören, was wir vorhaben, fragen sie nur trocken: „Kotztüte dabei?“
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Die Elbe ist rauh. Bei der HHLA am Burchardkai, wartet eines der größten Containerschiffe der Welt darauf, gelöscht und beladen zu werden. Aber das Wetter macht die Arbeit an den Hafenkränen schwierig.
Ich bin trotzdem froh, dass es mit dem Termin angesichts des stürmischen Wetters überhaupt klappt. Es war nämlich gar nicht so einfach, ihn zu vereinbaren. Der Containerhafen ist überwachter Sicherheitsbereich. Nach Anfrage bei der Pressestelle und Genehmigung des Besuchs durch die Geschäftsleitung musste ich mich mit Ausweisnummer voranmelden – zwecks Prüfung nach dem Sicherheitscode ISPS für die Gefahrenabwehr in Seehäfen. Der wurde nach dem 11. September 2001 eingeführt.
Eine HHLA-Pressereferentin holt mich ab. Ein Shuttlebus nimmt uns mit; das HHLA-Containerterminal Burchardkai hat immerhin eine Fläche von 1,4 Quadratkilometern. Damit ist es ungefähr so groß wie Monaco – nur voller bunter Stahlboxen. Bis zu 35 000 Standardcontainer (TEU) können hier gelagert werden.
Klaus Moritz erwartet uns am Hauptgebäude. Der 58-Jährige lebt seit vielen Jahren in Fredenbeck, ist aber gebürtiger Hamburger und ein alter Hafenkenner: Bei der HHLA (Hamburger Hafen und Logistik AG) ist er seit dreieinhalb Jahren als Brückenfahrer angestellt, aber er hat schon 20 Jahre bei der Gesamthafenbetriebsgesellschaft hinter sich. Moritz hat Container und Stückgutfrachter beladen und gelöscht, war Autofahrer und Kranführer. Vorher ist er fast 18 Jahre zur See gefahren, erst als Matrose, dann als Schiffsmechaniker. Das Spinnen-Tattoo auf seinem Handrücken, das ich damit in Verbindung bringe, hat er sich aber nicht auf den sieben Meeren stechen lassen, sondern nach einem langen Abend mit ein paar Jungs auf St. Pauli, erzählt er mir. Die haben als Erinnerung jetzt auch so ein Freundschaftstattoo.
Im Eingangsraum sind die Wände voller Monitore. Die etwa 700 HHLA-Leute, die am Burchardkai arbeiten, erfahren hier, wo und mit wem sie heute ihre Schicht verbringen werden, welches Schiff an welcher Brücke gelöscht wird und wer in den verschiedenen Funktionen im Einsatz ist.
Insgesamt arbeiten bei der HHLA 5200 Menschen, 3500 davon in Hamburg. Nicht alle sind in den Terminals Altenwerder, Tollerort und Burchardkai beschäftigt. Der HHLA gehören auch Immobilien, zum Beispiel die Speicherstadt und der Fischmarkt in Altona, und Bahntöchter. Einer der größten Trümpfe des Hamburger Hafens ist schließlich die Anbindung des Hinterlandes über die Schiene, speziell Osteuropas.
Die Brücke 44 ist einer der größten im Hafen. Mit getopptem Ausleger ist sie 110 Meter hoch. Die Kanzel des Brückenfahrers schwebt auf 50 Metern Höhe über dem Bug eines der größten Containerschiffe der Welt, an dem wir mit dem Shuttle ziemlich lange entlangfahren: Die „CMA CGM Benjamin Franklin“, Baujahr 2015, ist 399 Meter lang, 54 Meter breit und hat einen Tiefgang von 16 Metern. An ihrer Seite stehen sieben fahrbare Containerbrücken nebeneinander am Kai, um das Schiff zu be- und entladen.
Klaus Moritz in seiner „Katze“, der Kanzel des Brückenfahrers.
Zur Kanzel hinauf geht es mit dem Fahrstuhl. Draußen ist es eiskalt, aber in der „Katze“, wie Brückenfahrer ihre Kanzel nennen, kuschelig warm. Gemütlich können es hier allerdings nur absolut schwindelfreie Menschen finden: Der ganze Boden ist aus Glas. Sicherheitsglas, wie Klaus Moritz angesichts meiner vorsichtig tastenden Schritte schmunzelnd erklärt. Inzwischen hat er es sich in seinem Sitz bequem gemacht und die Hände an die Joysticks an den Armlehnen gelegt. Jetzt könnte er loslegen – wenn nicht der Wind wäre. Auf dem rechten der zwei Bildschirme hat er Windstärke, Windrichtung und -geschwindigkeit im Blick.
Für Klaus Moritz wäre es jetztein Leichtes, per Joystick mit dem Spreader (gesprochen „Schbredder“), einem riesigen Greifwerkzeug, an der Wasserseite ein paar Container wie Bauklötze vom Schiff zu heben. Wäre da nicht der Wind in Stärke sieben. Der Spreader hängt an Stahlseilen an der Brücke, und wenn der Wind auf eine Fläche von bis zu vier gleichzeitig gehobenen Containern trifft, kann es ziemlich wackelig werden. Klaus Moritz führt deshalb trocken vor, wie er den Spreader normalerweise über das Schiff fährt, die auf dem Schirm links vor ihm angezeigten Container greift und an Land auf einer von vier Spuren absetzt. Hochbeinige Hubwagen, sogenannte Van Carrier, von Moritz und seinen Kollegen auch „VCs“ genannt, die am Burchardkai in großer Zahl herumsausen, fahren über die Container, nehmen sie hoch und bringen sie ins Lager.
Wenn Klaus Moritz seine „Katze“ vor- und zurückbewegt, ruckelt es. Ich versuche, nicht an die eingangs empfohlene Tüte zu denken, und sehe, wie er, durch den Glasboden nach unten. Dorthin, wo er den Greifer exakt in Position bringt, um sich von den Tausenden Containern den zu schnappen, der gerade farbig auf dem Bildschirm erscheint.
Unten an Deck kontrolliert zeitgleich ein Kollege, der sogenannte „Einweiser“, ob der Brückenfahrer wirklich den richtigen Container gegriffen und ob er ihn korrekt positioniert hat. Den Plan, den Klaus Moritz auf dem Schirm sieht, hat der Kollege an Deck auf Papier bei sich. Sie stehen per Funk miteinander in Verbindung.
Der Plan wird von sogenannten Schiffs-„Plannern“ erstellt: Sie bekommen von den Reedereien einen Stauplan und den Auftrag, was gelöscht und was geladen werden soll, natürlich in einer optimierten Reihenfolge. Binnen 48 Stunden muss das Schiff gelöscht und beladen sein. Allerdings wird praktisch nie komplett gelöscht; Hamburg ist für die Frachter eine Station auf ihrer Reise, in jedem Hafen werden bestimmte Dinge gelassen und andere mitgenommen. Was genau in den Containern steckt, erfährt der Brückenfahrer so gut wie nie.
Damit die bunten Stahlkistenstapel nicht ins Rutschen kommen, gibt es „Knacken“ und „Lascher“: Zwei „Lascher“ haben wir eben unten auf der sogenannten Laschplattform getroffen. In einer kleinen Kabine am Rande der Plattform warten sie darauf, dass die Arbeit weitergehen kann. Sie kümmern sich um die sogenannten Knacken, mit Fachausdruck auch Twistlocks genannt. Die werden in die dafür vorgesehen Eckstücke der Container gesteckt, eine 90-Grad-Drehung verriegelt das Ganze.
Da der Wind noch immer nicht nachlässt, gehen wir auf ein Heißgetränk in die Kantine, die sich nach und nach füllt. Klaus Moritz erklärt, dass es vielleicht so aussieht, als ob er 3-D-Tetris spielt, aber viel anstrengender ist: „Als Brückenfahrer muss ich mich unheimlich konzentrieren.“ Räumliches Vorstellungsvermögen sei in seinem Job wichtig – und gute Augen, besonders bei Regen: „Vor allem blaue Container sind bei Nässe wegen der starken Spiegelung schwierig.“
Am Burchardkai wird rund um die Uhr gearbeitet. Eine Schicht wird stets von zwei Leuten gemacht: Abwechselnd die Hälfte der Zeit auf der Brücke, die andere als Einweiser an Deck. „Körperlich anstrengender ist es an Deck, da steht man mitten im Wetter. Außerdem trägt der Decksmann viel Verantwortung, weil er der Letzte ist, der den Container sieht“, sagt Klaus Moritz. Er sitzt am liebsten oben in der Katze: „Das Schönste an meinem Job ist die Aussicht. Vor allem, wenn die Sonne über dem Airbus-Werk untergeht.“
So besinnlich ist es aber selten. „Carambo, geht weiter“, brüllt jemand in die Kantine. Kurz darauf ist sie fast leer. Jetzt soll die unfreiwillige Pause aufgeholt werden, sagt Klaus Moritz: „Wir haben für die großen Schiffe ja nur kleine Zeitfenster. Wenn es in dieser Zeit nicht klappt, müssen wir auf die nächste Tide warten. Das sind 12 Stunden.“ Weshalb der Brückenfahrer sich jetzt verabschiedet. Der Wind hat sich gelegt, der Himmel ist wieder blau, und die Container auf der Benjamin Franklin warten.
Der Hamburger Hafen ist nach Rotterdam und Antwerpen der drittgrößte Containerhafen in Europa und der größte deutsche Seehafen. Rund 9000 Schiffe laufen ihn pro Jahr an, und es werden zurzeit rund 9 Millionen Standardcontainer (TEU) umgeschlagen. An seinen Kaimauern gibt es Liegeplätze für 300 Seeschiffe. Der Hafen hat vier moderne Containerterminals: Die HHLA-Terminals Altenwerder, Burchardkai und Tollerort sowie das Terminal von Eurogate, das dem Burchardkai gegenüberliegt. Im Frühjahr soll am Burchardkai das erste Mal ein Megafrachter mit einer Kapazität von 20 000 TEU festmachen, denn nach der Fusion von Hapag Lloyd mit der arabischen UASC kommen in die Hapag-Lloyd-Flotte mehrere Containerschiffe dieser aktuell größten Klasse.

Blick auf Kaimauer und Brücken des HHLA-Containerterminals Burchardkai . Er hat eine Fläche von ungefähr 1,4 Quadratkilometern, ist damit etwa so groß wie Monaco und bietet Platz für bis zu 35 000 Container. Foto dpa