Lilo Wanders: Die blanke Wahrheit über das Altern
Im türkisfarbenen Federkleid, mit knallrotem Kussmund und ohne ein einziges graues Haar – so präsentierte sich Dragqueen Lilo Wanders am Sonnabend im Kranenburger Hof. Thema des Abends: das Altern. Und darüber sprach la Wanders ungeschminkt.
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Sie hat gelebt, geliebt, gesoffen: Im bodenlangen Glitzerkleid schiebt eine „völlig verrotzte“ Lilo Wanders mit Rollator auf die Bühne und näselt ein Ständchen auf ihr bewegtes Leben. Keine Panik – der Schnupfen ist zwar echt, doch auf eine Gehhilfe ist die Ü-60-Dragqueen noch nicht angewiesen. Sie versinnbildlicht damit das Thema ihres aktuellen Programms „Endlich 60 – gaga, geil und gierig“: Das Alter macht vor niemandem Halt. Auch nicht vor Paradiesvögeln.
Damit trifft Lilo Wanders einen Nerv: Die Veranstaltung ist weit im Voraus ausgebucht. Über 180 Zuschauer zwängen sich am Sonnabend auf den Saal des Kranenburger Hofs und hören, was die Travestie-Künstlerin über Leben, Liebe, Lust ab 60 zu sagen hat. Das ist nicht immer zum Lachen, aber oft. Ihr Motto: „Alt sein ist nicht so prickelnd. Aber sterben ist auch nicht so schick.“
Offenheit war schon immer ihr Ding. Also spricht Lilo Wanders auf der Bühne auch frank und frei über Alterserscheinungen. Sie hält sich selbst den Spiegel vor: Sie wird vergesslich, hört nicht mehr so gut. Das madenweiße Fleisch in der Körpermitte werde immer mehr, das Gesicht dafür immer eingefallener. Mit Schminke lässt sich da zum Glück einiges machen. Trotzdem trifft sie morgens vor dem Spiegel immer der gleiche Schock: „Ich dachte, Horst Tappert ist tot.“
Nach viel Liebeskummer sei sie mittlerweile fähig, eine Beziehung zu führen, sagt Lilo Wanders über sich selbst. Doch sie möchte keinen Beziehungsalltag mehr, lieber eine Affäre mit Abstand. In ihren Sechzigern ist sie mit ihrem Liebesleben so zufrieden wie nie: „Wenn ich ans Bett genagelt bin, hat das nichts mit Krankheit und Alter zu tun.“
Auch für den Rückblick auf ihr Leben findet Lilo unverblümte Worte. In schlechten Zeiten kam sie als Synchronsprecherin für Pornos über die Runden. Der Alkohol hat lange Zeit eine wichtige Rolle gespielt. Mit 60 weiß sie: „Ich brauche keinen Alkohol und keine Drogen mehr, jetzt spüre ich den selben Effekt, wenn ich einmal schnell aufstehe.“ Trotzdem: Auf einen gesunden Lebenswandel verzichtet die Dragqueen. Sie hält es mit Hildegard Knef: „Ich jogge nicht. Ich laufe lieber Amok.“
Das Schlimmste am Altwerden habe ohnehin nichts mit dem Aussehen oder der Gesundheit zu tun. Wer miterleben muss, wie die Eltern zum Pflegefall werden, der brauche „Hornhaut auf der Seele“. Lilos Mutter lebt im Seniorenheim, musste ihr Haus gegen ein kleines Zimmer mit zwölf Quadratmetern tauschen. „Dement zu sein, ist eine Gnade. Wer noch klar denken kann, hat die Arschkarte.“
An die Rente denkt die Travestiekünstlerin noch lange nicht. Sie will so spät wie möglich jung sterben. Glücklicherweise kennt Lilo sich nicht bloß mit dem Älter-, sondern auch mit dem Jüngerwerden aus. Sie hat ihr Geburtsjahr schon dreimal nachdatiert. Eine Schummelei, die besser wirkt, als zentimeterdickes Make-up – aber leider nur Kunstfiguren vorbehalten ist.
Am 30. September tritt Lilo Wanders wieder im „Kranenburger Hof“ auf.