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Literaturseite: Geschichten von Helden und Meer

Das Verlagsgründer-Paar Julia und Stefan Krücken verbinden Familie, Literatur und Lebensart – mit Erfolg. Foto Andrae

Das Verlagsgründer-Paar Julia und Stefan Krücken verbinden Familie, Literatur und Lebensart – mit Erfolg. Foto Andrae

Ein sonniger Samstagmorgen im Nordheide-Dorf Hollenstedt. Im Alten Tanzsaal des Ortes befindet sich seit ein paar Jahren der Ankerherz-Verlag. Ein Verlag, der erfolgreich Bücher verlegt, die von Helden in der Wirklichkeit handeln und immer wieder vom Meer.

Sonntag, 04.06.2017, 11:27 Uhr

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Von Kirsten Andrae

In der Mitte des Saals, der in Weiß, Grau und Dunkelrot gehalten ist und gleichzeitig urbane Coolness und maritime Gemütlichkeit ausstrahlt, steht ein langer Holztisch: An einem Ende geben das Verlagsgründer-Paar Julia und Stefan Krücken im TAGEBLATT-Gespräch Einblicke in ihr eigenes Verlagsmodell – am anderen Ende frühstücken drei ihrer vier Kinder, der Familienhund liegt zu ihren Füßen. Ein Bild, das zeigt: Dieser Verlag ist ein bisschen anders als die anderen.

Auf dem Tisch liegen – was sonst – Bücher. „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“ ist eine von drei Neuerscheinungen in diesem Jahr. In zehn Wochen kommt „Dahoam“ heraus, die Biografie von Skirennläufer und Olympiasieger Markus Wasmeier, „ein Plädoyer für Heimatverbundenheit und gleichzeitig für Internationalität“, charakterisiert Stefan Krücken den Lebensbericht in Kurzform. Und in „Fellherz Sankt Pauli“, dem dritten Werk im Bunde, geben 21 Porträts Aufschluss über das Hundebesitzer-Dasein in Hamburgs schrillem Szene-Stadtteil.

In den weißen Regalen stehen die Titel, die im Laufe der vergangenen Jahre herausgekommen sind. Zum Beispiel die Aussteigergeschichte „Wie ich meinen Schreibtisch gegen die Wildnis austauschte“ von Guy Grieve. Oder „Zechenkinder“ mit Berichten über Männer, die für den Lebensunterhalt ihrer Familien unter härtesten Bedingungen „unter Tage“ in Bergwerken im Ruhrgebiet geschuftet haben. Oder auch „Barmherzige Schwestern“, in denen Nonnen des Ordens der Barmherzigen Schwestern vom Sinn des Lebens, von Zweifeln und Ängsten, vom Glauben und vom Glück erzählen. Dazu gesellen sich die Bücher, die vom Leben und Arbeiten am Meer und auf See handeln wie „Inselstolz“, „Sturmkap“, „Wellenbrecher“, „Orkanfahrt“ oder auch „Sturmwarnung“ über das abenteuerliche Leben des Hamburger Kult-Kapitäns Schwandt.

Viele der Ankerherz-Bücher hat Stefan Krücken selber geschrieben. Bevor er 2007 seinen Verlag gegründet hat, war der gebürtige Neusser Journalist, hat als Reporter aus der ganzen Welt berichtet. Der Bestseller „Unverkäuflich“ beispielsweise über die Erfolgsgeschichte von Fußballprofi und Weltunternehmer Bobby Dekeyser stammt aus seiner Feder. Ebenso wie „Dahoam“, besagte Wasmeier-Biografie, an der er zurzeit arbeitet.

Die Geschichten über das Meer und über Menschen, die oft erst auf den zweiten Blick als Helden zu erkennen sind, kommen gut an bei den Lesern. Was sich zum einen natürlich an den Verkaufszahlen ablesen lässt. Aber das ist es nicht nur. „Wir verbinden gute Inhalte mit Lebensart, auf diese Weise haben wir eine eigene kleine Welt geschaffen“, erklärt Stefan Krücken das Geheimnis seines Verlages. Zur Literatur ist im Laufe der Zeit immer mehr hinzugekommen; beispielsweise Kleidung und Wohnaccessoires, immer mit den typischen Ankerherz-Zeichnungen wie dem Seemann aus dem Band „Inselstolz“, dem Hai mit Taucher, der Alaska-Königskrabbe oder dem rot-weißen Ankerherz selbst.

Zum Lebengefühl rund um den Verlag gehört auch, dass viel in Eigenregie und auf der persönlichen Ebene erledigt wird. Für die Herstellung des Modekataloges beispielsweise war das ganze Ankerherz-Team samt Kindern auf Mallorca – die Kleidung sollte nicht, wie sonst üblich, von Models präsentiert werden.

Den persönlichen Kontakt zu seinen Lesern findet Stefan Krücken besonders wichtig. Die sozialen Medien spielen dabei eine bedeutende Rolle: Auf Facebook haben die diversen Ankerherz-Seiten mittlerweile fast 300 000 Follower; pro Woche werden drei bis fünf Millionen Leute erreicht. Krücken möchte genau wissen, was den Lesern gefällt und was nicht. Eine Haltung, die nicht unbedingt üblich ist in der Verlagswelt: „Auch deshalb haben wir Ankerherz gegründet: Die Verlagsbranche ist eine verkrustete, feige, starre Branche – da soll alles möglichst genau so weiterlaufen, wie es immer schon gelaufen ist“, kritisiert Stefan Krücken. Dass die Meinung der Ankerherz-Fans sogar höchst reale Verlagsentscheidungen beeinflussen kann, wird beim Buchprojekt „Fellherz“ deutlich: Das Hollenstedter Team konnte sich nicht auf eins von zwei Buchcover-Motiven festlegen; also wurde die Entscheidung den Facebook-Nutzern überlassen.

Zu den weiteren Vorteilen der sozialen Medien zählt für das Verleger-Ehepaar, dass „Literatur erlebbar gemacht“ werden kann. Zum Beispiel bei den Facebook-Live-Lesungen – bei der letzten hatten sich 12 000 Leute zugeschaltet.

Die Kinder, die mittlerweile zu Ende gefrühstückt haben, gehen nun mit dem Hund raus. Kaum ist die Tür geschlossen, geht sie wieder auf: Herein spaziert ein Ehepaar aus Hamburg, das eigens nach Hollenstedt gekommen ist, um sich ein paar Ankerherz-Bücher zu kaufen und von Stefan Krücken signieren zu lassen.

Als sich das Paar wieder auf den Rückweg macht, kommt Stefan Krücken auf zwei weitere Ankerherz-Aushängeschilder zu sprechen: zum einen die Kreuzfahrten „Heimathäfen“. Die Idee dazu und die nötigen Kontakte zu einer Reederei hatte NDR-Moderator und „Inselstolz“-Herausgeber Uwe Bahn. Mittlerweile gibt es die Reisen auf hoher See und unter dem Motto „Entdeckungsreisen vor der eigenen Haustür“ seit fünf Jahren; bislang waren alle sieben Kreuzfahrten ausverkauft. Bei der letzten Reise mit 420 Passagieren auf der 145 Meter langen MS Hamburg ging es nach Sylt, Helgoland, Borkum. Als besonderer Gast – der abends den literaturbegeisterten Passagieren aus den Ankerherz-Werken vorliest – war dieses Mal Volker Lechtenbrink mit an Bord. Die Kreuzfahrt-Ziele im kommenden Jahr sind die Britischen Inseln, die Ostküste Kanadas und der Transatlantik.

Für alle, die die Ankerherz-Lesungen lieber auf festem Boden mitverfolgen, gibt es die regelmäßigen Veranstaltungen direkt im Verlag. Eine Anmeldung ist nicht nötig; an diesen Abenden schauen auch gern die Hollenstedter spontan vorbei. In der Regel lesen leseerfahrende Schauspieler: Axel Prahl war schon da, auch Dietmar Bär, ebenso Uwe Fellensiek und Henning Baum. Das Motto der nächsten Ankerherz-Lesung, die noch in diesem Sommer im Alten Tanzsaal in Hollenstedt stattfinden soll, steht bereits fest: Dann werden echte Seenotretter von ihren gefährlichen Einsätzen auf wilder See erzählen.

 

Thomas Jüchter, Diplom-Musiktherapeut aus Buxtehude.

Ich lese gerade von Hanns-Josef Ortheil „Die Erfindung des Lebens“. Erzählt wird die Geschichte eines jungen Mannes von seinen Kinderjahren bis zu seinen ersten Erfolgen als Schriftsteller. Es ist ein stilles, eindrückliches Buch, sehr persönlich, sehr musisch und sehr dicht. Im wahrsten Sinne die Erfindung eines Lebens.

Eine junge Kellnerin wird zwanzig. An dem Tag bittet ihr Chef sie, dem – ihr unbekannten – Lokalinhaber das Abendessen in dessen Suite zu bringen.
Es öffnet ein zierlicher älterer Mann, der sie um ihre Gesellschaft bittet. Er ist von ausgesuchter Höflichkeit. Die Frau erzählt, dass sie Geburtstag hat - woraufhin ihr der Mann ein Geschenk machen will. Er lässt sie wissen, dass sie einen Wunsch äußern dürfe, sich diesen aber genau überlegen solle. Und er könne ihren Wunsch erfüllen – ganz gleich, was es sei.
Was ist ein „guter“ Wunsch – mit Anfang 20? Und ist er auch nach weiteren 20 Jahren noch ein guter Wunsch?
Wir erfahren nicht, was sich die Frau gewünscht hat, ob sich ihr Leben verändert hat. Wir erfahren aber, dass sie rückblickend meint, „…dass ein Mensch, auch wenn ihm alle Wünsche erfüllt werden, nie mehr werden kann, als er ist.“ (S. 59) Die moderne und geheimnisvolle, märchenhafte Erzählung lebt von der klaren Sprache Murakamis. Seine sprachlichen Bilder finden eine wundervolle Ergänzung in den pointierten Zeichnungen Kat Menschiks.
Wie bei den Erzählungen „Die unheimliche Bibliothek“, „Die Bäckerei-Überfälle“ und „Schlaf“ hat die Illustratorin die Vorlage von Murakami gekonnt in Bildern festgehalten. Surrealistisch anmutende Zeichnungen begleiten die Erzählung, die 2006 schon im Band „Blinde Weide, schlafende Frau“ erschienen ist.

Haruki Murakami: „Birthday Girl“, Illustrationen von Kat Menschik, Übersetzung: Ursula Gräfe, 80 Seiten, 24 farbige Abbildungen, gebunden mit Lesebändchen und farbigem Vorsatz,
ISBN 978-3-8321-9858-9,
Preis: 16 Euro.

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