Manfred Bartsch ist so bekannt wie ein buntes Schaf

Eine Collage mit flauschigen Schafen und Fotos erinnern an den Besuch vieler Kinder im Schafstall in der alten Kiesgrube in Agathenburg: Manfred Bartsch zeigt Bilder aus seiner Zeit als Schmied, Lokführer, Schafzüchter und Ofenheizer im Bac
Bekannt wie ein buntes Schaf ist Manfred Bartsch nicht nur in Agathenburg. Viele kennen ihn aus ihrer Kindheit, denn Jahre lang durften Kinder den Schafzüchter und Eisenbahner in der alten Kiesgrube besuchen und die Lämmchen streicheln. Oder mit dem Backofenheizer Pizza backen.
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Im Alter von 85 Jahren ist es um Manfred Bartsch ruhiger geworden. Zusammen mit Ehefrau Dorothea (84) sitzt er in seiner Küche und erzählt aus seinem bewegten Leben: vom Alltag als Lokführer, vom Schafbock Freddy, 120 Kilogramm schwer, von TV-Aufnahmen im Schafstall mit Mutterschaf Pünktchen, Chefin der Schafherde, zur Geburt ihrer Vierlingen; bei Texel-Schafen sei das extrem selten. Der Pensionär erzählt von Bruno, dem 1A-Bock, den er ins Baltikum verkaufte, und den gelben Rosen in seinem Garten, Gold-Else und Gloria-Dei. Und von der Schlossgeschichte, die Pastor Peter Golon bei der 800-Jahr-Feier im Pferdestall dreimal aufführen ließ. Manfred Bartsch spielte den Grafen von Königsmarck: „Die Bude war voll.“
Immer wieder springt er auf und holt Fotos, um zu zeigen, wie es wirklich war. Fotos vom jungen Manfred, in Krumbach in Schlesien geboren, der nach der Flucht mit seiner Mutter und den Geschwistern im Februar 1945 bei Verwandten in Kreis Segeberg gelandet war. Der „stramme Kerl schon mit zwölf“, der als ältester Sohn von zehn Kindern schon früh helfen musste, die Familie mit zu versorgen, begann mit 14 Jahren eine Schmiedelehre, lernte Hufbeschlag und Wagenbau. Zwei Fotos zeigen ihn bei der Arbeit im Juni 1949. Mit 17 Jahren hatte er ausgelernt – als Innungsbester. Statt die Tochter des Schmiedemeisters – wie vorbestimmt – zu heiraten, kündigte er und fing in einer Textilmaschinenfabrik an. 1955 heiratete er seine Dorothea und ging zur Bahn. 1965 wechselte er vom Betriebswerk Neumünster zum Betriebswerk Harburg. Die Familie mit Tochter Marion und Sohn Holger zog ins „ländlich-sittliche“ Neugraben, wohnte wieder in einem Eisenbahnerhaus.
„Vom Küchenfenster aus konnten wir die Elbe gucken“, wirft Dorothea Bartsch ein, die 25 Jahre als Verkäuferin in Neugraben arbeitete und ihren Mann bei allem unterstützte. Der Dampflokführer schulte um auf Diesel- und Elektro-Lokomotive, wurde Ausbildungslokführer und wechselte – weil er „nicht in fremden Betten schlafen wollte“ – 1979 zur S-Bahn. Als Betriebsinspektor wurde der Beamte auf Lebenszeit 1991 pensioniert. Nach Agathenburg war Familie Bartsch schon vorher gezogen. Dass es hier eine Bahnhaltestelle gab, war ein entscheidendes Kriterium für Manfred Bartsch, der keinen Führerschein hat.
In Agathenburg kauften sie 1982 das ehemalige Postgebäude in der Poststraße neben einem kleinen Tante-Emma-Laden. Ein Jahr lang renovierten sie das alte Backsteinhaus und bauten es aus zu einem Zweifamilienhaus. Mit Hilfe von Kollegen wurden die Mauern verklinkert, das Dach neu gedeckt, Fenster eingesetzt. Tochter Marion, als Schulungsleiterin in der Lebensmittelbranche bundesweit viel unterwegs, wohnt im Obergeschoss.
Auch sechs Mutterschafe zogen mit nach Agathenburg. Bereits in Neuenfelde hatte Familie Bartsch Gartenland gepachtet und – weil die 1,5 Hektar große Wiese für einen Garten zu groß war – Schafe und Ponys gehalten. Bis zu 15 Mutterschafe habe er zeitweise gehabt, erzählt der Schafzüchter aus Leidenschaft, beim Austrieb im Frühjahr waren es 60 bis 70 Tiere.
Seine erste Weide in Agathenburg lag am Schweineberg hinterm Schloss, heute ist es Naturschutzgebiet. Später graste seine inzwischen wieder auf 35 Muttertiere angewachsene Herde auf 3,5 Hektar Grünfläche in der alten Kiesgrube. 100 Texel-Schafe und Lämmer hatte er in den 90er Jahren im Stall – „das war meine Blütezeit“, sagt Manfred Bartsch, Mitglied im Stader Schafzuchtverband. Fotos zeigen ihn bei der Bockauktion in Bremervörde, wo der Züchter seine Tiere anbot und Preise gewann. „Geld verdienen konnte man damit aber nicht“, sagt er.
Bereits in Neugraben hatte Familie Bartsch den Schafstall als beliebten Ausflugsort etabliert. Der Schafe-Tourismus habe sich im Laufe der Jahre einfach ergeben, erinnert sich Manfred Bartsch. „Ein Nachbar hatte ein behindertes Kind, so fing es an.“ Mehrmals im Jahr verbrachten Kinder aus den Alsterdorfer Anstalten und Hamburger Schulen einen Tag auf seiner Weide, durften die zutraulichen Schafe auf den Arm nehmen und streicheln.
In Agathenburg wurde die Tradition fortgeführt. Aus Hamburg reisten Gruppen nun mit dem Zug für einen Ausflug aufs Land an, auch Grundschulklassen und Kindergärten aus der Region besuchten Familie Bartsch in der alten Kiesgrube, wurden kostenlos bewirtet und versorgt. Viele Kindergeburtstage und andere Feste wurden hier gefeiert.
Vor 20 Jahren startete der pensionierte Eisenbahner und Schafzüchter seine letzte Karriere: als Ofenheizer beim Agathenburger Backofenverein „Gothenbörger Backobenfrünn“, den er initiiert hat und für den er viele Bleche mit Meterbroten oder Butterkuchen aus dem Steinbackofen zog. Viele Fotos zeigen diesen Teil seiner Lebensgeschichte. Ausführlich erzählt der ehemalige Lokführer, wie es dazu kam.
Der einzige in Agathenburg noch erhaltene Backofen auf Privatgrund kam für einen Dorf-Backofen nicht in Frage. Auf Gemeindegrund neben der Mehrzweckhalle konnte seine Idee schließlich realisiert werden. Anlässlich der 800-Jahr-Feier in Agathenburg 1999 wurde der Backofenverein von Hannes Thomfohrde, Martha Bastian und Manfred Bartsch gegründet und ein neuer Steinbackofen nach alten Vorlagen gebaut. Tochter Marion wurde später Vereinsvorsitzende; in ihre Zeit fiel der Bau des Backofenhauses.
Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche, Kindergärten und Klassen waren ein Schwerpunkt der Vereinsarbeit. Die Grundschule Dollern/Agathenburg war am Wandertag bei den Backofenfreunden zu Gast, der katholische Kindergarten Stade feierte hier sein Sommerfest. Backen mit Kindern war ein beliebtes Ferienspaß-Angebot. Auch Pizzabacken für das Fußball-Jugendcamp des SV Agathenburg/Dollern fand hier statt. Zusammen mit Vereinskollegen half Manfred Bartsch beim Waldgottesdienst am Pfingstmontag im Buchenwald. Nach dem Gottesdienst wurde zum Frühstück mit frisch gebackenem Meterbrot am Steinbackofen eingeladen.
Der Pensionär ist Mitglied in der Altersgruppe der Feuerwehr, im SV Agathenburg/Dollern und im DRK-Ortsverein. Als Weihnachtsmann bescherte er beim Seniorennachmittag, aber auch im Agathenburger Kindergarten, in der Grundschule in Dollern und beim Verein Lebenshilfe Stade, dem der Großvater einer behinderten Enkelin ebenfalls als Mitglied angehört.
Inzwischen hat sich Manfred Bartsch aus dem aktiven Vereinsleben zurückgezogen. Wie immer Freude versprühend, führt er durch den kleinen Garten hinter dem Haus, sein neuestes Arbeitsfeld, zeigt seine Rosen, Akeleien, Bartnelken, Zinnien. „Alles hat seine Zeit“, sagt der 85-Jährige. Und freut sich, wenn die damaligen Kinder, heute erwachsen, vorbeikommen, um ihn zu grüßen und sich zu bedanken. „Sie haben inzwischen selber Kinder, haben mich aber nicht vergessen“, sagt er und strahlt.
{picture1s}Das ist original Agathenburg: Mit diesem Stempel versieht das TAGEBLATT Porträts von Menschen, die typisch für ihren Ort sind, Typen, die nicht alltäglich sind – eine Serie nicht nur für die Gemeinde Agathenburg.