Senvion will Werke schließen

Vor der Senvion-Zentrale in Hamburg: (von links) Alan-Thomas Bruce (Betriebsratsvorsitzender Powerblades Bremerhaven), Meinhard Geiken (Bezirksleiter IG Metall Küste), Bernhard Band (Betriebsratsvorsitzender Osterrönfeld) und Bernd Dombrows
Während der Windkraftanlagen-Hersteller Senvion gestern in London seinen Geschäftsbericht für das vergangene Jahr 2016 mit einem Verlust von 65 Millionen Euro vorlegte, zeigten IG Metall und Konzernbetriebsräte in Hamburg Flagge. Vor der Senvion-Zentrale am Überseering in Hamburg machten sie am Mittag deutlich, dass sie den geplanten Stellenabbau des Unternehmens nicht hinnehmen werden.
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Senvion will seine Produktionsstandorte an drei Standorten in Deutschland schließen und ins Ausland verlagern. Betroffen sind 100 Mitarbeiter in Husum, 75 in Trampe (Brandenburg) und 386 in Bremerhaven. Service-Standorte des Unternehmens vor allem in Schleswig-Holstein sollen in Schleswig zentralisiert werden. Was das im Einzelnen für die Mitarbeiter bedeutet, ist derzeit noch völlig unklar.
Sicher ist aber, dass die Gewerkschaft und die Betriebsräte einen „Kahlschlag und die Schließung der Standorte nicht hinnehmen werden“, wie Meinhard Geiken, Bezirksleiter IG Metall Küste, gestern ankündigte. Es sei eine „Unverschämtheit“, dass der Konzern Gewerkschaft wie Betriebsräte vor vollendete Tatsachen gestellte habe. Die Arbeitnehmervertreter erwarten, dass mit ihnen verhandelt wird − und zwar „nicht über Schließungen, sondern über Alternativen“. IG Metall, Betriebsräte und Beschäftigte wollen mit zahlreichen Aktionen gegen die angekündigten Entlassungen und Standortschließungen protestieren.
Für Montag, 27. März, hat die Gewerkschaft zu einem Runden Tisch ins Gewerkschaftshaus nach Hamburg eingeladen, um über die Zukunft von Senvion zu sprechen. Teilnehmen werden neben der Geschäftsleitung und Beschäftigten auch die Wirtschaftsminister der drei betroffenen Bundesländer. „Dazu erwarten die Beschäftigten auch Ideen von der Geschäftsführung. Wenn diese nur auf Entlassungen und Schließungen setzt, werden wir einen harten Konflikt bekommen“, sagte Geiken.
Am Vormittag war Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) zu einem Gespräch mit Betriebsräten und Geschäftsführung in Husum. Dort und in Bremerhaven sind am kommenden Montag Betriebsversammlungen geplant. In Trampe zogen gestern 200 Beschäftigte zu einer Kundgebung mit Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) vors Tor.
Unterdessen verteidigte Senvion-Chef Jürgen Geißinger in einer Telefonkonferenz mit Journalisten die geplante Schließung der Standorte. „Das ist wirklich notwendig, um unsere Betriebskosten zu reduzieren“, sagte er. Die heftige Reaktion der Arbeitnehmer überraschte den Chef nicht. Es würde ihn wundern, wenn sie anders ausfiele. „Es ist eine harte Entscheidung, die wir fällen mussten. Aber wir müssen auch sehen, dass die anderen 4100 Jobs im Unternehmen für die Zukunft gesichert werden müssen.“ Und Unternehmenssprecher Immo Fallois, der das Pressegespräch mit den Arbeitnehmer-Vertretern vor der Hamburger Konzern-Zentrale verfolgte, sagte mit Blick auf die angekündigten Proteste: „Wir brauchen keinen Robin Hood, sondern den Beginn vernünftiger Gespräche mit den Sozialpartnern.“ Das Unternehmen habe zu viele Standorte, die man sich „in den guten Jahren zwischen 2000 und 2012 leisten“ konnte, jetzt aber nicht mehr. Laut Fallois sind die Produktionskosten im Ausland um zwei Drittel niedriger. Das Unternehmen will künftig in Portugal fertigen lassen, aber auch in Indien, wo derzeit ein Werk gebaut werde. Eine Mitschuld für diese Entwicklung gibt der Unternehmenssprecher der „Überregulierung des Marktes“ durch die Politik.
Geschäftszahlen
Laut Geschäftsbericht konnte Senvion die Verluste von 106 Millionen Euro im Jahr 2015 auf 65 Millionen Euro Verlust im Jahr 2016 senken. Der Umsatz stieg um 3,4 Prozent auf 2,21 Milliarden Euro, davon kommen 1,6 Milliarden Euro aus dem Onshore-Geschäft, der Rest aus dem Offshore- sowie dem Service-Bereich. Die Festaufträge für 2016 betrugen 1,3 Milliarden Euro. Noch nicht endgültig festgezurrt waren Abschlüsse über 1,77 Milliarden Euro, wie die Senvion S.A. mitteilte. Sie sprach von einem „soliden Auftragsbuch“. (dpa)
Mitarbeiter tragen die Folgen
Eigentlich dürfte es niemanden mehr wundern, dass der Windanlagenhersteller Senvion seine Produktion ins billigere Ausland verlegt. Schon vor Jahrzehnten ist das Gleiche zum Beispiel in der Bekleidungsbranche geschehen, die heute ausschließlich in Ländern wie Portugal, Indien oder Bangladesh produzieren lässt. Deutschland hat als Produktionsstandort fast immer das Nachsehen im internationalen Dumpingpreis-Wettbewerb.
Nun trifft es die Mitarbeiter in der vergleichsweise jungen Windkraftbranche. Rund zwei Drittel niedrigere Produktionskosten sind kein Pappenstiel – erst recht vor dem Hintergrund, dass mit der jüngsten Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die garantierten Stromumsätze für Netzbetreiber gesenkt wurden. Dass nun aber über 730 Arbeitsplätze nicht sozialverträglich abgebaut werden sollen, ist in diesem großen Ausmaß auch unternehmerisches Missmanagement. Subventionen nimmt man gerne, Arbeitsplätze schafft man dank grünen Windenergie-Mäzenatentums der Bundesregierung. Die Folgen, wenn wirtschaftlich härterer Wind weht, tragen jetzt wie so oft hauptsächlich die Mitarbeiter.

Senvion will rund 730 Stellen in Deutschland streichen. Foto Pleul/dpa