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Gastkolumne

Totengräber und Befindlichkeiten

Symbolfoto Friso Gentsch/dpa

Symbolfoto Friso Gentsch/dpa

Deutschland gehört in Sachen IT-Entwicklung ja nicht unbedingt immer zu den Hellsten - und leider auch nicht zu den Schnellsten. Bei Breitbandausbau, Digitalisierung oder Netzabdeckung landet die Bundesrepublik in Europa wechselweise hinter Ländern wie Rumänien, Lettland oder Albanien.

Samstag, 12.01.2019, 11:00 Uhr

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Von Dieter Hünerkoch

Wirtschaftsminister Peter Altmaier lässt sich mittlerweile unterwegs nur noch dort mit ausländischen Politikern verbinden, wo Netzstabilität garantiert ist. Denn starke Schwankungen oder gar Unterbrechungen empfindet er gegenüber internationalen Kollegen einfach nur noch als „total peinlich“.

Und während etwa in anderen Ländern mit deutlich weniger Wirtschaftskraft längst normale Behördenangelegenheiten komplett digital zu erledigen sind, ziehen wir hierzulande beim leibhaftigen Gang aufs Amt noch immer Wartemarken und starren dann darauf, dass irgendwann unsere Nummer auf einem Display aufleuchtet.

Und in nicht gar so wenigen Gegenden Deutschlands ist das, was am Ende bei genervten Kunden als Übertragungsleistung am Router ankommt, nach heutigen Möglichkeiten allerhöchstens noch als Wireless-Lahm zu verwenden.

Nun konnten wir ja bis kurz vor Weihnachten wenigstens noch hoffen, dass die gegenwärtige Schüler-Generation ab diesem Jahr für alle Fälle schon mal für das ausgebildet wird, was es sicherlich auch irgendwann bei uns flächendeckend geben wird: Schnelles Internet und Digitalisierung. Die nämlich wird schon bald das Berufsleben nicht nur der nachwachsenden Generationen prägen.

Das Wunderwort vor Weihnachten hieß „Digitalpakt“. Fünf Milliarden Euro wollte und will der Bund zur Verfügung stellen, um unsere Schulen für diese Zukunft aufzurüsten. Dafür änderte eine große Parlamentsmehrheit sogar das Grundgesetz, weil bis dato in solchen Bildungsfragen ein Kooperationsverbot gilt. Die Länder aber stoppten die Grundgesetzänderung und damit auch den Digitalpakt vorerst im Bundesrat. Denn die Hoheit für Bildung liegt bei ihnen. Und sie wollen – um es ohne das durchschaubare Föderalismus-Theater mal auf einen ganz kurzen Nenner zu bringen – das Geld vom Bund gerne nehmen, aber sich am liebsten nicht reinreden lassen, was sie damit machen und vor allem bei Folgeprogrammen des Bundes nicht zur paritätischen Mitfinanzierung verpflichtet sein. Dann wäre die Lösung doch eigentlich denkbar einfach: Wer seine alleinige Länderzuständigkeit über alles stellt und dieser dann gefälligst auch gerecht werden müsste, der braucht das Geld vom Bund ja nicht zu nehmen. Niemand zwingt ein Bundesland dazu. Stattdessen ist von „Frontalangriff auf den Föderalismus“ die Rede und Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther lamentiert: „ Der Bund will sich in die Finanzierungshoheit der Länder“ einmischen.

Ja, mal ganz ketzerisch gefragt, wird das nicht auch langsam mal höchste Zeit, um Bildung in Deutschland auf eine insgesamt nachhaltig breitere finanzielle Basis zu stellen? Was ist denn so heilig an der Bildungshoheit der Länder, dass man sie wie eine Monstranz vor sich hertragen muss und nicht mal über Reformbedarf nachdenken darf. Abschaffen will sie ja keiner.

Hat die Länderhoheit von 16 kostenträchtigen Ministerialbürokratien und einer aufgepfropften ebenso schwerfälligen wie vielfach unverbindlichen Konferenz der Kultusminister etwa verhindert, dass in Deutschland zu Schuljahresbeginn an die 40000 Lehrerinnen und Lehrer fehlten? Nein, hat sie nicht. Im Gegenteil, die Länder jagen sich nun die Bewerber mit Besoldungs- und Verbeamtungs-Leckerlies auch noch gegenseitig ab. Nicht mal die Lehrerausbildung ist bei allen gleichwertig. Die Gewerkschafts-vorsitzende Marlies Teppe (GEW) beklagt zudem, dass trotz dieser schlimmsten Situation seit Jahrzehnten in einigen Bundesländern immer noch Ausbildungsgänge für Lehramtsstudiengänge geschlossen werden und mit dem Numerus Clausus Zulassungsbeschränkungen bestehen, die sogar noch verschärft wurden. Sie nennt das „absurd“. Recht hat sie.

Hat diese 16fache Ministerschaft der Länder verhindert, dass in Deutschland Schulen verschimmeln und vergammeln oder dringend sanierungsbedürftig sind? Nein, hat sie nicht. Der Investitionsrückstau an Deutschlands Schulen beträgt in den Kommunen mittlerweile an die 50 Milliarden Euro und für Kitas kommen nochmal 8 Milliarden oben drauf. Auch hier hat der Bund Milliarden zur Verfügung gestellt.

Hat die Länderhoheit verhindert, dass hierzulande die Lehrkräfte ganzer Schulen und ganzer Einzugsgebiete mit Integration und Inklusion ohne ausreichende soziale Begleitung alleingelassen werden? Nein, hat sie nicht.

Und ist es nicht noch immer so, dass Eltern, die aus beruflichen Gründen – sagen wir mal – von Bremen nach Bayern ziehen, nicht sicher sein können, ob ihre normal begabten Kinder dort auf dem Gymnasium noch mitkommen oder nicht gleich lieber freiwillig ein Jahr zurück gehen sollten? Die Länder-Uneinigkeit darüber, ob das Abi nun nach 12 oder 13 Jahren gemacht wird, hat diese Situation gegebenenfalls noch verschlimmert. Mütter und Väter, die wissen, wovon sie reden, nennen das „föderales Bildungschaos“.

Soviel zu einer der familiengerechten Grundvoraussetzungen für die allseits geforderte Mobilität von Arbeitnehmern.

Im aktuellen Streit meldet sich sogar die Berliner Digital-Ministerin Dorothee Bär, von der man sonst ja nicht gar so viel hört: Es gehe nicht an, dass sich 16 Kultusministerien aus Befindlichkeiten heraus nicht auf bundesweite Standards einigen könnten. Der Föderalismus könne so zum „Totengräber für die Digitalisierung der Schulen“ werden.

Und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil befindet durchaus richtig: „Die Politik verheddert sich mitunter in Problemen, die für die Bürger nicht mehr gut nachvollziehbar sind.“

Dabei ist doch gerade er einer von denen, die das ändern könnten – auch beim Digitalpakt.

{picture1s} Der Autor ist Journalist und war unter anderem Mitglied der Chefredaktion der „Wirtschaftswoche“ und als geschäftsführender Redakteur des „Stern“ verantwortlich für die Ressorts Wirtschaft und Politik. Er ist Mitglied im TAGEBLATT-Kompetenzbeirat.

An dieser Stelle schreiben jeden Sonnabend Autoren aus der Region zu einem von ihnen selbst gewählten Thema. Im Autoren-Pool sind Christian Poppe, Dieter Hünerkoch, Heiko Tornow, Udo Muras, Dr. Karl-Heinz Betz, Christiane Oppermann, Andrea Reidl und Teja Adams.

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