Vor über 70 Jahren kickte Uwe Seeler hier die ersten Bälle

HSV-Idol Uwe Seeler auf dem legendären Platz 2 in Langenhorn, den durfte damals nur die HSV-Elite bespielen. Hier hat er bereits als Jugendlicher unter Trainer Günter Mahlmann gekickt. Foto: Stephan Pflug
Es ist immer noch ruhig und idyllisch hier. Die HSV-Legende Uwe Seeler lebt auf diesem Fleck zwischen Norderstedt und Ochsenzoll seit 60 Jahren. „Ich bin und bleibe Hamburger“, betont Seeler, auch wenn er genau an der Demarkationslinie mit seiner Frau Ilka wohnt.
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Der heute 83-Jährige kam 1947 an diese Ecke, wo damals schon „zehn Fußballplätze waren, alles Rasen“, erzählt er. Ansonsten wäre in Hamburg fast nur auf Grand gespielt worden. Doch der HSV war schon damals die Nummer eins im Hamburger Fußball und ließ sich die Ausbildung seiner Fußballer was kosten. 1928 hatte man das morastige, 130.000 Quadratmeter große Gelände gekauft, grundiert, Rasen gepflanzt. Seit 1930 spielten hier alle unterklassigen Teams und die Jugend, insgesamt 68 Mannschaften.
Seeler war damals Steppke, Toptalent der Rothosen, er wohnte mit der Familie in Eppendorf und fuhr wie seine Kollegen regelmäßig die 15 bis 20 Kilometer nördlich hier raus, um zu trainieren. Später wurde das Gebäude nach dem damaligen Macher und auch HSV-Präsidenten „Paul Hauenschild Sportplätze“ genannt.
„Nach dem Krieg war es eine Idylle“, sagt Seeler heute. Es gab neben Fußballplätzen Wiesen und Wälder, war extrem dünn besiedelt, dort, wo heute auch verkehrsumtoste Hauptverkehrsstraßen verlaufen und der Hamburger Bauboom um sich greift. Das einst vorstädtische Ochsenzoll, Teil des Stadtteils Langenhorn, ist längst vom ländlichen Idyll zum suburbanen Zentrum geworden. Mit riesigem Krankenhaus, Audi-Autozentrum und zentralen Einkaufsmöglichkeiten. „Hier war alles grün“, erinnert sich Seeler. Es sei „ein wenig weg von der Großstadt“ gewesen. Die Seelers bauten 1959 ein Haus, direkt neben den Trainingsplätzen, als „Uns Uwe“ bereits ein Star und Nationalspieler war.
Die U-Bahn Ochsenzoll gab es bereits seit 1921, sie war bis 1969 Endstation der Linie U1. Als Jugendlicher sei man, aus der Stadt kommend, die zwei Kilometer hierher gelaufen, so Seeler, später dann die weite Strecke mit dem Rad gefahren. „Es war ruhiger, gab weniger Verkehr, alles war dörflicher“, sagt Seeler. „Heute ist es viel mehr Großstadt, sie bebauen jeden Fleck“, ergänzt er. In Ochsenzoll habe es damals zwei Geschäfte gegeben, „Wahnsinn, was sich hier getan hat“, beschreibt er den Wandel. Viele Einfamilienhäuser müssten großen Bürotürmen weichen, kritisiert er. Auch wenn Seeler gerne zurückblickt, will er nichts verklären. „Es war hier romantisch, gab keinen Jugendlichen, der das nicht geliebt hat, trotz der weiten Wege.“
Ochsenzoll ist offiziell ein Wohn- und Geschäftsquartier unbestimmter Größe auf der Landesgrenze zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. Ehemals war hier die Zollgrenze zwischen Hamburg und Holstein. Der Hamburger Teil gehört zum Stadtteil Langenhorn. Der Grenzverlauf folgt unter anderem dem Bach Tarpenbek. Früher gab es hier Ochsenwege im Moor, durch die die Tiere getrieben wurden. Die Ochsen mussten an der Grenze zur Reichsstadt Hamburg verzollt werden. Straßennamen wie „Schmuggelstieg“ und „Am Ochsenzoll“ in der Nähe erinnern noch heute daran.
Seeler fand hier vor allem „Entspannung“, neben seinem extrem anstrengenden und reiseintensiven Leben als Fußball-Profi und Handelsvertreter für den Sportartikelhersteller Adidas, für den er 70.000 Kilometer jährlich durch ganz Norddeutschland fuhr.
Er sei auch mal zum Zugucken bei den anderen Teams an die anliegenden Plätze gekommen, wenn er nicht gerade den Rasen seines Hauses gemäht und Kindern, die vom gegenüberliegenden Schwimmbad kamen, Autogramme gegeben hat. Seelers drei eigene Kinder sind hier aufgewachsen, „die Mädchen haben hier Tennis gespielt“, erzählt der immer noch sehr fitte Rentner.
Gerne erinnert er sich an seine Jugend in Ochsenzoll und wie er später seine Ilka, die als HSV-Handballerin ebenfalls auf dem Areal trainierte, kennenlernte. „Wir haben uns hier immer sauwohl gefühlt, wollten nie weg.“ Es hat das legendäre Gasthaus „Lindenhof“, direkt an der Straße gegeben, mit der „besten Fassbrause“, schwärmt Seeler noch heute, die Weihnachtsfeiern fanden im alten Klubhaus oben statt.
Später, als die Profis nicht mehr am Rothenbaum sondern hier trainierten, sei es zum „Wallfahrtsort“ für HSV-Fans geworden. Nicht nur deswegen sei die Zugehörigkeit des Grenzgebietes für Seeler nie fraglich gewesen. „Das hier war immer Hamburg, der HSV ist ja auch Hamburg.“ Heute spielen und trainieren hier nur noch die dritte und vierte Mannschaft des HSV und die Jugend bis zur U14. Der restliche Spiel- und Trainingsbetrieb sowie das Internat sind in den Volkspark verlegt worden.
Es sei „immer noch eine schöne Wohngegend“, so Seeler, „ich hoffe nicht, dass nun überall riesige Hochhäuser gebaut werden.“ Mit Langenhorn, der Heimat auch Helmut Schmidts, wo Ochsenzoll offiziell liegt, habe er wenig zu tun. „Ich war immer stark ausgelastet“, Zeit zum Schlendern über den großen Langenhorner Wochenmarkt blieb da nicht. „Fürs Einkaufen war meine Frau zuständig“, sagt er, bevor es zum alten Trainingsplatz geht und Seeler sich dran erinnert, wie er hier vor über 70 Jahren die ersten Bälle gekickt hat.
Noch als die Seelers hier hinzogen, waren es Sand- statt Asphaltstraßen, viele verliefen bergabwärts, das Regenwasser staute sich, es gab riesige Pfützen und man musste aufpassen, dass nichts ins Haus lief. „Es war urig hier“, sagt Seeler aber auch. Unweit befindet sich das Schmuggelstieg-Quartier. Früher wurden hier Kühe geschmuggelt. Heute ist es ein Nahversorgungszentrum mit überwiegend kleinteiligen, inhabergeführten Einzelhändlern. Der ruhige Markt- und Fußgängerzonencharakter lädt zum Einkaufen und Verweilen ein. „Hier sind wir als Kinder marschiert“, grinst Seeler. „Eigentlich müsste man meine Fußstapfen noch sehen.“
Langenhorn ist insgesamt eine beliebte Wohngegend mit bewegter Geschichte. Es gibt das Naturschutzgebiet Raakmoor, früher Hochmoor, heute Feuchtbiotop, über gezimmerte Holzstege gelangt man durch den matschigen Bruchwald. Im Stadtteil befinden sich hübsche Wohnsiedlungen wie die Schumacher-Gartenstadt und die Schwarzwaldsiedlung. Die Einkaufsmöglichkeiten sind gut und die U-Bahnanbindung reicht von Fuhlsbüttel-Nord über Langenhorn-Markt, Langenhorn-Nord, Kiwittsmoor bis Ochsenzoll.
Über 44.000 Einwohner zählt der Stadtteil mit einem hohen Anteil an Senioren und jungen Familien. Viele Langenhorner wohnen seit den 1960er-Jahren im Stadtteil, als auf der grünen Wiese insgesamt 12.000 Wohnungen hochgezogen wurden. Mit den aufgelockerten Wohnsiedlungen und 40 Prozent Ein- und Zweifamilienhäusern erscheint Langenhorn gartengrün, dörflich ist es nicht mehr, dafür gibt es viele Reihenhäuser. Seit der Jahrtausendwende entdecken Hamburger Familien den knapp 14 Quadratkilometer großen Stadtteil unter anderem wegen geräumiger Wohnungen, passabler Mieten und seiner Nähe zur Natur.
In Langenhorn ist auch die bekannte Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, 1893 als „Anstalt Ochsenzoll“ gegründet. Sie versorgt heute in 28 medizinischen Fachabteilungen über 72.000 Patienten jährlich. Die Klinik hat 2500 Mitarbeiter. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Patienten der „Pflege- und Heilanstalt“ in Tötungsanstalten gebracht oder vor Ort getötet. Mindestens 22 Kinder wurden in der „Kinderfachabteilung“ ermordet.
Zahlen und Historie
- Einwohnerzahl: 45.888
- Fläche: 13,8 Quadratkilometer
- Migrationsanteil: 31,2 Prozent (Hamburger Durchschnitt 16,7 Prozent)
- Durchschnittliches Einkommen: 30.965 Euro jährlich (Hamburger Durchschnitt 39.054 Euro)
- Kriminalitätsrate 2018: 3750 Straftaten (Hamburger Durchschnitt etwa 2065)
- Mietspiegel: 12,69 Euro pro Quadratmeter (Hamburger Durchschnitt: 13,37 Euro)
- 1332: Das Lange Horn wird zum ersten Mal erwähnt, bleibt bis Ende des 19. Jahrhunderts ein Bauerndorf abseits der Metropole.
- 1893: Die „Anstalt Ochsenzoll wird eröffnet, 1899 flächlich vergrößert und 1905 in „Irrenanstalt Langenhorn“ umbenannt.
- 1913: Als Langenhorn eingemeindet wird, leben dort 3894 Einwohner. Nach dem Ersten Weltkrieg bekommt die Langenhorner Chaussee einen Kleinpflasterbelag und wird teilweise besiedelt.
- 1919: Die Hamburgische Bürgerschaft fasst den Beschluss, eine Kleinhaussiedlung mit Geschäften (Fritz-Schumacher-Siedlung) für Kriegsteilnehmer, Kriegsversehrte und kinderreiche Familien zu schaffen.
- 1965: Das Einkaufszentrum Langenhorner Markt wird eröffnet, im selben Jahr auch der dortige Wochenmarkt.
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