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Neu Wulmstorf

Vorhang auf für das kultige Kino

Der Kinosaal mit der Großleinwand, den Lämpchen und den Serviceknöpfen ist etwas Besonderes. Satler und Waldorf, die beiden Läster-Opas von den Muppets, gucken sich das Lichtspiel-Theater von den Balkonplätzen aus an. Foto: Lepél

Der Kinosaal mit der Großleinwand, den Lämpchen und den Serviceknöpfen ist etwas Besonderes. Satler und Waldorf, die beiden Läster-Opas von den Muppets, gucken sich das Lichtspiel-Theater von den Balkonplätzen aus an. Foto: Lepél

Es gibt nicht allzu viele Dinge, die Neu Wulmstorf als Alleinstellungsmerkmal aufweisen kann. Das Kino von Jörg Wagner gehört dazu. Es befindet sich seit mehr als 50 Jahren im Ort und ist nicht nur wegen seiner langen Tradition mittlerweile längst Kult.

Von Sabine Lepél Dienstag, 26.06.2018, 10:00 Uhr

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Die gewerblichen Räume und der Kinosaal entstanden bereits in den Jahren 1961/62. Am Anfang waren im damals noch mit 400 Sitzplätzen ausgestatteten Kino nebenbei Tanzveranstaltungen auf der großzügigen Fläche vor der Leinwand mit Begleitung einer Liveband üblich.

Jörg Wagners Eltern übernahmen das Kino 1972, da war der heutige Inhaber gerade einmal zwei Jahre alt. Er verbrachte einen Großteil seiner Kindheit in dem Lichtspielhaus seiner Familie, half schon als Jugendlicher beim Kartenabreißen oder im Service aus. Und er sah und kannte so ziemlich jeden Blockbuster, der damals über die Leinwand flimmerte: „Ich bin mit Godzilla und Terence Hill groß geworden“, sagt Wagner. „Und wegen der Kino-Gutscheine, die ich meistens verschenkt habe, dürfte ich wahrscheinlich auch ein paar mal öfter als andere zum Kindergeburtstag eingeladen worden sein.“

Fred Wagner beim Einlegen der riesigen Filmrollen.

Ein Kino zu betreiben, ist kein Selbstgänger. Bereits Jörg Wagners Eltern haben ihre gesamte Arbeitskraft in das Unternehmen gesteckt. „Ich kann mich kaum an gemeinsame Familienurlaube erinnern“, sagt Jörg Wagner. Denn auch seine Eltern mussten sich schon immer etwas Neues einfallen lassen, um am Markt zu bestehen. Aus dieser Motivation heraus entstand die Idee eines ganz besonderen Service, der heute noch ein Alleinstellungsmerkmal des Kinos in Neu Wulmstorf ist: Zuschauer können während des Films einen Knopf an ihrem Sitz drücken und werden dann am Platz mit Getränken, Popcorn und Snacks versorgt – ähnlich wie im Harsefelder Kino. „Meine Eltern haben die Bedienung schon 1981 eingeführt“, berichtet Wagner. Damals war der private Videorekorder auf dem Vormarsch, und die Kinobetreiber befürchteten dadurch starke Einbußen. Wagners Eltern verringerten deshalb die Anzahl der Sitzplätze von 400 auf 198 und versahen alle Reihen mit Tischen und kleinen Lampen sowie einer Ruftaste für den Service. Dabei ist es geblieben – nur geraucht werden darf in dem gemütlichen Kinosaal längst nicht mehr.

Mit Jörg Wagner übernahm 1996 die nächste Generation das Kino. Damals war er 26 Jahre alt. Seither hat der Kino-Betreiber immer wieder in die Erneuerung des Kinos investiert. Foyer und Saal wurden komplett renoviert, die sanitären Anlagen saniert und die Technik auf den neuesten Stand gebracht: Wagner kann Filme in Dolby 3D präsentieren, ein hochmoderner Tonprozessor sorgt für den richtigen Sound, der Saal erhielt zudem neue Frontlautsprecher, sodass sich der Ton im gesamten Raum verteilt und das Kino-Erlebnis noch beeindruckender macht.

Jörg Wagner betreibt das Neu Wulmstorfer Kino in zweiter Generation.

2007 verpachtete Wagner aus privaten Gründen sein Kino. Das ging nicht gut. Der neue Betreiber ging Pleite. Das Kino wurde geschlossen. 2010 übernahm Jörg Wagner zum großen Glück der Filmliebhaber in der Gemeinde wieder das Ruder und wurde von Neu Wulmstorfs Cineasten als „Kino-Retter“ gefeiert. Wagner gab dem Kino als Zeichen des Neuanfangs einen neuen Namen. Aus dem Capitol wurde schlicht „DAS Kino“. Der alte und neue Inhaber setzt seither vor allem auf Blockbuster: Han Solo, Jurrasic World und Deadpool laufen eben auch in Neu Wulmstorf besser als ambitioniertes Programmkino.

„Ich versuche immer, die neuesten Top 10 zu zeigen“, sagt Jörg Wagner. Zudem ist er bestrebt, mit moderaten Eintrittspreisen das Kino-Publikum vor dem Abwandern in die großen Hamburger Filmpaläste abzuhalten. Einen Ausflug in Hollywoods Traumwelt gibt es in Neu Wulmstorf schon ab 6,50 Euro. Dienstags ist Kinotag, da kostet der Eintritt nur 5,50 Euro. Eine Kindervorstellung schlägt mit 4,50 Euro zu Buche.

Das Kino in den 1980er Jahren: Es lief ein Film mit Louis de Funès.

Während der Vorstellung kümmern sich je nach Publikumsandrang fünf bis sieben Mitarbeiter um die Gäste und ihre Wünsche nach Popcorn, Cola und Co. Die Vorführung selbst ist für Jörg Wagner mit der Digitalisierung einfacher geworden. „Früher kamen hier Riesenkisten mit Filmmaterial an. Heute bekommt man nur noch eine Festplatte zugeschickt oder der Film wird per Kabel übertragen“, sagt Wagner. Sein Vater musste die 35-Millimeter-Filme in verschiedenen Akten noch zusammenschneiden, Werbung und Trailer zuschneiden, den Film einlegen, den Projektor anwerfen und eventuell noch einen Objektivwechsel vornehmen. Heute baut Wagner am PC eine Playlist zusammen, verarbeitet Werbung und Standbilder, und der Film startet um 20 Uhr automatisch. Der Chef kontrolliert nur noch, ob auch alles perfekt funktioniert.

Läuft der Film auf der Großleinwand, können sich alle Besucher in den bequemen roten Sesseln zurücklehnen und die neuesten Filme sehen, ohne nach Hamburg fahren zu müssen. Und das dürfte wohl noch lange so sein, denn obwohl das Neu Wulmstorfer Kino-Publikum insgesamt älter geworden ist, kommen zu bestimmten Filmen auch die jungen Leute und die Zuschauerzahlen sind laut Wagner insgesamt stabil. „Kino ist ein Gemeinschaftserlebnis“, sagt der 48-Jährige. Er erhält aus den sozialen Medien und im persönlichen Gespräch viel positives Feedback für sein Kino-Konzept und weiß auch warum: „Einen Fernsehfilm hat man schnell vergessen. Ein gemeinsamer Kinobesuch wirkt lange nach. Da weiß man auch noch nach Wochen, welchen Film man gesehen hat.“

So sah der Saal in den 1970ern aus: Ingrid und Fred Wagner in der ersten Reihe. Davor fanden Tanzveranstaltungen statt. Foto: privat

So sah der Saal in den 1970ern aus: Ingrid und Fred Wagner in der ersten Reihe. Davor fanden Tanzveranstaltungen statt. Foto: privat

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