Voscherau suchen und Karasek finden

Schlicht: Das Grab von Helmut und Loki Schmidt. Es gehört zu den meist besuchten auf dem Friedhof. Foto Christoph Seemann
Wo liegt eigentlich Altkanzler Helmut Schmidt? Zwei junge Paare mit Kinderwagen machen ein Selfie vor dem Grab vom ehemaligen Bundeskanzler, ZEIT-Herausgeber und Ehrenbürger von Hamburg. Es ist eines der meist besuchten Gräber von Prominenten auf dem Ohlsdorfer Friedhof.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Von Barbara Glosemeyer
Mehr als 600 Prominente haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Dazu zählen Tierpark-Gründer Carl Hagenbeck, Schauspieler wie Hans Albers, die Schauspielerinnen Inge Meysel und Heidi Kabel, Sänger Roger Cicero oder die Kiez-Hure Domenica Anita Niehoff. Der Ohlsdorfer Friedhof ist mit seinen 389 Hektar der größte Parkfriedhof der Welt und beherbergt mehr als 233 000 Gräber. Das macht es nicht leichter, die Prominenten-Gräber zu finden. Eine Spurensuche zu Allerseelen, die Geduld und Ausdauer erfordert.
Der Lageplan des Friedhofs, auf dem die VIP-Gräber eingezeichnet sind, ist zwar präzise, aber hier liegen die Toten nicht in Reih und Glied wie auf anderen Friedhöfen. Ihre Gräber sind scheinbar zufällig angeordnet, Bäume und Sträucher versperren nicht selten den Blick.
Endlich finden wir die letzte Ruhestätte des Altkanzlers, der vor fast genau zwei Jahren, am 10. November 2015, gestorben ist. Sie liegt unscheinbar zwischen Bäumen und Sträuchern. Der Grabstein etwas verwittert, ein Lebenslicht brennt, Heidebüschel statt Blumen, die Erde ist mit Grün bedeckt. Stille Patina. Nichts deutet daraufhin, dass hier ein so verehrter und berühmter Mann wie der Altkanzler und seine Frau Loki begraben liegen. Mit einem Handy in der Hand irrt ein älteres Ehepaar umher. Er blickt immer wieder auf sein Smartphone auf der Suche nach Orientierung. „Ich möchte zum Grab von Helmut Schmidt“, sagt er. „Das wollte ich mir immer schon mal angucken.“ Um es schneller zu finden, verwendet er die neue App „Friedhof Ohlsdorf“. Der Hamburger Jörg Holz hat sie entwickelt, damit sich Besucher auf dem riesigen Gelände orientieren können. Per GPS soll sie den eigenen Standort anzeigen und die Entfernung zu einer Grabstelle. 700 solcher Orte können mit dem Smartphone als Friedhofsführer abgefragt werden, darunter 580 Prominentengräber. Aber auch Kapellen, Friedhofsgärtnereien und Grabanlagen sowie alle Bushaltestellen, Toiletten, Notrufsäulen, Parkplätze und Eingänge samt Öffnungszeiten sind in der App enthalten. So weit die Theorie. Denn die App, die 2,29 Euro kostet, weist Schwächen in der Anwendung auf: Ob Android- oder Apple-Handy – immer wieder funktioniert das GPS nicht präzise, so dass sich der eigene Standort beim Gehen auf dem Display nicht verändert. Oder die Standorte der Gräber sind so ungenau markiert, dass man auch dann noch sucht, wenn die App zeigt, dass man längst angekommen sei.
Wenn neue digitale Technik nicht immer halten kann, was sie verspricht, hilft es zu fragen – zumindest auf der Suche nach dem Altkanzler Helmut Schmidt, dem nach wie vor noch viele Hamburger die Ehre mit einem Besuch erweisen wollen. Die Suche nach anderen, vielleicht nicht so legendären Prominenten, wird zur Schnitzeljagd. Roger Willemsen etwa, Journalist und Schriftsteller, der mit nur 55 Jahren am 7. Februar vergangenen Jahres gestorben ist, liegt versteckt im Nordwesten des Friedhofs. Kleine Steine und eine Engelsfigur liegen auf seinem Grabstein.
Letzte Station unserer Gräbersuche soll die Ruhestätte von Henning Voscherau sein, Erster Bürgermeister von 1988 bis 1997, gestorben mit 75 Jahren am 24. August 2016. Doch daraus wird leider nichts. Trotz akribischer Suche können wir sein Grab nicht finden, dafür entdecken wir andere: „Hellmuth Karasek“ steht in goldenen Buchstaben auf einem gepflegt geschmückten Grab, ein paar Schritte weiter ruht der in Hamburg geborene Wolfgang Borchert, einer der bekanntesten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur („Draußen vor der Tür“) und Richard Ohnsorg, der Gründer des gleichnamigen plattdeutschen Theaters. Und natürlich noch so viele charaktervolle Persönlichkeiten wie Hans Albers, James Last, der Intendant und Schauspieler Gustav Gründgens, der Reeder und Großkaufmann Ferdinand Laeisz, der Architekt Cäsar Pinnau, die Schauspielerin Monica Bleibtreu oder der Hapag-Generaldirektor Albert Ballin.
Der Ohlsdorfer Friedhof ist voller Hamburger Geschichten mit Persönlichkeit und ob als Premiere oder immer wieder – einen Besuch wert – nicht nur an Allerseelen.