Wirklichkeit ist manchmal langweilig

Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Foto Bodo Marks/dpa
Im Mai 2014 ist Ralf Meyer vom Senat zum Hamburger Polizeipräsidenten ernannt worden. Über seine Aufgaben als Polizeipräsident, das Großstadtrevier und die gefühlte Sicherheit der Hamburger Bürger sprach er im Interview mit dem TAGEBLATT.
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Von Barbara Glosemeyer und Markus Lorenz.
Frage: Herr Polizeipräsident, Polizeiarbeit in Hamburg – kann der Bürger sich das so vorstellen wie im „Großstadtrevier“?
Meyer: Ein bisschen schon. Aber im Fernsehen muss es immer unterhaltsam sein. Die Wirklichkeit ist manchmal langweiliger. Andererseits kommt manchmal auch alles auf einmal. Polizist zu sein ist wie eine Wundertüte.
Sehen Sie sich TV-Krimis an?
Ja, schon.
Würden Sie selber mal mitspielen wollen?
Wir arbeiten mit dem „Großstadtrevier“ und auch dem „Notruf Hafenkante“ zusammen und beraten die Serienmacher. Da könnte ich mir schon vorstellen, mal eine Rolle zu übernehmen.
Als Polizist?
Wenn, dann spiele ich den Polizeipräsidenten. Das kann ich am besten (lacht).
Was ist der Hauptjob eines Hamburger Polizeipräsidenten?
Zum einen ist es die Leitung eines großen staatlichen Unternehmens mit 10 000 Mitarbeitern und das entsprechende Wirken nach innen – also: Vorbild sein, Persönlichkeit sein und das Ohr bei den Mitarbeitern haben. Zum anderen ist es die Repräsentanz für die Innere Sicherheit der Stadt, bis hinein in den politischen Raum.
Klingt sehr nach Bürojob. Gehen Sie noch an die Front?
Von der eigentlichen Tätigkeit her nicht. Als Polizeipräsident ist man kein Vollzugsbeamter, ich besitze auch keine Dienstwaffe mehr. Für mich gehört es aber dazu, immer mal mit der Truppe unterwegs zu sein und zu sehen, ob alles stimmt und was wir verändern müssen.
Zum Beispiel?
Ich gucke mir beispielsweise genau an, ob die Polizisten nicht inzwischen zu viel Zeit mit Verwaltungsaufgaben am PC verbringen.
Sie waren früher Pressesprecher der Polizei Hamburg. Muss ein Präsident die Polizei vor allem gut verkaufen können?
Jedenfalls hilft die Erfahrung im Bereich Öffentlichkeitsarbeit bei der Führung der Polizei.
Sie haben als Streifenpolizist begonnen. Woher kam Ihr Interesse am Polizeijob?
Ich und zwei Mitabiturienten hatten damals vor allem das Interesse, nicht zur Bundeswehr zu gehen. So sind wir zu dritt aus der Südheide zur Polizei nach Hamburg gekommen. Bei mir hat es dann nicht lange gedauert, bis ich wusste: Hier gehst du nicht wieder weg.
Leben die Hamburger in einer sicheren Stadt?
Objektiv ist die Stadt sicher. Aber es geht auch immer um subjektive, gefühlte Sicherheit. Deshalb fragen die Leute zu Recht: Warum wird so viel eingebrochen und warum werden so viele Autos geknackt? Das nehmen wir ernst. Wir müssen ständig versuchen, die Sicherheit weiter zu verbessern.
Gelingt das?
Durchaus. Allerdings ist es nicht leicht, Sicherheit zu verbessern, wenn zugleich die Stadt wächst. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren auch einen statistischen Anstieg der Kriminalität.
Im Juni wurden innerhalb weniger Tage zwei Menschen auf offener Straße erschossen. Uns scheint, Hamburger leben auch objektiv gefährlich?
So etwas beunruhigt die Öffentlichkeit natürlich, und das zu Recht. Allerdings handelte es sich um reine Beziehungstaten. In beiden Fällen sind familiäre Streitigkeiten in einem bestimmten kulturellen Umfeld mit Waffengewalt ausgetragen worden. Das ist kein Alltagsphänomen, vor dem sich Unbeteiligte grundsätzlich fürchten müssten.
Welche Art Straftaten bereiten Ihnen aktuell die größten Sorgen?
Abseits des Themas Terror ist das die Diebstahlskriminalität ganz allgemein. Das gilt vor allem für Wohnungseinbrüche, aber auch für Diebstähle von und aus Autos sowie für Taschendiebstähle.
Gegen Einbrecher gehen Sie seit einem Jahr mit 90 Beamten in der Sonderkommission „Castle“ vor. Die Zwischenbilanz?
Die Aufklärungsquote liegt inzwischen bei elfeinhalb Prozent, im ersten Halbjahr 2015 hatten wir noch eine Vier vorm Komma. Wir wollen den Wert aber weiter steigern.
Wer sind die Einbrecher?
Im Wesentlichen reisende Tätergruppen, die bundesweit und international unterwegs sind.
Soll die Soko an dieses Klientel das Signal senden: Liebe Einbrecher, Hamburg passt auf, bleibt besser weg?
Mein Zielbild wäre es, irgendwann so eine sensible Stadt zu haben, dass die Bürger uns lieber früher als zu spät anrufen, damit wir Einbrecher auf frischer Tat fassen können. Zusammen mit einer besseren Prävention würde das tatsächlich dazu führen, Täter aus Hamburg abzuschrecken.
Die in der Soko eingesetzten Polizisten fehlen in anderen Bereichen. So liegt die Aufklärungsquote für Autoaufbrüche aktuell bei nur zwei Prozent?
Wir haben ja keine Leute, die auf der Ersatzbank sitzen und die wir für eine Soko mal schnell einwechseln. Wenn wir einen bestimmten Schwerpunkt setzen, muss ich die Beamten von irgendwo her nehmen. Wichtig ist nur, die richtigen Schwerpunkte zu setzen.
Das heißt also, die Polizei erkauft Erfolge an einer Stelle mit Misserfolgen an anderer Stelle. Das muss Sie als Polizeipräsident doch verrückt machen?
Nein. Es war immer so, dass Polizei sich nie um alles kümmern und alle Verbrecher einsperren konnte.
Nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht auf St. Pauli ist in Hamburg bisher kein einziger Täter verurteilt. Ist das nicht ein verheerendes Signal?
Wir leben in einem Rechtsstaat. Richter haben in mehreren Fällen U-Haft verhängt. Aber die Beweisführung ist schwierig, wenn sich die Opfer und andere Zeugen vor Gericht nicht mehr so sicher sind. Ich glaube aber, wir werden in Hamburg noch Verurteilungen haben.
Was tut die Polizei, damit sich solche Übergriffe nicht wiederholen?
Wir haben stärkere Präsenzkräfte auf dem Kiez eingesetzt, um klar zu machen, dass die Menschen dort wieder hingehen können. Wir sind auch sichtbarer, etwa mit gelben Westen. Und wir haben die Videoüberwachung ausgebaut.
...aber nur sporadisch?
Ja, Videoüberwachung gibt es nur anlassbezogen, sowohl mobil als auch stationär.
Wollen Sie die Dauerüberwachung per Kamera auf der Reeperbahn wieder einführen?
Die Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen. Allerdings haben uns Gerichte vorgegeben, Aufnahmen zu schwärzen, die in private Bereiche hineinreichen. Das macht die Sache schwierig. Ich kann mir aber vorstellen, dass wir die temporäre Videoüberwachung ausweiten.
Sie haben im Dienst einmal eine Angststörung erlitten. Was war passiert?
Ich war Einsatzführer einer Spezialeinheit. Bei dem Einsatz vor 13 Jahren gegen einen Geiselnehmer mit Handgranate hat einer der Männer der Einheit den Täter erschossen. Dieses Erlebnis hat mich nachts immer wieder beschäftigt.
Was haben Sie unternommen?
Ich habe mir professionelle Hilfe eines Therapeuten geholt. Das hat mir geholfen, allgemein besser mit Stress umzugehen, so dass ich letztlich gestärkt daraus hervorgegangen bin.
Haben Sie damals an Ihrer Eignung für den Polizeiberuf gezweifelt?
Nein. Mir war immer klar, dass ich mit den Belastungen des Berufs umgehen muss und werde. Das gelingt aber nicht jedem Polizisten.
Welche drei Eigenschaften braucht ein guter Polizist?
Kommunikativ sein, stressstabil sein und kognitiv gut drauf sein. Polizisten müssen Lebenssachverhalte sicher erkennen und beurteilen können.
Der Ton in der Gesellschaft wird rauer, Pöbeleien in den Sozialen Medien sind an der Tagesordnung. Spüren Sie das auch als Polizisten?
Ja, leider. Überall wo Personen mit großer Frustration auf Vertreter des Staates treffen, kommt das vor. Das gilt übrigens auch für Feuerwehrleute und Mitarbeiter im Sozialamt und andere.
Was ist dagegen zu tun?
Der Respekt vor der Rolle von Polizisten und anderer staatlicher Personen gehört wohl nicht zur deutschen DNA. Wir müssen aber versuchen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass der Polizist im Grunde eine Art Schiedsrichter ist, der Auseinandersetzungen schlichtet.
Hat die Hamburger Polizei Nachwuchsprobleme, weil die Leute sagen: Das tu ich mir nicht an?
Tatsächlich ist es schwieriger geworden, an Nachwuchs zu kommen. Allerdings liegt das daran, dass es einfach weniger junge Leute gibt. Ein Imageproblem haben wir als Polizei Hamburg nicht, zumal die Stadt bei jungen Leuten sehr angesagt ist.
Ralf Martin Meyer wurde 1959 in Gießen geboren. Er begann nach dem Abitur 1979 als Streifenpolizist in Hamburg, war später auch an der Davidwache eingesetzt. Von 2004 bis 2010 war Meyer Pressesprecher der Polizei Hamburg. Seit 2014 ist er Polizeipräsident. Meyer ist verheiratet und hat zwei Söhne (28 und 25 Jahre); er lebt in Hamburg-Sasel.