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Wolfgang Herrndorf: Die Gemälde des Bestsellerautors

Links: Altkanzler Kohl im Stil des Altmeisters Van Gogh : Für das Februar-Blatt im Kalender „Klassiker Kohl“ (1998) malte Wolfgang Herrndorf dieses Bild von Helmut Kohl. Foto: Haffmans Verlag. Rechts: Dieses unbetitelte Selbstbildnis malte Wolfgang Herrndorf zwischen 1986 und 1992. Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2017.

Links: Altkanzler Kohl im Stil des Altmeisters Van Gogh : Für das Februar-Blatt im Kalender „Klassiker Kohl“ (1998) malte Wolfgang Herrndorf dieses Bild von Helmut Kohl. Foto: Haffmans Verlag. Rechts: Dieses unbetitelte Selbstbildnis malte Wolfgang Herrndorf zwischen 1986 und 1992. Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2017.

Er war ein aufmerksamer Beobachter, dem es gelang, die Zustände um ihn herum präzise wiederzugeben. Diese Fähigkeit brachte Wolfgang Herrndorf große Bekanntheit und diverse Buchpreise ein. Einen Einblick in „das unbekannte Kapitel“ des Bestsellerautors ermöglicht das Stader Kunsthaus.

Von Catharina Meybohm Freitag, 23.06.2017, 08:00 Uhr

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Es ist nicht nur das unbekannte, sondern auch das erste Kapitel im Leben von Wolfgang Herrndorf (1965 – 2013), der mit Romanen wie „Tschick“ oder „Sand“ große Erfolge als Schriftsteller feierte. Im Stader Kunsthaus wird der Bestsellerautor zum ersten Mal als bildender Künstler präsentiert. Er begann schon als Schüler, sich an den klassischen Genres und altmeisterlichen Techniken abzuarbeiten. „Als Kind ging er immer wieder in die Hamburger Kunsthalle und hat anschließend stundenlang, tagelang versucht, seinen Vorbildern nachzueifern“, sagt Sebastian Möllers, Direktor der Museen Stade.

Später studierte Herrndorf Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und arbeitete als Illustrator, Maler und Karikaturist für Zeitschriften und Buchverlage. Die bildende Kunst war ein wichtiges Kapitel in Herrndorfs Künstlerleben, aber auch geprägt von Ambivalenz. „Er war wahnsinnig selbstkritisch und hat irgendwann radikal entschieden, nicht mehr zu malen“, so Möllers. Zahlreiche Bilder zerstörte Herrndorf: Er zerriss sie, warf sie in die Badewanne oder verbrannte sie. Dennoch blieben mehr als 600 Malereien und Zeichnungen erhalten. 140 davon sind in der Sonderausstellung im Kunsthaus zu sehen.

Eine der ersten Begegnungen mit Herrndorf im Stader Kunsthaus zeugt jedoch auch von einem selbstbewussten Maler. Ein Selbstbildnis in der ersten Etage zwingt den Betrachter aus der Frosch-Perspektive erst auf die Füße und dann zu Herrndorfs Gesicht aufzublicken. Herrndorf zeigt sich mit gespreizten Beinen auf einem Stuhl vor der Staffelei, zieht sich aber gleichzeitig zurück und blickt aus scheinbar sicherem Abstand herunter. Und er umgibt sich mit seinen Vorbildern: Im Hintergrund Raffaels „Madonna mit dem Stieglitz“ oder ein Bild einer Statue von Donatello zu erkennen.

In der ersten Etage des Kunsthauses sind die frühen Malereien Herrndorfs zu sehen, die während Schulzeit und Studium entstanden sind. Darunter sind zahlreiche Selbstbildnisse, die einerseits von Genauigkeit, Präzision und Kunstfertigkeit zeugen, aber immer wieder auch zynische oder sarkastische Elemente in sich tragen. „Das Zeichnen und das Beschäftigen mit der Kunst muss einen enormen Raum eingenommen haben“, sagt die Kuratorin der Ausstellung, Regina Wetjen.

Nach dem Studium malte und zeichnete Herrndorf Buchcover, Karikaturen und Illustrationen für den „Tagesspiegel“ und für die Satire-Magazine Titanic und Eulenspiegel und verdiente damit sein Geld. Mitunter habe er jedoch einen unverhältnismäßig hohen Aufwand für diese Bilder betrieben, so Wetjen.

Durch ein Gemälde des jüngst verstorbenen, damaligen Kanzlers Helmut Kohl wurde der Verleger Gerd Haffmann auf Wolfgang Herrndorf aufmerksam. Daraufhin entstand eine Reihe von Bildern, die Kohl im Stil berühmter Gemälde der Kunstgeschichte darstellen und die 1998 als Wandkalender „Klassiker Kohl“ herausgegeben wurden. Der Kalender ist im Kunsthaus ausgestellt, auch zwei Originale werden gezeigt.

Bei den Karikaturen und Illustrationen vermischen sich Text und Bild zunehmend. Irgendwann habe Herrndorf sich immer stärker dem Schreiben gewidmet und die Malerei ausklingen lassen, so Wetjen. „Die Art zu Arbeiten, das präzise Erfassen und Wiedergeben der Umgebung ist geblieben.“ Wolfgang Herrndorfs letzte Jahre waren durch seine schwere Krankheit geprägt. Er litt seit 2010 an einem unheilbaren Hirntumor und nahm sich 2013 das Leben. Vor seinem Tod widmete Herrndorf sich intensiv dem Schreiben, um die Geschichten zu Ende zu erzählen, die er angefangen hatte.

Für die Bücher des Stader Autors Frank Schulz hat Wolfgang Herrndorf ebenfalls einige Cover entworfen. Im Jahr 2006 habe Schulz bei Herrndorf „zum Bittsteller“ werden müssen, sagt Regina Wetjen. Eigentlich hatte Herrndorf die Malerei zu dieser Zeit bereits abgeschrieben. Der Email-Verkehr, der im Katalog zur Ausstellung abgedruckt ist, belegt, wie sehr Schulz sich anstrengen musste, bis der Künstler schließlich das Bild für den Buchumschlag zu „Das Ouzo-Orakel“ lieferte – vermutlich eines der letzten Bilder von Wolfgang Herrndorf.

Das Kunsthaus Stade zeigt die Ausstellung „Das unbekannte Kapitel. Wolfgang Herrndorfs Bilder“ von Sonnabend, 24. Juni, bis Dienstag, 3. Oktober. Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag, Freitag 10 bis 17 Uhr; Mittwoch 10 bis 19 Uhr; Wochenende 10 bis 18 Uhr. Das Museen-Stade-Tages-Ticket kostet 8 Euro (ermäßigt 4 Euro), als Drei-Tages-Ticket 12 Euro (6 Euro). Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben freien Eintritt.

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