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Charly Dörfel – der Fußball-Clown vom Mopsberg

Charly Dörfel in seinem mit Erinnerungen vollgestopftem Zimmer.

Charly Dörfel in seinem mit Erinnerungen vollgestopftem Zimmer.

Gert „Charly“ Dörfel ist nicht weniger als eine Fußball-Legende. Der 77-Jährige, der aus einer Harburger Kicker-Dynastie stammt, spielte zwischen 1958 und 1972 für den Hamburger SV. Für die Rothosen machte er 224 Bundesligaspiele und schoss 58 Tore.

Dienstag, 30.05.2017, 11:30 Uhr

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Von Martin Sonnleitner

Dörfel erzielte 1963 sogar den ersten Treffer in der Bundesliga für den HSV überhaupt, gegen Preußen Münster. „Ich musste nur einnicken“, lächelt er heute. Sowohl Vater Friedo als auch Bruder Bernd waren ebenfalls Nationalspieler. Onkel Richard, immerhin Ehrenspielführer des HSV, wurde diese verwehrt, weil er den Hitlergruß verweigerte.

Charly Dörfel wurde 1939 in Harburg geboren, wo er mit seiner Mutter 1943 nur knapp dem Tod durch den Bombenangriff entging. Er wuchs am Mopsberg auf und zog später nach Altona, wo er für eine damals bekannte Straßenmannschaft spielte. Dörfel kickte später für Polizei SV Hamburg, bevor er 1958 zu den HSV-Amateuren kam, wo er gleich viele Tore erzielte. „Eifrig und schussfreudig führte er sich prächtig ein“, urteilte ein damaliges Fachblatt. Schließlich landete er bei den Profis und spielte fortan neben Stars wie Uwe Seeler. „Es war wie ein Traum“, so Dörfel.

Dörfel war stets auch der Spaßvogel im Team. Fluch und Segen zugleich war für den begnadeten Linksaußen, der auf elf Länderspiele kam (sieben Tore), dass er stets an der Seite von Weltstar und Kumpel Uwe Seeler triumphierte. Er zehrte zwar von dessen Erfolg, stand aber auch stets in Seelers Schatten. Sie galten dennoch als Traumpaar im HSV-Angriff. „Ich habe ihn mit großgemacht, ihm aber gleichzeitig gedient“, blickt Dörfel heute zurück. Flanke Charly, in der Mitte stand der „Dicke“, so wurde der HSV auch 1960 Deutscher Meister und holte 1963 den DFB-Pokal.

Dörfel wohnt seit vielen Jahren wieder im Hamburger Süden. In Meckelfeld lebt er in einem großen Einfamilienhaus mit Pool und allen Schikanen. Am Tor prangen die Initialen „C“ und „D“. Hier weiß jemand, was er als Fußballer geleistet hat. Auch wenn Dörfel stets bemüht war, zu seinen Wurzeln zu stehen. „Mein Vater hat immer gesagt, erst kommt die Lehre und Arbeit, dann der Fußball“, so Dörfel. Er lernte Im- und Exportkaufmann. „Fußball war für mich wichtig, doch es war weniger Beruf, sondern vielmehr ein Hobby. Fußball war für mich immer die schönste Nebensache der Welt.“

Nach seiner Karriere, die Dörfel 1973 in der Bundesliga beendete, tingelte er als Kicker noch durch Südafrika und Kanada, bevor er 22 Jahre als Buchhalter im Wirtschafts- und Ordnungsamt in Stellingen tätig war. Heute regt sich Dörfel ein wenig über den Sittenverfall im Profifußball auf: „Da bestimmen Kaufleute das Geschehen, die vom Fußball keine Ahnung haben.“

Neben seinen fußballerischen Talenten betätigte er sich zuweilen auch als Stimmungsmacher auf dem Fußballfeld, indem er etwa Bonbons sowohl an seine Mitspieler wie an seine Gegner verteilte. 1965 nahm er bei Deutschlands größter Plattenfirma Polydor eine eigene Single auf. „All das hatte zum einen den Charakter einer Volksbelustigung“, schreibt der Autor Hans Vinke in seinem Buch „Freibeuter des Fußballfeldes“ über Dörfel. Zum anderen habe es Eigenschaften wie Aufsässigkeit und Unangepasstheit, in der späten Rock ’n‘ Roll- und frühen Beat-Ära verkörpert. So zeigen Fotos dieser Zeit den jungen Charly Dörfel gleich massenhaft umringt von jugendlichen Fans.

„Charly war unberechenbar, lustig, extrovertiert, schrill und schräg“, urteilt der langjährige HSV-Reporter beim „Hamburger Abendblatt“, Dieter Matz. „Er unterhielt die Massen, er war mitunter laut und im nächsten Moment mimosenhaft leise, gekränkt, gab sich betroffen und war auch schon mal tief beleidigt“, beschreibt er eine durchaus sensible Psyche, um zu ergänzen: „Vor allem aber war er eins: ein Super-Fußballer.“

Dörfel lieferte auf dem Platz, so wurde er von der französischen Fußballzeitschrift L’Equipe zum besten Linksaußen Europas gekürt. Mit seinen Sturmläufen zog er alle in seinen Bann, von den Flanken könnten sich die heutigen HSV-Außen eine Menge abschauen. Dörfel: „Vom Talent her hätte ich sicherlich 100 Länderspiele machen müssen. Aber ich war eben kein Diplomat, ich hatte zu häufig ein zu lautes Mundwerk.“ Das habe ihm aber auch davor gerettet, an den Machenschaften und Kungeleien im Profifußball zu zerbrechen, so Dörfel. „Ich war der größte Fußball-Clown aller Zeiten“, beschreibt er seine beiden Gesichter.

Auch heute noch wirkt er trotz gesundheitlicher Einschränkungen insgesamt noch rüstig und agil, wenn er sich in seinem Reliquien-Zimmer zwischen Tausenden von Zeitungsberichten und seiner Plattensammlung mit rund 7000 „Scheiben“ bewegt. Dörfels Lieblingsinterpreten sind Gene Pitney und Elvis Presley. Im Zimmer sind Auszeichnungen und Nachbildungen der vielen Pokale zu sehen sowie ein Ausschnitt eines Gastauftritts als Clown im Zirkus Krone. Dörfel, der heute zurückgezogen lebt, ist Vater zweier erwachsenen Söhne und zum zweiten Mal verheiratet.

Der Hamburger Süden hat viele bekannte Persönlichkeiten hervorgebracht. In lockerer Folge stellt das TAGEBLATT einige von ihn vor. Heute: Fußball-Legende und Spaßvogel Charly Dörfel.

Bei einer Ehrung für Harburgs bekannten Sohn im Jahre 2015: Charly Dörfel mit Harburgs CDU-Chef Ralf-Dieter Fischer (links) und Bezirksamtsleiter Thomas Völsch in Dörfels Haus in Meckelfeld. Foto Lepél

Bei einer Ehrung für Harburgs bekannten Sohn im Jahre 2015: Charly Dörfel mit Harburgs CDU-Chef Ralf-Dieter Fischer (links) und Bezirksamtsleiter Thomas Völsch in Dörfels Haus in Meckelfeld. Foto Lepél

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