Ottensener Weg ist nicht sicher und zu kompliziert
Die Aktion traf die Gemütslage vieler Menschen, die rund um den Ottensener Weg in Buxtehude wohnen. Die Leute standen bei Rewe Gierke zeitweise Schlange, um beim TAGEBLATT ihre Meinung über den Versuch der fahrradfreundlichen Umgestaltung der Straße loszuwerden.
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Wie am Mittwochmorgen und Mittag zu sehen war, benutzten nur vereinzelt Radfahrer die neue Spur auf dem Ottensener Weg. „So ein Mist. Das ist lebensgefährlich“, sagt ein erwachsener Radfahrer an der Ampel beim Stieglitzweg und wechselt auf den Gehweg. So etwas hat auch der Mobilitätsbeauftragte vom Gymnasium Süd, Christian Haklas, beobachtet. Ein vorschnelles Urteil will sich der Lehrer aber nicht erlauben. „Das ist wie mit allen Neuerungen, das muss sich erst einmal einspielen.“
Kinder bis zehn Jahren dürfen offiziell auf dem Gehweg fahren. Aber auch die älteren Schüler meiden derzeit die Straßenspur. Von einem Dutzend Befragten unter den Jugendlichen fanden lediglich zwei die neue Regelung gut. Der Rest fährt weiter wie bisher auf dem alten Weg. Zumindest morgens, wenn es noch nicht richtig hell ist und viele Autofahrer es eilig haben. „Vorher war das besser“, finden Caroline, Marlin und Maive. Das sei doch auch ätzend für die Autofahrer, mutmaßen die 13-Jährigen.
Die 16-jährige Johanna hält die Neuerung für unnötig. Das Ganze sei verwirrend und zu gefährlich, wegen des hohen Verkehrsaufkommens. Auch beim Jahnstadion sei das blöd geregelt. Finn und Corven, elf und zwölf Jahre alt, mögen es ebenfalls nicht. „Da fahre ich nicht, ich will heil ankommen“, sagt die 15-jährige Franziska. Ihre Mutter hat nur ein Wort dafür: „Blöd.“
Auch die zweistündige Umfrage am Mittwochvormittag bei Rewe Gierke am Kloster Dohren ergab ähnliche Antworten. Die Leute standen Schlange, um ihren Frust loszuwerden. Es fehle an Aufklärung, es sei kompliziert und gefährlicher. Außer den Radrennsportlern, die schon vor der Umgestaltung die Straße nutzten, gefällt niemand die Idee. „Für Ältere geht das nicht. Warum hat man die Fußwege breiter gemacht und nicht geteilt“, fragen Christel Wand (77) und Karin Meibohm (72). Ihr Mann Harald sieht die größte Gefahr, wenn Radfahrer den Berg hochkommen. „Die haben dann etwa neun Stundenkilometer drauf und der Autofahrer ist genervt“, meint der 76-Jährige.
Die gestrichelten Linien und Zeichen empfinden fast alle als irritierend. Außerdem würden viele Radfahrer bei den Überwegen nicht absteigen und einfach über die Straße sausen. Jetzt sei es viel gefährlicher geworden für Autofahrer und Radler.
Ingrid Jansen hat wie ihre 83-jährige Freundin Angst, vor allem im Dunkeln, die Spur zu nutzen. „Schade, dass die Umfrage erst jetzt ist. Für mich und meine Freunde ist das ein sinnloses Verschwenden von Geld.“ „Wenn das auch in der Bahnhofstraße umgesetzt wird, fahre ich nicht mehr mit dem Fahrrad in die Stadt, obwohl ich wegen der Umwelt das Auto stehen lassen möchte“, regt sich Johanna Heckt auf. „30 Jahre habe die Stadt die Wege vergammeln lassen, das sieht jetzt nach einem Schnellschuss aus“, meint Werner Hense. „Wer sich das ausgedacht hat, fährt kein Rad. Für dieses Konzept ist hier viel zu viel Verkehr.“
Dass durch die Umbauten Parkplätze weggefallen sind, stößt dem Anwohner der Kantstraße ebenfalls sauer auf. Ein Mann, Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, der anonym bleiben wollte, sieht zusätzlich zu den genannten Problemen eine Gefahr, wenn Notarzt oder die breiten Feuerwehrwagen im Einsatz sind. „Das gibt Chaos“, meint der 44-jährige Vater von drei Kindern im Alter von 10, 13 und 18 Jahren, die er dort nicht fahren lässt.
Burkhard Kalwar ist etwas anderer Ansicht: „Super, dass überhaupt etwas getan wurde. Die Autofahrer respektieren uns jetzt mehr“, glaubt der Radsportler. „Außerdem ist das kein Radweg, sondern nur eine abgegrenzte Spur, auf der Radfahrer das Recht haben zu fahren.“ Rücksicht fehle leider oft auf beiden Seiten.
„Totaler Unsinn“, findet Günter Stülten. „Die haben doch nicht an die Schüler gedacht“, so der 77-Jährige. „Für mich Schwachsinn“, meint Bernd Dittkrisz. Jürgen Heitkamp pflichtet ihm bei. „Das geht solange, bis der erste Unfall passiert.“ „An Unsinn nicht zu überbieten. Anstatt die Radfahrer von der Straße zu holen, zwingt man sie jetzt dorthin“, ergänzt Hanns Feindt. Auch Heide und Jürgen Raschke verstehen es nicht und befürchten, dass sie Strafe zahlen müssen, wenn sie die Straße links liegen lassen.
Nicola Kamens ist enttäuscht: „Es fehlen Hinweisschilder, gerade für fremde Autofahrer. Die Schüler rasen oft mit hoher Geschwindigkeit und wenn dann zwei Radfahrer auf einer Höhe sind, ist es noch schlimmer. “ Eine besondere Gefahrenstelle sieht sie in der Einmündung Ottensener Weg und wenn Lkw oder Busse die Radler auf der Straße überholen. „Auf so einer engen Straße und dann ohne Helmpflicht, das ist ein No-Go. Es wäre sinnvoller gewesen, die maroden Fahrradwege zu sanieren.“ Ein Argument, das immer wieder zu hören war, auch von Anne und Albert Deppe, die im Allgemeinen Deutschen Fahrradclub sind sowie von Ernst Ebeling: „Viele Leute hätten sich gefreut, wenn sie den holprigen Radweg nach Ottensen erneuert hätten. Unmöglich, was die hier veranstalten“, so der 75-Jährige. Vielfahrer Ulrich Becker ärgert es, dass Radfahrer bei der Planung nicht gefragt worden sind.
„He Alte, dort drüben ist dein Weg“, wurde Christa Kopp angepöbelt, als sie auf der extra gekennzeichneten Spur unterwegs war. „Der Bürgersteig Richtung Brücke über die B 73 ist jetzt sehr breit, nur da braucht das niemand, sondern über der Querung wäre es angebrachter“, empört sich die 78-Jährige. Dem stimmt Andrea Albers-Linke zu, die extra für die Befragung ihre Arbeit unterbrochen hat. Durch einen entgegenkommenden Radfahrer sei ihre Freundin dort auf der Straße gelandet. Albers-Linke findet es gut, dass sich überhaupt etwas getan habe. „Wenn die Autos den Sicherheitsabstand von 1,50 Metern (laut Straßenverkehrsordnung) einhalten, alles okay, die Drängler und Überholer sind das Problem.“
Rosemarie Meyer möchte am liebsten wegziehen. Die 80-Jährige wohnt direkt am Ottensener Weg. Seitdem der saniert wurde, leidet sie unter mehr Lärm durch Geräusche der neuen Fahrbahn, die hauptsächlich von den Autos herrühren, die 60 oder 70 fahren statt 50. Anni und Hans-Peter Wiechmann aus der Berliner Straße fahren jetzt immer die Apenser Straße und meiden den Ottensener Weg. „Das Geld hätten sie lieber in die Spielplätze stecken sollen“, schimpft eine ältere Frau. Das ist doch unverantwortlich, sagen auch viele andere, die ihre Meinung äußerten. (Mitarbeit kw)
In der TAGEBLATT-Ausgabe am Freitag kommen die Verantwortlichen der Stadt Buxtehude und unabhängige Experten zu Wort.