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Einheitsgemeinde ist gekippt

Kurz nach 18 Uhr leerten die Wahlhelfer in der Wischhafener Grundschule Dieter Hinsch, Heinz-Peter von Rönn und Egon Viehmann (von links) die Tonne mit den Stimmzetteln. Foto Helfferich

Kurz nach 18 Uhr leerten die Wahlhelfer in der Wischhafener Grundschule Dieter Hinsch, Heinz-Peter von Rönn und Egon Viehmann (von links) die Tonne mit den Stimmzetteln. Foto Helfferich

Wischhafens Bürger haben entschieden: In Nordkehdingen wird es keine Einheitsgemeinde geben. Mit deutlicher Zwei-Drittel-Mehrheit haben sie dafür gestimmt, dass der Ratsbeschluss vom 29. Juni dieses Jahres aufgehoben wird. 

Von Susanne Helfferich Sonntag, 29.11.2015, 22:21 Uhr

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In Balje scheiterte der Bürgerentscheid knapp. Doch das Votum aus Wischhafen genügt. Wenn nur eine Mitgliedsgemeinde gegen die Einheitsgemeinde ist, wird die Samtgemeinde nicht umgewandelt.

Kurz nach 18 Uhr war in Wischhafen klar: Die Einheitsgemeinde ist gekippt. Im Wahllokal I in der Grundschule wuchs vor den Augen der Einheitsgegner der Stapel mit den Ja-Stimmen (für Aufhebung des Ratsbeschlusses und für Fortführung der Samtgemeinde) sichtbar. Am Ende der Auszählung hatten dort 609 Wählerinnen und Wähler mit Ja gestimmt, 258 mit Nein (damit für die Einheitsgemeinde). Mit dem Ortsteil Hamelwörden stimmten 887 gegen die Einheitsgemeinde und 417 dafür. Die Wahlbeteiligung lag bei 53 Prozent.

Da war die Stimmung im Rathaus in Freiburg bereits auf dem Tiefpunkt. Die Rathausmitarbeiter hatten sich für die Einheitsgemeinde und damit für mehr Effizienz in der Verwaltung positioniert. Als die Ergebnisse aus Wischhafen eintrafen, waren sie über die Deutlichkeit erschüttert. Das Ergebnis von Wischhafen entspricht fast exakt dem der Bürgerbefragung von vor vier Jahren.

Samtgemeindebürgermeister Edgar Goedecke machte deutlich: „In meiner Zeit wird das Thema nicht mehr angefasst.“ Damit ist die Einheitsgemeinde mindestens bis 2021 vom Tisch. Bis dahin ist Goedecke noch im Amt. „Und mein Nachfolger wird sich nicht gleich um eine Verwaltungsreform kümmern“, so Goedecke. Sein Urteil: „Diese Entscheidung ist nicht zukunftsfähig gedacht.“

Sichtlich enttäuscht zeigte sich auch Wischhafens Bürgermeister Bernd Tietje (CDU). Er hatte sich, wie auch andere Befürworter der Einheitsgemeinde, im Rathaus eingefunden, um das Ergebnis abzuwarten. „Dazu fällt mir nichts mehr ein“, sagte er frustriert, „ich hatte die Hoffnung, dass an dem Ratsbeschluss festgehalten wird.“

Versäumnisse im Vorwege sieht sein Fraktionsvorsitzender Horst Wilkens nicht. Er steht dazu: Bürger zu Hause zu besuchen, um sie von der eigenen Meinung zu überzeugen, hält er für grenzwertig. Das Ergebnis sieht er nüchtern: „Die Bürger haben innerhalb von vier Jahren so entschieden. Das müssen wir akzeptieren. In Nordkehdingen ist eine Chance für die Zukunft vertan.“

Da war das knappe Ergebnis aus Balje nur ein schwacher Trost. Dort hatten 276 Bürgerinnen und Bürger mit Ja gestimmt (für Aufhebung des Ratsbeschlusses und damit für Fortführung der Samtgemeinde) und 302 mit Nein. Während der CDU-Fraktionsvorsitzende Garlef Mahler das Ergebnis als kleinen Erfolg feierte, lehnte Bürgermeister Hermann Bösch vom Krankenbett aus – er ist frisch an der Schulter operiert – jeden Glückwunsch ab. „Ich hätte mir ein deutlicheres Ergebnis gewünscht“, erklärte er. Er wolle nun mit den Fraktionskollegen über das Ergebnis sprechen und schauen, welche Rückschlüsse gezogen werden.

Christian Otten, stellvertretender Vorsitzender der Nordkehdinger SPD und Initiator des Bürgerentscheides, bewertete das knappe Ergebnis trotz des negativen Ausgangs als Erfolg. „Ich finde es traumhaft, dass fast 65 Prozent der Wahlberechtigten in Balje abgestimmt haben.“ Trotz der knappen Niederlage machte er sich auf den Weg nach Wischhafen, wo seine Parteifreunde bereits im „Hafengrill“ beim Essen saßen.

Heinrich von Borstel, ehemals Bürgermeister in Wischhafen und dort Initiator des Bürgerentscheids: „Ich freue mich, dass der Bürgerentscheid so überraschend deutlich ausgefallen ist.“ Doch er wolle jetzt nicht euphorisch werden: „Es ist nicht nur unser Erfolg, sondern auch ein Erfolg für die Demokratie. Und das hätte ich auch so gesagt, wenn wir verloren hätten.“

Währenddessen gab es schon erste Spekulationen im Norden der Samtgemeinde. „Vielleicht schließen sich ja jetzt die vier Gemeinden Balje, Krummendeich, Oederquart und Freiburg zusammen, als eine Gemeinde innerhalb der Samtgemeinde“, meinte ein Verwaltungsmitarbeiter.

Hermann Bösch steht jedenfalls dieser Diskussion offen gegenüber. „Wenn die Wischhafener glauben, sie kommen alleine klar, dann sollen sie auch alleine bleiben.“

Beim nächsten Mal bitte die Menschen mitnehmen

Standpunkt von Susanne Helfferich

Das Dilemma von Politik ist, dass sie es oft gut meint, aber die Menschen nicht mitnimmt oder nicht erreicht. Warum das in Wischhafen so gelaufen ist, bleibt offen. In den letzten Jahren gab es mehrfach Versuche, die Bürgerinnen und Bürger von den Vorteilen einer effizienteren Verwaltungsstrukur zu überzeugen. Die Einladungen zu Einwohnerinformationen wurden mehr von den Ratsleuten wahrgenommen, weniger von den Einwohnern. Das Ergebnis in Wischhafen ist nicht allein mit Stimmungsmache oder mit dem Zugpferd Heinrich von Borstel zu erklären. Es ist eine deutliche Absage, mit den anderen vier Nordkehdinger Gemeinden gemeinsame Sache machen zu wollen.
Das ist historisch gewachsen. Die Wischhafener fühlten sich schon immer Drochtersen näher als Balje. Und sicher bewegen die Wischhafener mit ihrer Nähe zur künftigen A 20 auch andere Fragen als die der vier Nord-Gemeinden, wo der demografische Wandel längst angekommen ist. Wenn jetzt im ersten Frust über eine Fusion im Norden nachgedacht wird, als eine Gemeinde von zweien (neben Wischhafen) in der Samtgemeinde Nordkehdingen, kann das eine Chance für die Zukunft sein. Balje, Krummendeich, Freiburg und Oederquart haben viele Gemeinsamkeiten und ergänzen sich schon heute zum Beispiel bei Schule und Kindergarten. Es ist ein ganz neues Denkmodell. Aber diesmal sollte von Anfang an darauf geachtet werden, die Menschen mitzunehmen.

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