So brutal wurden die Rinder zum Schlachthof transportiert
Ein Einzelfall oder Tierquälerei mit System? Grausame Szenen hat die Soko Tierschutz dokumentiert. Vom betroffenen Schlachtbetrieb aus Düdenbüttel, Landwirten und aus dem zuständigen Veterinäramt liegen jetzt Reaktionen vor.
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Die Bilder sind erschütternd für jeden, der sie sieht. Offensichtlich kranke Rinder werden mit einer Seilwinde auf einen Anhänger gezogen. Die Tiere werden getreten und mit Mistforken bearbeitet. Die Aufnahmen sind teilweise so schlimm, dass sie bei TAGEBLATT-online nur mit einem Warnhinweis gezeigt werden. Die Tierschutzorganisation Soko Tierschutz hat zwei von vier Transportern des Schlachthofs in Düdenbüttel vom 7. März bis zum 1. April beobachtet, dabei schlimme Szenen auf Bauernhöfen in der Region dokumentiert und zahlreiche Strafanzeigen gegen den Schlachthof, 20 Landwirte und das Veterinäramt Stade erstattet. Die Aufnahmen waren am Dienstagabend erstmals in der TV-Sendung „plusminus“ zu sehen. Auch dem TAGEBLATT liegen Teile des Materials vor.
Die Soko Tierschutz erhebt neben dem Vorwurf der Tierquälerei an Halter, Transporteure und den Betrieb auch massive Vorwürfe gegen das beim Landkreis Stade beheimatete Veterinäramt. „Besonders das Versagen der Amtsleitung des Veterinäramtes wiegt schwer. Die amtlichen Tierärzte haben systematisch weggeschaut und so nicht nur entsetzliche Tierquälerei, sondern auch eine massive Gefährdung der Verbraucher verursacht“, sagt Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz. Die Amtschefin habe nicht einmal während der von Soko Tierschutz ausgelösten Kontrolle verhindert, dass viele Tonnen Fleisch in die Hamburger Region und in die Niederlande transportiert worden seien. Ein Großabnehmer im niederländischen Enschede bezog nach Aussage der Soko Tierschutz regelmäßig Fleisch aus Düdenbüttel und verteilte es in der gesamten EU. „Es wurde unter anderem zu Döner, Spareribs, Burgern und Köttbullar verarbeitet“, so die Soko.
Da die Mitarbeiter der Kreisverwaltung in die laufenden Ermittlungen betroffen sind, ist die zuständige Stelle mit Aussagen zum konkreten Fall sehr zurückhaltend. Die Aufnahmen lassen wenig Zweifel daran, dass in dem Schlachthof systematisch kranke und schwer verletzte Tiere geschlachtet worden sind. Das Video-Material ist in vielen Fällen so eindeutig, dass Landrat Michael Roesberg und Kreis-Dezernentin Nicole Streitz davon ausgehen, dass Transport- und Schlachtaktionen illegal erfolgt sind. „Nach unseren Erkenntnissen stimmt ein Teil der Vorwürfe der Tierschutzorganisation. Insoweit ist es nicht hinnehmbar und am Ende haben Gerichte zu entscheiden, ob sich jemand strafbar gemacht hat. Wir stecken zusammen mit der Staatsanwaltschaft weiter in umfangreichen Ermittlungen und wollen alles lückenlos aufklären. Der betroffene Betrieb verhält sich derzeit kooperativ“, sagt Landrat Roesberg. Die erste Priorität sei das Tierwohl gewesen, so Dezernentin Streitz. Die Rückholung des ausgelieferten Fleisches sei am folgenden Tag vorsorglich veranlasst worden. Von dem noch auf dem Betrieb am fraglichen 3. April vorhandenen Fleisch sei nichts in den Handel gekommen.
Was auf den Bildern zu sehen ist, lässt sich auch nicht durch das legale Instrument der Notschlachtung erklären. Diese darf nur bei verunfallten Tieren, nur auf dem Hof und nach Freigabe durch einen Tierarzt angewandt werden. „Kranke oder verletzte Tiere dürfen nicht transportiert werden. Die Halter müssen einen Tierarzt holen, der entweder Maßnahmen zur Heilung oder eine tiergerechte Tötung zu veranlassen hat“, sagt Dr. Sibylle Witthöft vom Kreisveterinäramt.
Das Kreis-Veterinäramt hat nach Sichtung von 93 Gigabyte Filmmaterial auch Strafanzeige gegen die Tierhalter und die Mitarbeiter des Schlachtbetriebs gestellt und das gesamte Material der zuständigen Staatsanwaltschaft in Aurich übergeben. Völlig verstörte Rinder wurden bei vollem Bewusstsein von Schlachthof-Mitarbeitern mit Seilwinden in die Tiertransporter geschleift. Inzwischen gab es nach TAGEBLATT-Informationen auch eine Hausdurchsuchung der Polizei in Düdenbüttel.
Versteckte Kameras im Schlachthof zeigen auch einen amtlichen Tierarzt, der sich nach Interpretation der Soko Tierschutz beim Anblick von illegalen Transporten schnell umdreht und verschwindet. Die amtlichen Tierärzte sind nebenberuflich für das Veterinäramt tätig und arbeiten auch als normale Tierärzte. „Sie sind ein Schwachpunkt im System, weil sie von den Betrieben finanziell abhängig sind“, sagt Friedrich Mülln. Diese beiden in Düdenbüttel tätigen Tierärzte werden vom Veterinäramt bezahlt, nicht vom Betrieb.
Die Masse der Verstöße innerhalb weniger Tage und die offensichtliche Routine der tierquälerischen Aktionen belegen aus Sicht der Tierschützer, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Gerade mittlere Schlachtbetriebe würden sich solche Nischen suchen.
Nach Aussage des Stader Rechtsanwaltes Heinz-Jürgen Klüsener hat der Betrieb 15 Mitarbeiter und führt am Tag rund 50 Schlachtungen durch. „Die große Masse der Schlachtungen findet ohne Beanstandungen statt“, so der Rechtsanwalt. Probleme gebe es nur bei den von Landwirten direkt am Hof abgeholten Tieren. „Auch die Betreiber waren entsetzt, als sie die Bilder gesehen haben“, sagt Heinz-Jürgen Klüsener. Sie seien aber auch entsetzt darüber, wie offen die Tierschützer zum Anbringen von versteckten Kameras Hausfriedensbruch begehen würden. Der Betrieb habe freiwillig angeboten, bis einschließlich nach Ostern keine Schlachtungen mehr durchzuführen: „Der Betrieb wird von der Familie in der vierten Generation geführt. Ziel ist auf jeden Fall, dass es dort weiter geht.“
Tatsächlich bestätigten Landwirte aus der Region, dass es bekannt gewesen ist, dass in Düdenbüttel auch leicht angeschlagene Tiere – die größere Schachthöfe ablehnen – angenommen werden würden. Das Ausmaß der Tierquälerei hat aber auch bei vielen Landwirten große Betroffenheit ausgelöst. Die versteckten Kameras an den Tiertransportern der Firma zeigen zum ersten Mal, wie Bauern kranke Kühe grausam und vermutlich illegal entsorgen. Eine besonders schlimme Szene zeigt ein Hanfseil, das während dem minutenlangen Verladen mit der Seilwinde in das Auge des panischen Rindes schneidet. Die Transporter der Firma sind in einem Radius von rund 40 Minuten um Düdenbüttel in den Landkreisen Stade, Cuxhaven und Rotenburg gefahren.
„Ich bin geschockt“, sagt Kreislandwirt Johann Knabbe. „Wer so etwas macht, ist für mich kein Berufskollege mehr“, sagt der oberste Vertreter der Landwirte im Kreis. Wer sich so verhalte, begehe aus seiner Sicht Straftaten. Die gezeigten Szenen seien auch nicht damit zu rechtfertigen, dass Landwirte einen anderen Zugang zu Tieren haben müssten, als Hobbytierhalter. Knabbe ist selbst Schweine-Tierhalter. „Wir haben klare Vorgaben, wann ein Tier nicht mehr transportiert werden darf“, sagt Knabbe. Besonders entsetzt ist Knabbe über den Landwirt, der im plusminus-Film das Vorgehen als normalen wirtschaftlichen Vorgang darstellt.
Sein Kollege und Milchhalter Jan Plath hat neben der schlimmen Tierquälerei auch deshalb überhaupt kein Verständnis für den Umgang mit den Tieren, weil das finanziell wenig für die Landwirte bringen würde. Rund 200 bis 300 Euro gebe es nach seiner Kenntnis für Tiere in diesem Zustand. „Das Betriebsergebnis hängt von solchen schlimmen Aktionen nicht ab“, sagt er. Bei einer normalen Schlachtung eines Rinds gibt es pro Kilogramm aktuell um die drei Euro für den Landwirt. Das bedeutet, dass ein Landwirt rund 1000 Euro für ein Tier vom Schlachter bekommt.