„Es ist schwer, einem Leiharbeiter zu erklären, dass er gehen muss“
Seit dem ersten A300 fliegt jeder Airbus mit einem Seitenleitwerk aus Stade . Im Dezember feierte die Belegschaft mit Kai Arndt (vorne) die 11 111. Auslieferung. Foto Lange
Der Fredenbecker Kai Arndt arbeitet seit Jahresbeginn als Finanzvorstand bei der Augsburger Airbus-Tochter Premium Aerotec. Zuvor war der 45-Jährige Chef des Stader Airbus-Werkes. So erfolgreich, dass er zu höheren Weihen berufen wurde.
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TAGEBLATT: Kai Arndt, stimmen Sie der Meinung Ihres Betriebsrates zu, dass die neue CFK-Produktionstechnik mit den getrockneten Kunstfasern für die Sharklets zuerst am Standort Stade zum Einsatz kommen muss, weil die Forschung im CFK-Valley betrieben wurde und die Wertschöpfungskette damit auch in Stade geschlossen werden muss?
Arndt: Klar, wir haben das CFK Nord und auch das CTC neben unserem Standort. Im Zusammenschluss mit unseren 100 Lieferanten vom CFK Valley suchen wir Technologien, die uns als Werk konkurrenzfähig halten. Wir müssen immer sehen, dass wir im Vergleich mit unseren Konkurrenten in Asien oder Osteuropa mithalten können. Ein mögliches Arbeitspaket wären die neuen Sharklets mit einer neuen Technologie, die es am Markt noch nicht gibt – in der Automobilbranche schon, aber eben nicht in der Luftfahrt. Und deswegen bewerben wir uns um diese Arbeitspakete, die in diese Richtung gehen, um die neue Technologie hier zu verankern.
Das ist aber doch nur ein relativ kleines, aber wohl feines Arbeitspaket.
Das ist definitiv so, das ist die Technologie der Zukunft und die wollen wir an einem Serienbauteil auch realisieren. Das ist unser strategischer Ansatz. Um das für Nicht-Techniker zu erklären: Wir wollen trockene Fasern ablegen und dann in einer Form mit Harz durchtränken und aushärten. Ein Autoklav wäre dann nicht mehr nötig. Elf dieser Anlagen haben wir hier stehen, jeder kann sich vorstellen, was das kostet. Und wenn es eine Technologie gibt, die ohne Autoklaven auskommt, dann möchten wir die am Standort haben. Die Trockenfaser-Technologie für größere und komplexere Bauteile ist sicherlich ein Projekt, das wir in Stade gern übernehmen möchten, weil wir darin die Zukunft sehen.
Ist es vorstellbar, dass diese neue Technik in Zukunft auch bei den Seitenleitwerken zum Einsatz kommen kann?
Vorstellbar ist das. Wenn wir das bei den kleinen Bauteilen schaffen, dann schaffen wir das auch bei den Großen. Irgendwann. Aber wir glauben daran.
Über welche Zeiträume reden wir für die Serienreife?
Eher zwei bis fünf Jahre.
Also ist das vollkommen richtig, wenn der Betriebsrat die Wertschöpfungskette in Stade haben möchte?
Als Betriebsrat muss man das so sagen. Als Manager von Airbus sage ich, dass die Wertschöpfungskette da liegen muss, wo sie dem Unternehmen am meisten bringt. Deswegen müssen wir in Stade die Technologie besser können als andere. Aber genau dafür haben wir hier im Verbund mit dem CTC und dem CFK Nord eben auch alle Voraussetzungen geschaffen!
Wie sind die Chancen?
Wenn es als strategische Entscheidung gesehen wird, also eine Entscheidung über eine neue Technologie, dann sind unsere Chancen nicht so schlecht, weil wir im CFK Nord schon bewiesen haben, dass es funktioniert. Wenn das aber nur als Arbeitspaket gesehen wird, das nicht sonderlich schwer zu fertigen ist, sinken unsere Chancen eher.
Welches Airbus-Werk ist der Konkurrent?
Ich würde da kein anderes Werk nennen. Die größten Konkurrenten sind Zulieferer außerhalb von Airbus. Ich würde mich schwer wundern, wenn ein deutscher Anbieter ein besseres Angebot abgeben würde.
Aber da hat das Stader Werk in der jüngeren Vergangenheit doch einige Erfolge aufweisen können, die Produktivität ist doch enorm gestiegen.
Das stimmt. Wir haben in Stade bewiesen, dass es möglich ist, solche Arbeitspakete in Deutschland auf Weltmarktniveau zu fertigen, und zwar trotz höherer Stundensätze. So haben wir beispielsweise die Landeklappenfertigung neu aufgebaut, das sind auch Bauteile, die nicht unbedingt Bestandteil der Produktion in Stade sein müssten. Da konnten wir zeigen, dass wir mindestens so gut sind, wie unsere Konkurrenten.
Da reklamiert auch der Betriebsrat für sich, dass er in dieser Frage voll mitgezogen sei, um die Produktivität zu erhöhen.
Zu recht. Der Betriebsrat hat auch seinen Anteil am Erfolg. Er hat sich auf Dinge eingelassen, die so bei Airbus noch nicht möglich waren. Wir haben daran gearbeitet, dass wir die Auslastung konstant hochhalten. Da haben wir in den letzten Jahren gemeinsam einen Super-Job gemacht. Alle Werke haben unter den Schwankungen gelitten, die sich aus der Raten-Reduzierung ergeben haben, nur wir in Stade sind da relativ konstant geblieben.
Hat das Werk Stade nicht auch die Lackierung der A320-Seitenleitwerke neu dazu bekommen?
Ja, das ist so. Wir haben die Konzernleitung davon überzeugen können, dass wir die hier gefertigten Seitenleitwerke auch in Stade lackieren können. Das war ein Hamburger Arbeitspaket. Im Moment lackieren wir, was sich aus der Ratensteigerung der A320-Flugzeuge ergibt. Unsere Kapazität wären ungefähr 240 Seitenleitwerke im Jahr. Vielleicht können das in Zukunft auch mehr sein, aber das ist dann nicht mehr mein Thema.
Haben Sie sich schon an den Gedanken gewöhnt, nicht mehr für diesen Standort verantwortlich zu sein?
Nein, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass keine Wehmut aufkommt. Das Haus ist bestellt, ich übergebe das Werk mit einem sehr guten Gefühl. Fast alle Ampeln sind auf grün.
Die schwierigste Aufgabe mit der Bewältigung der Ratenreduzierungen ist offenbar gelöst, der Betriebsrat spricht von 80 Leiharbeitern, die gehen mussten.
Das war mit Sicherheit unsere schwierigste Aufgabe, nämlich wie wir mit den Menschen hier umgehen. Das betrifft zum einen die Leiharbeit mit den neuen gesetzlichen Vorgaben und dann die Ratenreduzierung beim A380 und A400 M. Wir reden immer über Menschen und Familien, die betroffen sind. Wir waren da sehr transparent und haben jedem Mitarbeiter klar gesagt, wie seine Zukunft aussehen kann. Das ist schon schwer, einem Leiharbeiter zu erklären, dass er gehen muss, weil der Gesetzgeber die Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich macht.
Aber Sie hätten die Betroffenen doch in die Stamm-Belegschaft übernehmen können?
Das haben wir auch, wir haben in Stade 60 Mitarbeiter und in Hamburg 400 übernommen. Um trotzdem die notwendige Flexibilität zu gewährleisten, die wir im Flugzeugbau brauchen, beschäftigen wir weiterhin einen gewissen Anteil an Leiharbeitern, und da greift dann die Systematik der Gesetzgebung.
Sie haben in diesen Wochen in Stade die 11.111. Auslieferung eines Seitenleitwerkes gefeiert. Was hat diese Zahl für eine Bedeutung?
Die Zahl steht als Symbol für die Leistung hier in Stade, weil jeder Airbus mit einem Seitenleitwerk aus Stade fliegt. Die Leitwerke stehen für die Produktion in Stade – immer noch, auch wenn die Leitwerke nur noch etwa 50 Prozent der Produktion ausmachen. Was immer noch viel ist. Das Thema Leitwerke hat eine immense Bedeutung für uns. Da wir im Single-Aisle am meisten wachsen, das ist Gold wert für uns in der Region. Stade ist Leitwerk – das ist der Konzern-Jargon. Übrigens: An der Zahl 11 111 sehen Sie, wie viele Airbus-Flugzeuge bereits produziert wurden, beziehungsweise im Bau sind.
Noch dürfen Sie vom „Wir“ in Stade reden. Bald nicht mehr, weil Sie künftig nach Augsburg müssen.
Um das klar zu sagen: Ich gehe freiwillig. Aber natürlich fällt es mir schwer, das Werk zu verlassen. Die Kollegen machen mir das auch nicht leicht mit dem Abschied. Da steckt ganz viel Herzblut drin, keine Frage.
Dass Sie gerne weiter in Stade gearbeitet hätten, ist deutlich zu spüren. Aber vermutlich kann man in diesem Konzern keine Beförderung ablehnen.
Ich sage es noch einmal, ich gehe freiwillig. Aber sicher ist es so, wenn einer eine gute Reputation hat, muss er damit rechnen, auch in andere Funktionen zu kommen. Ich hatte drei bis vier Optionen und mich für die Premium Aerotec entschieden. So ein Angebot bekommt man nicht so oft im Leben, aber ja, ich wäre auch gerne noch ein paar Jahre hiergeblieben. Doch ich gehe mit einem guten Gefühl nach Augsburg.
Bei Premium Aerotec haben Sie eine gute Ausgangsposition – egal was Sie machen, es kann immer nur noch besser werden.
Das ist eine fiese Frage. Ich möchte die so beantworten: Als ich nach Stade gekommen bin, haben viele gesagt, man geht nicht in ein funktionierendes Werk, denn da kannst Du doch nur verlieren. Dass es anders gekommen ist, wissen wir. Und genau so sehe ich das auch bei der Premium Aerotec. Da gibt es sicher auch Potenzial für Verbesserungen.