„Kaufhaus mit Herz“: Mehr als ein Secondhand-Laden

Khaled Fallaha ist der Auszubildende im Team. Er lernt Verkäufer. Ansprechende Warenpräsentation ist dem Neu Wulmstorfer Team sehr wichtig. Fotos: Michaelis
In den drei Jahren nach seinem Start ist das „Kaufhaus mit Herz“ in Neu Wulmstorf zum Publikumsmagneten geworden. Nicht nur Menschen mit wenig Geld kaufen hier. Zu den Stammkunden gehören auch viele, die der Wegwerfgesellschaft etwas entgegensetzen wollen.
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Kurz nach der Öffnung um 10 Uhr ist schon viel los im Laden: Zehn Leute stöbern in den Regalen, in denen Porzellan, auf Hochglanz polierte Gläser und andere Haushaltswaren liebevoll dekoriert stehen. Eine gut gekleidete Dame steht an der Kasse und möchte eine Jacke bezahlen. Eine andere schaut sich am Drehständer mit den Freizeithosen um. Eine Mutter mit Kind steuert mit ein paar Schüsseln und Bilderrahmen auf die Kasse zu.
Erst beim Bezahlen an der Kasse wird offenkundig, dass dieses liebevoll eingerichtete Geschäft kein gewöhnlicher Laden ist. 2,50 Euro zahlt ein älterer Herr für das karierte Hemd, das er sich vom gut gefüllten Hemdenständer geholt hat. „Das Hemd ist tipptopp, warum soll ich 50 Euro für ein neues zahlen, wenn ich so etwas Gutes so günstig bekommen kann?“, erklärt er, warum er sich hier regelmäßig mit Hemden versorgt.
{picture1s} Uwe Heller, Leiter des Neu Wulmstorfer „Kaufhauses mit Herz“, hält unterdessen vor der Tür ein Pläuschchen mit einem Stammkunden, der ebenfalls regelmäßig vorbeischaut im Kaufhaus an der Hauptstraße. Seit der Trägerverein im September 2015 nach seinen beiden Kaufhäusern in Stade und Buxtehude den Schritt nach Neu Wulmstorf unternahm, ist das Kaufhaus auch zum kleinen Kommunikationspunkt in der Gemeinde geworden. „Viele kommen auch nur auf einen Plausch. Der soziale, mitmenschliche Aspekt ist hier ein sehr großer“, sagt Heller. Jetzt, nach den Ferien, gegen Jahresende, wird die Besucherzahl noch einmal anziehen, weiß Heller aus Erfahrung. Es geht auf Weihnachten zu, und nicht wenige suchen und finden im Kaufhaus auch hübsche Geschenke und saisonale Dekoartikel zum günstigen Preis.
Demnächst werden er und sein Team bei der Kleidung auf die Winterware umstellen, Jacken, Mützen und Pullover aus dem Lager ins Geschäft holen und auch die Weihnachtsartikel, die das Team während des ganzen Jahres gespendet bekommen hat. Die gehen bei den Kunden aller Bevölkerungsschichten weg wie warme Semmeln, weiß Heller. Vom Dekokranz bis zur Weihnachtsmannkluft kann das Team dank der Spendenfreude der Bürger viel Schönes anbieten. „Alltägliches und Kurioses – was wir in unserem Slogan haben, trifft auch wirklich zu. Wir haben viel Interessantes“, weiß Heller.
Weil auch viele Kunden aus Neugraben und Harburg mit der Bahn ins Buxtehuder Kaufhaus kamen, hatte der „Verein zur Förderung von Jugend- und Sozialarbeit in der Awo“ 2015 die Ausweitung nach Neu Wulmstorf beschlossen. In dem ehemaligen Geschäft für Motorradbekleidung an der B 73 fand das Team ideale Bedingungen für eine ansprechende Präsentation der Waren vor, Verkaufstresen und Regale waren schon da.
Geplant war, den Standort Neu Wulmstorf zunächst ein Jahr zu testen, „denn die Frage war nicht so sehr, kriegen wir Käufer, sondern kriegen wir Spenden“, erinnert sich Heller zurück. Die Sorge war unbegründet. „Die Spendenbereitschaft war von Anfang an toll“, freut sich Heller. Vom ersten Tag an konnte sich der Neu Wulmstorfer Laden mit den gespendeten Sachen über Wasser halten, brauchte keine Unterstützung von Stade und Buxtehude.
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Schnell war keine Frage mehr, ob Neu Wulmstorf bleibt. „Der Bedarf war da, wir könnten gar nicht genug haben von diesen Läden“, sagt Heller. Die Akzeptanz der besonderen Secondhand-Kaufhäuser ist mit den Jahren in der Bevölkerung gewachsen. Die Kundschaft ist heute bunt gemischt, so wie es auch gewollt war und weshalb die Läden bewusst nicht Sozialkaufhäuser heißen. „Bei uns kann jeder kaufen, hier sind alle gleich“, betont der gelernte Kaufmann, der mit einem Team aus Festangestellten, Teilzeitkräften und Ehrenamtlichen den Laden schmeißt.
Wer wenig Geld hat, bekommt bei Alltagsprodukten noch mal 30 Prozent Rabatt auf den Verkaufspreis, muss dafür aber vorher seinen Hartz-IV-Bescheid vorlegen. „Wir haben aber auch viele Kunden, die hier nicht kaufen müssten, aber sagen, ich muss mich nicht neu einkleiden.“ Selbst ihre Opernrobe holen sich einige Damen ganz bewusst hier. Im Schnitt schauen pro Tag um die 100 Kunden im Neu Wulmstorfer Laden vorbei, mal sind es 60, mal 150, weiß Heller.
Khaled Fallaha schleppt derweil eine Kiste mit Büchern herein. Er ist der Azubi im Team und lernt hier Verkäufer, denn der Verein bildet auch aus. Das Angebot wechselt ständig, laufend wird etwas Neues rausgehängt, weiß Heller. Viele Kunden kommen sogar mehrmals pro Tag vorbei, weil sie wissen: Jeden Artikel gibt es nur einmal, und „die schönen Sachen sind ganz schnell weg“.
„Hallo Susanne“, begrüßt Heller eine Kundin, die mit einem Pullover in der Hand zu ihm kommt und fragt, ob ihr die Größe wohl passen wird. „Dann probier’ ihn doch an“, ermuntert sie Heller, „oder nimm ihn mit, und wenn er nicht passt, bringst du ihn wieder zurück“, bietet er an. Auf guten Service legt der Filialleiter viel Wert, denn „unsere Kunden sollen zufrieden gehen“, sagt Heller. So wie Susanne. Der Pullover war dann doch etwas zu eng. Aber sie wird wiederkommen, denn vielleicht ist morgen schon ein anderer da, der besser passt.
Das Neu Wulmstorfer „Kaufhaus mit Herz“ in der Hauptstraße 53 ist Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr und Sonnabend von 10 bis 14 Uhr geöffnet. Zu den Öffnungszeiten nimmt das Kaufhaus auch Spenden an. Gut erhaltene Kleidung, Geschirr, Glas, Haushaltswaren und Dekoartikel aller Art sind immer willkommen.