2500 Jahre altes Küchengerät in Beckdorf entdeckt

Archäologe Sebastian Düvel von der Grabungsfirma „ArchaeoFirm“ und Kreisarchäologe Daniel Nösler von der Archäologischen Denkmalpflege (von links) präsentieren ein 2500 Jahre altes „Küchengerät“ – entdeckt bei der Ausgrabung einer eisenzeitlichen Siedlung im Zuge der Erschließung des Baugebiets „An der Blide“ in Beckdorf. Es ist ein Mahlstein. Fotos: Vasel
Das „ArchaeoFirm“- Team hat im zukünftigen Baugebiet „An der Blide“ in Beckdorf eine 2500 Jahre alte eisenzeitliche Siedlung entdeckt und mehr Licht in das Dunkel der Geschichte vor der Zeit der Elbgermanen gebracht. In Beckdorf ließ es sich auch vor den Langobarden gut leben.
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Immer tiefer in die Vergangenheit hat sich der Archäologe Sebastian Düvel von der Grabungsfirma „ArchaeoFirm“ aus Isernhagen in Beckdorf mit seinen Kollegen in den vergangenen Wochen gegraben und eine 2500 Jahre alte eisenzeitliche Siedlung freigelegt. Während die Archäologen die Relikte der „Jastorf-Kultur“ – Vorgängerkultur der Elbgermanen – sichern, arbeiten die Tiefbauer an der Erschließung des neuen Baugebietes „An der Blide“ östlich des Dorfes. „Die Zusammenarbeit klappt sehr gut, die Baggerfahrer sind durch ihr gutes Auge für Bodenstrukturen selbst halbe Archäologen“, sagt Kreisarchäologe Daniel Nösler. In dieser Woche ist die Grabung beendet worden. „Wir haben zwei Langhäuser und mindestens zwei Speicher entdeckt“, sagt Düvel. Doch das war nicht alles. Das Team habe auch einen im Norden bislang einzigartigen Fund gemacht: die rituelle Deponierung von drei Gefäßen.
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Die Archäologen konnten bei dieser Ausgrabung auch auf die Ergebnisse einer sehr genauen Geomagnetik-Prospektion aufbauen. Im Dezember 2018 hatte Grabungstechniker Dirk Dallaserra vom Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung in Wilhelmshaven die Fläche prospektiert. Mit seinem von einem geländegängigen Fahrzeug gezogenen hochempfindlichen Geomagnetik-Messgerät hatte der Grabungstechniker punktgenau und mit einer sehr hohen Auflösung sogenannte magnetische Anomalien, die durch die Bodendenkmäler im Erdmagnetfeld erzeugt werden, erfassen können. Dadurch wurden zahlreiche Strukturen entdeckt – von Häusern bis zu Feuerstellen. Zusätzlich wurden im Februar 2019 noch Suchschnitte angelegt. Mit ihrer Hilfe und den Geomagnetik-Messbildern konnte gezielt gegraben werden, die Erschließung des neuen Baugebietes mit rund 80 Grundstücken wurde dadurch nicht verzögert, sagt Nösler.
Zwei große, dreischiffige Langhäuser konnte Düvel freilegen. Die Pfosten haben sich als Erdverfärbung im Geestboden erhalten. Das „Typenhaus“ der „Jastorf-Kultur“ (600 vor Christus bis zur Zeitenwende/vorrömische Eisenzeit) war etwa 15 Meter lang und acht Meter breit. Das Pfostenhaus ist Vorläufer des Fachwerkhallenhauses. Alle zwei bis drei Jahrzehnte waren die Pfosten vergammelt, die Böden gaben nichts mehr her. Mensch und Vieh lebten unter einem Dach. Sie waren in Ost-West-Richtung ausgerichtet, so bot der Giebel dem Wind weniger Angriffsfläche, so Nösler. Die Menschen lebten damals noch nicht in Dörfern, sondern auf Einzelgehöften und in Weilern. Die Höfe waren 80 bis 100 Meter voneinander entfernt. Dorfstrukturen gibt es erst ab Christi Geburt. Ganz in der Nähe hat „ArchaeoFirm“-Archäologe Sebastian Düvel ein 2500 Jahre altes Küchengerät freilegen können, einen Mahlstein. Mit diesem wurde von den Frauen der Ur-Beckdorfer das Getreide für den täglichen Brei gemahlen; Vorformen von Weizen und Gerste sowie Hirse und Roggen wurden angebaut.
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Das Problem: Im Mehl steckte auch der Steinabrieb, deshalb bekamen die Menschen damals schnell abgeschliffene, halbhohe Zähne. Erbsen, Bohnen und Linsen standen ebenfalls auf dem Speiseplan der Ackerbauern und Viehzüchter. Sie hielten Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen. Mit einem primitiven Hakenpflug wurde der Boden bearbeitet. Einen Steinwurf entfernt entdeckte das Team eine Gargrube. Hier kochten die „Eisenzeitler“ auf heißen Steinen. Das sparte Holz und die Hitze hielt sich länger. In dem dicht besiedelten Raum auf der Geest gab es nicht mehr so viele Wälder. Die Marsch war seinerzeit aufgrund des hohen Meeresspiegels noch unbesiedelt.
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Doch nicht nur die „Küchen (-geräte)“ der Ur-Beckdorfer haben die Ausgräber für die Nachwelt sichern und dokumentieren können, sondern auch die Vorratshäuser. Diese Speicher standen auf Stelzen. Das zeigen die Verfärbungen des Erdreichs – das Holz hat sich aufgelöst. Große Steine auf den Stelzen verhinderten, dass Schädlingen wie Mäuse in die Speicher krabbeln konnten. „Von den Vorräten hing damals das Überleben ab“, betont Nösler. Auch Brunnen beziehungsweise Zisternen wurden entdeckt. Außerdem hat das Team unter anderem Vorratsgefäße, Kochgeschirr und feine Trinkschalen, letztere schwarz mit wenig Sauerstoff gebrannt und glatt poliert, aus Ton freigelegt – leider vor allem in Form von Scherben.
Die großen Vorratsgefäße hingegen hatten eine raue Oberfläche. Vorteil: Dank der größeren Oberfläche hielten diese das Wasser lange kühl (Stichwort Verdunstungskälte. Eisen war teuer, deshalb nutzten die Beckdorfer von damals immer noch den Stahl der Steinzeit als Kratzer oder Messer: Flint (Feuerstein). Dabei lebten sie keinesfalls hinter dem Mond, enge Kontakte der „Jastorf-Kultur“ im Raum zwischen Jütland, Norddeutschland und Thüringen mit den Kelten sind nachgewiesen. Bei der Grabung hat „ArchaeoFirm“ einen spannenden Fund gemacht: eine rituelle Deponierung von drei Gefäßen mit Steinen abgedeckt. Was in ihnen lag, ist offen. Vermutlich hatten die Ahnen so ihre Sippe immer im Blick – und umgekehrt. Ohnehin, sagt Nösler, wanderten die Weiler der (Vor-)Elbgermanen seinerzeit immer um Kultplätze und Friedhöfe. Nösler: „Die Gegend war von der jüngeren Bronzezeit bis in die Eisenzeit durchgehend besiedelt.“
Ganz in der Nähe haben Archäologen in den vergangenen Jahrzehnten eine weitere Siedlung und ein Gräberfeld entdeckt. Nach der „Jastorf-Kultur“ war die Gegend von den Elbgermanen besiedelt. Mehr als 800 Bestattungen sind in der Feldmark bei Apensen/Beckdorf nachgewiesen worden. Ihre Siedlung konnte bislang noch nicht entdeckt werden. Lediglich der Zentralfriedhof der Langobarden konnte bislang nachgewiesen werden. Der Fürst von Apensen war vor 2000 Jahren im Schatten eines uralten Grabhügels verbrannt und in einem „Römertopf“ in einem „Heiligen Hain“ – markiert von imposanten Eichen und umgekehrt in den Boden gesteckten Lanzen – mit seinem rituell zerstörten Goldschwert begraben worden. Kurzum: Seine „Residenz“ hat der Stader Kreisarchäologe Daniel Nösler (bislang) noch nicht gefunden. Die Ausgrabung im neuen Baugebiet hat allerdings geholfen, den Suchraum weiter einzugrenzen.
Das Landesamt für Denkmalpflege sagt dazu: Den Verbleib von gefundenen archäologischen Objekten regelt in Niedersachsen das sogenannte Schatzregal (Paragraf 18 Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz). Dieser Rechtsbegriff aus dem Mittelalter (Regalien/königliche Rechte) beschränkt sich nicht etwa auf Goldschätze, sondern regelt den Umgang mit archäologischen Funden generell: Objekte, die bei Nachforschungen durch eine Landesbehörde oder in Grabungsschutzgebieten entdeckt wurden, sind Eigentum des Landes Niedersachsen. Gleiches gilt für Funde mit einem herausragenden wissenschaftlichen Wert, die von Privatpersonen zufällig entdeckt und unverzüglich gemeldet werden. In diesem Fall kann der Finder mit einem Finderlohn entschädigt werden. Alle anderen Funde, die an der Oberfläche entdeckt werden, gehören nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zur Hälfte dem Finder und zur anderen Hälfte dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem sie entdeckt wurden. Davon unberührt ist die Meldepflicht von Bodenfunden.
Zur wissenschaftlichen Auswertung, Dokumentation und Konservierung darf die Denkmalbehörde einen Fund für zwölf Monate einfordern. Grundsätzlich sollten alle Funde zeitnah und mit Ortsangabe gemeldet werden, denn nur so können die Fachleute nach und nach durch die landesweite Zusammenschau das Bild unserer Vergangenheit verdichten, sagen die Landesarchäologen.