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7 Tage ohne: Anping Richter meidet Müll

7 Tage ohne: Anping Richter meidet Müll

"Sieben Tage ohne" heißt das Motto der TAGEBLATT-Redaktion zur Fastenzeit. Sechs Redakteure üben nacheinander jeweils eine Woche Verzicht. Zurzeit ist Anping Richter an der Reihe. Sie will leben, ohne Müll zu produzieren.

Montag, 04.03.2013, 15:53 Uhr

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"Sieben Tage ohne" heißt das Motto der TAGEBLATT-Redaktion zur Fastenzeit. Sechs Redakteure üben nacheinander jeweils eine Woche Verzicht. Zurzeit ist Anping Richter an der Reihe. Sie will leben, ohne Müll zu produzieren.

Mein Leben ohne Müll beginnt mit einer Niederlage. Als Möchtegern-Müllvermeiderin hatte ich mit Widrigkeiten gerechnet. Allerdings nicht schon vor dem ersten Tag. Erfüllt von missionarischem Eifer und gewappnet mit einem Dossier von der Greenpeace-Kids-Homepage habe ich mir vorsorglich meine Töchter vorgeknöpft. Schließlich soll die Familie mit im Boot sein. Natürlich wollen die Kinder nicht, dass Baby-Albatrosse sterben müssen, weil sie Plastikmüll fressen. Ich versuche auch, das mit den Ressourcen des Planeten zu erklären, und wie wir sie schonen können, indem wir Müll vermeiden. Zum Beispiel könnten wir ab sofort Stofftaschentücher zum Naseputzen benutzen, schlage ich vor. "Wollen wir statt Toilettenpapier auch Stoff benutzen?", fragt meine Sechsjährige mit ernster Miene. Bei aller Liebe zum Planeten: "Nein."
Mit Stoffbeuteln, Tupperdosen und Schraubgläsern bewaffnet, betrete ich tags darauf den Bioladen. "Wurde auch mal Zeit", sagt Jutta, die ich sonst öfter mal an der Kasse um eine Tüte bitte, bei diesem Anblick. Fröhlich packe ich Milch in braunen Flaschen und Joghurt im Glas in den Wagen. Da spricht Bioladen-Chef Frank Dippel, mich von der Seite an. "Du weißt, dass die Öko-Bilanz von Mehrwegflaschenmilch schlechter ist als beim Tetra-Pack?" Vor allem, wenn die Transportwege lang sind - so wie bei dieser Biomilch aus einer bayerischen Molkerei.
Trotzdem bringe ich es nicht fertig, Tetra-Milch zu kaufen. Wie stehe ich sonst am Ende der Woche da? Knöchelhoch im Müll. Zumindest der Käse kommt am Tresen direkt in die mitgebrachte Dose. Danach muss ich zum Markt. Heute gibt's Kartoffeln. Morgen auch. Denn Nudeln oder Reis sind ohne Verpackung ja wohl nicht zu bekommen, oder?

Priesterin der Müllfreiheit

Über einige Dinge hatte ich mir wirklich keine Gedanken gemacht, bevor ich meine Müllfastenwoche vollmundig ankündigte. Jetzt merke ich: Das war gar nicht schlimm. Denn es zerbrechen sich ja genug andere Leute den Kopf für mich. Eine gute Freundin zum Beispiel, die zu mir sagt: „Und womit putzt du dir dann die Zähne?“ Es war doch nicht die Rede davon, dass ich jetzt alles, was in meinem Haushalt noch vorhanden ist, ignoriere, rede ich mich heraus. Aber die Frage nagt. Jetzt habe ich eine Antwort gefunden, mit der ich sie hätte verblüffen können, und zwar auf dem Blog von Bea Johnson, die von der New York Times „Priesterin des müllfreien Lebens“ genannt wird. Sie benutzt selbst gemachtes Zahnpulver aus Natron- und Steviapulver und stellt das Ganze in einem schicken Parmesanspender ins Bad. „Die Zutaten müsste es eigentlich auch bei uns lose in der Apotheke geben“, überlege ich laut. „Das frisst einem doch den Zahnschmelz weg“, sagt mein Mann, der vorher seinen Zahnarzt konsultieren würde. Zum Glück ist die Zahnpastatube noch halb voll.
Ich habe auch einen Kollegen, der mitdenkt. Als ich morgens meine drei Tupperdosen und das Schraubdeckelglas mit Milch auspacke (es ist die von zu Hause aus der braunen Glasflasche, und ich brauche sie für meinen Kaffee), zieht Björn Vasel nur eine Augenbraue hoch. Aber nachmittags, als ich meinen Becher in die Spüle stelle, fragt er: „Hast du etwa von dem Kaffee getrunken?“ und lächelt nur fein, als ich mit Unschuldsmiene „Ja, wieso?“ sage. Als ich abends die Redaktion verlassen will, hält er mich zurück: „Wolltest du nicht den Kaffeefilter mitnehmen, für deinen Komposthaufen zu Hause?“ Habe ich getan. In einer Tupperdose.


Gute, alte Milchkanne

Müllfrei zu leben, ist wirklich ein fast hoffnungsloses Unterfangen. Hätte ich Dinge wie Salz und Pfeffer, Öl und Butter nicht ohnehin vorrätig, stünde es schlecht um die Ernährung der Familie. Andererseits: Wer es nicht versucht, hat schon verloren. Und auch kleine Siege stärken die Moral. So habe ich bei Rewe (abgesehen vom Preisschildchen) müllfreien Käse bekommen. Meine ständige Begleiterin, die Tupperdose, durfte allerdings nicht die Theke passieren. "Darf ich nicht, ich weiß ja nicht, was Sie da für Bakterien dran haben", erläutert die Verkäuferin. Aber dann macht sie einen sehr langen Arm und lässt das Stück auf meiner Seite in die Dose plumpsen. Der mit Kräutern angerührte Frischkäse sieht ja auch lecker aus. Nur wird es da wohl mit dem Abwiegen und Plumpsenlassen ohne Tresenüberschreitung schwierig, und ich will das freundliche Entgegenkommen nicht überstrapazieren. Danach suche ich Milch in Pfandflaschen - vergeblich. Und die im Bioladen kommt aus Bayern. Dabei rät der Landkreis Stade mir in seiner übrigens sehr empfehlenswerten Abfallfibel, regionale Produkte in Mehrwegsystemen oder Nachfüllsysteme zu bevorzugen. Als Altländerin sieht es für mich in erreichbarer Nachbarschaft nicht gut aus. Für Äpfel habe ich zwar eine nahe, verpackungsfreie Quelle, bei der die Ökobilanz trotz CA-ULO-Lager noch bis zum Sommer stimmt. Aber wohl dem, der mit der guten, alten Milchkanne zum Bauern radeln kann. Falls Sie diesbezüglich einen Tipp für mich haben, lassen Sie es mich bitte wissen. richter@tageblatt.de

Leben ohne Spontankäufe

Heute habe ich mir vorgenommen, nicht schon wieder über die Widrigkeiten des momentanen Mülltabus zu jammern. Bisher sind nämlich noch niemandem die Tränen gekommen, und es soll ja nicht schon am vierten Tag langweilig werden. Reden wir also mal über die guten Seiten der Müllfreiheit. Die gibt es ganz klar, und damit meine ich nicht etwa die offensichtlichen moralischen Vorzüge. Zum Beispiel entfallen fast alle Spontankäufe. Das spart echt Geld.
Keine kollegiale Pizzabestellung in der Mittagspause, kein Schokoriegel zum Überbrücken des biorhythmischen Durchhängers am Nachmittag. Nicht mal mehr ein Kaugummi ist drin. Stattdessen gibt’s belegte Brote, Salat und zwischendurch Obst. Komisch, bis vor vier Tagen hatte ich nie Zeit, mir morgens vor der Arbeit noch etwas zu machen. Wer bei uns sonst die Brotdosen benutzt, ist leicht zu erraten: Ich wechsle ab zwischen Pferde-, Fliegenpilz- und Lillifee-Dekor. Überhaupt scheint außer mir bisher niemand in der Familie etwas zu entbehren. Mann und Kinder würden sich wahrscheinlich auch ohne Murren auf ein Stück Seife – die gibt’s noch lose – für alles umstellen, wenn Duschgel, Shampoo, Feuchtigkeitscreme und Deo zur Neige gehen. Bald ist es soweit. Vielleicht kann ich einen erneuten Verstoß gegen das Müllverbot (der erste war das Toilettenpapier) vermeiden, wenn ich alles ganz sparsam verwende – bis Mittwoch.
Dann ist die Müll-Fastenwoche wieder vorbei. Über die Entbehrungen tröste ich mich mit einem Latte Macchiato hinweg. Für meinen Coffee-to-go habe ich nämlich einen schönen, spülmaschinenfesten Deckelbecher, den mir im biorhythmischen Tief am Nachmittag jeder Kaffeeladen in der Altstadt gerne füllt.


Hilfsbereite Weggefährten

Auf dem steinigen Weg zur Müllfreiheit gibt es etwas, das mich sehr motiviert: Ich bin nicht allein. Viele sind dort längst unterwegs, und einige haben ihre Erfahrungen mit mir geteilt. Um Abwechslung in das verpackungsfreie, aber auf die Dauer eintönige Kartoffelessen zu bringen, rät Hannelore Reimers beispielsweise zu selbst gemachten Kartoffel-Gnocchi. Ein leckeres Rezept hat sie auch mitgeschickt. Gleich zwei Leser haben mir zum Anradeln mit der Milchkanne Bauer Krugmeier in Neuland empfohlen. Stimmt, der ist wirklich nur einen Katzensprung entfernt. Leider hat er die Direktauslieferung mittlerweile eingestellt. Denn so wie sie aus dem Euter kommt, nämlich vollfett, mögen die meisten ihre Milch heute nicht mehr, erläutert Tim Krugmeier am Telefon. Der Aufwand lohne sich einfach nicht. Der ist beträchtlich, bestätigen ebenfalls bedauernd seine Nachbarn, an die er mich verwiesen hat. Die Auflagen für den Verkauf von Vorzugsmilch seien extrem hoch, die Investitionen für eine Pasteurisier- und Abfüllanlage auf dem Hof aber auch. Auf Molkereien mit Direktverkauf, in Lamstedt und in Oberndorf, bin ich hingewiesen worden – von mir zu Hause aus sind das leider 60 Kilometer. Eine Leserin gab mir den geradlinigen Tipp, ganz auf Milch zu verzichten und auf vegane Ernährung umzusteigen. Zwei weitere Tipps klingen praktikabel: Bauer Elmer aus Oberndorf (danke, Frau Mießner) sowie der Milchhof Kück aus Gnarrenburg (danke, Herr Kankelfitz) liefern Milch vom eigenen Hof in Mehrwegflaschen, auch nach Jork. Wissen Sie, was all die Anteilnahme noch bei mir auslöst? Ich fürchte, ich kann mich nie mehr mit einer Plastiktüte erwischen lassen, ohne rot zu werden.

Sieben Tage ohne Müll – eine Bilanz

Ehrlich gesagt: Der letzte Tag meiner müllfreien Woche ist schon da, als es gerade erst anfängt, wirklich entbehrungsreich zu werden. Einiges muss ich im Rückblick kritisch anmerken: Käse kommt natürlich ebenso wenig unverpackt in der Ladentheke an wie Kaffee in der Redaktions-Kaffeemaschine. Das Toilettenpapier war zwischendurch alle, Nachschub ohne Plastikhülle nicht zu bekommen.
Im Café habe ich mir gedankenlos mit einer Papierserviette den Milchschaum vom Mund gewischt, obwohl ich ein Stofftaschentuch mit mir herumtrug. Und mein Mann behauptet, dass Autoabgase auch Müll sind, bloß unsichtbarer.
Ja, okay, ich war inkonsequent. Die Fastenwoche ist aber trotzdem nicht ohne Konsequenzen geblieben, nicht zuletzt durch den Dialog mit vielen Menschen, die mich darauf angesprochen haben.
Als unbescheidenes Fazit präsentiere ich hiermit also mein persönliches Müllvermeidungsranking. Offenbar die schlechteste Methode: Scheinrecycling, also aus Joghurtbechern Farbeimer oder Parkbänke machen, wie bei der Hälfte der Grünen-Punkt-Abfälle, die nicht einfach verbrannt wird. Obwohl Müll in dem Maße, wie die Rohstoff- und Energiepreise steigen, als Brennstoff sogar allmählich begehrter wird.
Papier- und Glas schneiden im Wertstoffrecycling besser ab, aber auch hier muss viel Energie investiert werden. Übrigens hinterlässt jeder Einwohner des Landkreises Stade in einem Jahr im Schnitt 147 Kilo Wertstoffmüll, also Altpapier, Altglas und Gelber-Sack-Inhalt (Abfallbilanz 2011). Bei einer fünfköpfigen Familie wie meiner lohnt sich das Müllsparen demnach richtig.
Eine bessere Methode scheint mir das Wiederverwenden oder wirkliche Recyceln wie bei Gemüseabfällen auf dem Kompost. Die wohl sicherste und beste Methode: Verzichten. Geht leider nicht immer und kann auch eine ziemliche Spaßbremse sein. Aber gut ist es in jeden Fall, nochmal nachzudenken – beispielsweise darüber, ob unfaire Preise für die Produzenten die Ökobilanz zunichte machen oder ob beim Transport zu viel unsichtbarer Müll entsteht.
Und damit bin ich schon im nächsten Thema und gebe sehr gespannt weiter an meinen Kollegen Peter von Allwörden, der ab jetzt sieben Tage lang auf sein heißgeliebtes Auto verzichten will. Er ist fest entschlossen, den Großteil seiner Wege mit dem Fahrrad zu bestreiten.

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