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Altländer Viertel in Stade: Clan-Fehde mit Machete

Blick von der Jorker Straße aufs Altländer Viertel : Polizisten aus Lüneburg bewachen die Zufahrt. Foto Beneke/Montage Schulz

Blick von der Jorker Straße aufs Altländer Viertel : Polizisten aus Lüneburg bewachen die Zufahrt. Foto Beneke/Montage Schulz

Großeinsatz in der Stader Innenstadt: Am Sonntag musste die Polizei bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen zwei verfeindeten Großfamilien aus dem Altländer Viertel eingreifen. Mitglieder der Clans zettelten mehrere Schlägereien an.

Von Daniel Beneke Montag, 26.09.2016, 18:15 Uhr

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Noch am Sonnabend stieg im Altländer Viertel ein friedliches Stadtteilfest. Am Sonntagnachmittag eskalierte dann ein Streit zwischen Familien, die in dem Quartier zu Hause sind. Am Nachmittag gegen 16 Uhr trafen sich 15 bis 20 Angehörige der Clans mit türkischen und libanesischen Wurzeln im Bereich Pferdemarkt. Sie sollen mit Schlagstöcken und Baseballschlägern aufeinander losgegangen sein, berichtet Polizeisprecher Herbert Kreykenbohm auf Nachfrage. Zeugenaussagen zufolge soll auch eine Machete im Spiel gewesen sein.


Die Polizei rückte an und trennte die rivalisierenden Gruppen, die in zunehmender Personenzahl vertreten waren. Weil sich gegen 17.30 Uhr wieder mehrere Dutzend Clan-Angehörige vor dem Zeughaus aufhielten, „hat die Polizei hochgerüstet“, erklärt Kreykenbohm. Mehr als 50 Beamte waren im Einsatz, einige kamen aus den Nachbarlandkreisen Rotenburg, Harburg und Lüneburg. Nach TAGEBLATT-Informationen hatten sich alleine aus dem Harburger Umland fünf Streifenwagen mit Blaulicht und Martinshorn auf den Weg nach Stade gemacht. Das Großaufgebot habe dafür gesorgt, dass sich die Lage zunehmend beruhigt hat, sagt der Polizeisprecher. Mit richterlicher Bestätigung kamen drei Personen in die Zellen der Stader Wache. Es laufen zwei Verfahren wegen Körperverletzung. Im ersten Fall, der sich gegen 16 Uhr ereignet haben soll, sind allerdings die Namen von Täter und Opfer noch nicht bekannt. Im zweiten Fall hat die Polizei Kenntnis von einem 38-jährigen Verletzten, der gegen 17.30 Uhr vor dem Restaurant „Subway“ mit Verletzungen an Hals und Gesicht aufgegriffen worden war. Zu dieser Zeit herrschte wegen des Herbst-Jahrmarkts viel Betrieb in der Innenstadt. Besucher oder Stände seien aber nicht zu Schaden gekommen, sagt Kreykenbohm.


Um weitere Aufeinandertreffen der Schläger zu verhindern, hielten die Beamten ihre starke Präsenz über mehrere Stunden aufrecht. Bis zum späten Abend umstellten Streifenteams die Zufahrten ins Altländer Viertel, wo Mitglieder der stadtbekannten Großfamilien leben. Polizisten aus Lüneburg, Rotenburg und Harburg hatten die Kreisel an der Steinkirchener Straße und der Jorker Straße im Blick. Sie patrouillierten mehrfach durch das Quartier. Gegen 23 Uhr hatte sich die Lage beruhigt, so dass der Einsatz beendet werden konnte. Jetzt stehe die Aufarbeitung des Geschehens an, sagt der Polizeisprecher. In den nächsten Tagen sollen die Beteiligten befragt und vernommen werden. Offenbar kam es bereits in der Nacht zu Sonntag zum Streit zwischen Mitgliedern der Familien. Die Polizei fuhr verstärkt Streife in der Innenstadt. Hintergrund könnte ein Vorfall gegen 2 Uhr gewesen sein, dessen Hintergründe den Ermittlern noch nicht bekannt sind. Insgesamt ist es nach Einschätzung der Polizei in den letzten Jahren im Altländer Viertel ruhiger geworden, wenngleich die beiden Großfamilien weiter aktiv seien. Zu Konfrontationen komme es eher außerhalb des Viertels. Ihre Angehörigen, die des Öfteren auf der Anklagebank der Stader Gerichte sitzen, seien inzwischen zum Teil in andere Gebiete der Stadt gezogen.


Die Polizei sucht nun Zeugen, die Hinweise über den Ablauf der Auseinandersetzungen geben können. Sie werden gebeten, sich unter der Rufnummer 0 41 41 / 10 22 15 zu melden. Speziell bitten die Ermittler eine ältere Dame, die vor dem Restaurant „Boltes“ gestanden haben soll, sie zu kontaktieren. Vermutlich hat die Frau mit ihrem Smartphone Sequenzen des Streits aufgenommen, die den Beamten als Beweismittel dienen könnten.
Wie Kreykenbohm betont, haben die jüngsten Konflikte nichts mit dem Streit zwischen Osteuropäern vor drei Wochen zu tun, in dessen Folge elf Verletzte im Krankenhaus behandelt werden mussten. Bei der Auseinandersetzung hatte ein 18-Jähriger Pfefferspray benutzt. Ein Großaufgebot der Polizei, 16 Rettungswagenbesatzungen, zwei Notärzte und 25 Aktive von der Stader Ortsfeuerwehr rückten an. Der mutmaßliche Haupttäter kam zunächst in Gewahrsam, ist inzwischen aber wieder auf freiem Fuß.
Was die Polizei nicht mitteilte, aber Bürgermeisterin Silvia Nieber während der Ratssitzung am Montagabend sagte, ist, dass die Polizei das Altländer Viertel in dieser Woche mit einer Hundertschaft kontrollieren lässt. Offenbar haben sich die Spannungen zwischen den beiden Großfamilien noch nicht gelegt.

In den 1960ern als Modellprojekt für modernes Wohnen errichtet, bekam das Altländer Viertel in Stade schnell einen schlechten Ruf. In dem einkommensschwachen Quartier leben überproportional viele Ausländer und Menschen, die von staatlicher Hilfe leben. Hochhäuser drohten zu verfallen, mussten teilweise abgerissen werden. Nach Schießereien und Messerstechereien starteten die Behörden Ende der 1990er Jahre verschiedene Initiativen, um die Situation zu verbessern. Seit 2000 sind 16 Millionen Euro Fördergelder aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ für Sanierungs- und Neubauprojekte ins Altländer Viertel geflossen. Grundschule, Jugendhaus, Stadtteilzentrum und Seniorenwohnanlage sind entstanden. Die Kriminalität ging zurück. Die städtische Integrationsbeauftragte Karina Holst beschreibt die Atmosphäre in dem Quartier als offen und herzlich. „Es ist schade, wenn Einzelne den Ruf eines Viertels beschädigen“, sagt sie.

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