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Auf dem Land droht ein Ärztemangel

Ein aktuelles Beispiel aus der Stadt Stade , wo eine Praxis aus Altersgründen geschlossen werden musste, weil es keinen Nachfolger gibt. Die Ärzte- versorgung in den Städten ist auf absehbare Zeit zwar gesichert, auf dem Land hingegen droht

Ein aktuelles Beispiel aus der Stadt Stade , wo eine Praxis aus Altersgründen geschlossen werden musste, weil es keinen Nachfolger gibt. Die Ärzte- versorgung in den Städten ist auf absehbare Zeit zwar gesichert, auf dem Land hingegen droht

Immer weniger Mediziner: Schon heute zeichnet sich ab, dass es in einigen Jahren erhebliche Engpässe im Landkreis Stade geben wird. Nicht wenige der niedergelassenen Landärzte sind nahe der Rente und finden nur schwer Nachfolger.

Von Peter von Allwörden Montag, 15.08.2016, 19:01 Uhr

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In fünf bis zehn Jahren werde es zu Engpässen kommen, ist sich Dr. Stephan Brune, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Stade, sicher. Die Organisation der niedergelassenen Kassenärzte ist unter anderem auch für die Zulassung von Arztpraxen zuständig. „Wir helfen und vermitteln gerne, wenn es um die Ansiedlung neuer Hausärzte geht“, sagt Brune. Doch das sei alles andere als einfach.

Das Problem, warum junge Mediziner lieber andere Bereiche als die Hausarztpraxis wählen, sei sehr vielschichtig, so Brune, der in Stade als Kardiologe und Sportmediziner praktiziert. Das beginne mit dem Standort: Je abgelegener die Region, desto schwieriger sei es, einen Nachfolger zu finden. Deshalb wird vor allem im weitläufigen Nordkreis, also in der Region Kehdingen-Oste, die Nachfolgeproblematik wohl bald massiv kommen. Momentan sei die Lage noch relativ entspannt, gaben die Bürgermeister in Kehdingen und Himmelpforten-Oldendorf bei einer TAGEBLATT-Umfrage an. Aber aufgrund der Altersstruktur der Hausärzte werden die Patienten hier ein Problem bekommen. Ausnahme ist Drochtersen, wo es noch jüngere und ausreichend Ärzte gibt.

Ein weiteres Kriterium neben dem Standort sind Ausstattung und Standards in den Praxisräumen. Die alten Praxen sind oft veraltet, sowohl was die Geräte als auch Möblierung und Zustand der Räume angeht. Die Zeiten, in denen der Landarzt seine Praxis in einem Bereich seines Privathauses betreibt, sind ein Auslaufmodell. Die jungen Mediziner möchten lieber vom Wohnhaus getrennte Räume fürs Arbeiten, am liebsten in modernen und gut gelegenen Gebäuden. Im letztgenannten Punkt, da sind sich Brune und die Bürgermeister einig, seien die Kommunen gefragt. Sie können helfen, entsprechende Infrastruktur zu schaffen. Brune nennt das Beispiel Ahlerstedt, wo Bürgermeister Uwe Arndt dafür gesorgt hat, dass ein Investor neue Praxisräume erstellt hat, womit ein Hausarzt in die Gemeinde gelockt werden konnte (siehe Bericht auf der nächsten Lokalseite). Auch die Frage nach einem Job für den Partner oder nach der vorhandenen Infrastruktur in der jeweiligen Kommune (zum Beispiel Schulen, Kitas, Sporteinrichtungen) sei von großer Bedeutung, sagt Brune.

Speziell bei den Hausärzten komme laut dem KV-Vorsitzenden ein weiterer, sehr wichtiger Punkt hinzu: „Die meisten jungen Ärzte wollen keine 60- oder 70-Stunden-Woche mehr“, weiß Brune. Zudem gebe es immer mehr jungen Medizinerinnen, die ihre Familienplanung nicht hinten anstellen wollen. Sie wollen zum Beispiel 30 Stunden arbeiten und bevorzugen daher Praxisgemeinschaften mit drei bis vier Kollegen. Solche Modelle hätten durchaus Vorteile, sagt Brune. Die Patienten seien durch solche Praxen gut versorgt und der Standort sei gesichert. Aber auch bei solchen Modellen bedürfe es der Unterstützung der Kommunen und auch der KV, um entsprechende Interessenten zusammenzubringen und Räume für solche Großpraxen zu schaffen.

Ob die sogenannten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) eine Alternative sind, ist sich Brune nicht sicher. Diese werden oft von Kliniken betrieben und bieten mit angestellten Ärzten eine Versorgung nicht nur im hausärztlichen Bereich, sondern auch mit Fachärzten. Ein MVZ mit Hausärzten in Sittensen im Nachbarkreis Rotenburg, das von der Agaplesion Diakonieklinik Rotenburg betrieben wurde, hat im März dieses Jahres den Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben.

Dr. Matthias Parpart, der sich in Ahlerstedt als Hausarzt niedergelassen hat, hält jedenfalls nicht viel von solchen Versorgungszentren: Da gebe es nur angestellte Ärzte, es fehle der Inhaber der Praxis, der ja auch auf die Wirtschaftlichkeit schaue. Zudem hätten die Patienten den Nachteil, dass sie oft von unterschiedlichen Ärzten behandelt würden und sich so kein intensives Vertrauensverhältnis aufbauen lasse.

Am Ende bleibt die Frage, wie es in zehn Jahren mit der hausärztlichen Versorgung aussehen wird. Nur mit neuen Modellen werde man die Lage in den Griff bekommen, so Brunes Einschätzung. Und er vermutet auch, dass nicht nur die abgelegenen Landgebiete Versorgungsengpässen haben werden, sondern auch die Städte. Parpart ist sich sicher, dass das Problem auf Dauer nur gelöst werde, wenn die Arbeit des Hausarztes wieder attraktiver werde. Und das heißt für ihn: Ein leistungsgerechtes Abrechnungssystem und Bürokratieabbau.

Mehr zum Mediziner aus Ahlerstedt und zwei weiteren Hausärzten aus dem Landkreis Stade lesen Sie in der morgigen Ausgabe des TAGEBLATT.

Insgesamt gibt es im Landkreis Stade 112 niedergelassene Hausärzte. Davon sind 49,5 im Südkreis (Buxtehude, Altes Land und die Samtgemeinden Harsefeld und Apensen) tätig, im Nordkreis (einschließlich der Stadt Stade und der Samtgemeinde Fredenbeck) sind es 62,5. Die Versorgung mit Hausärzten liegt schon jetzt unter der 100-Prozent-Marke. Laut der Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Stade liegt der Versorgungsgrad im Nordkreis bei 99,3 Prozent, im Süden bei nur 87,1 Prozent. Bemerkenswert: Die Statistik bestätigt die Befürchtung des KV-Vorsitzenden Stephan Brune, dass es bald zu Engpässen und Unterversorgung bei den Hausärzten kommen könnte. Von den 112 Hausärzten sind nämlich 32 bereits 63 Jahre oder älter. Hier ist wiederum der Nordkreis einschließlich der Stadt Stade stärker betroffen (20 ältere Ärzte). Fielen diese weg und fänden sie keinen Nachfolger, dann würde der Versorgungsgrad auf 68 Prozent sinken. Im Südkreis sind 12 ältere Ärzte noch aktiv, der Versorgungsgrad fiele ohne Nachfolger auf 71 Prozent. Mehr differenziere die Statistik aber nicht, sagt Thomas Koehnken, Geschäftsbereichsleiter für die Vertragsärzte bei der KV Stade. So könne er zum Beispiel keine Details zur Situation der abgelegenen Kommunen ganz im Norden des Landkreises sagen. Der Versorgungsgrad mit Fachärzten liege im Landkreis bei 110 Prozent und sei damit sehr gut, so Koehnken. Wenn 110 Prozent in den jeweiligen Facharztbereichen überschritten werden, dann dürfe die KV keine weiteren Zulassungen für Praxen vergeben, so die landesweite Vereinbarung. Rutscht der Versorgungsgrad unter 75 Prozent, egal ob bei den Fach- oder Hausärzten, dann schrillen bei der KV die Alarmglocken. In solchen Fällen gibt es auch Zuschüsse für die Ansiedlung von neuen Ärzten, um die Unterversorgung zu bekämpfen.

Der drohende Ärztemangel auf dem Land beschäftigt zunehmend die Kommunalpolitik. So wurde auf Kreisebene unter Federführung von Kreissozialdezernentin Susanne Brahmst ein Arbeitskreis Gesundheit ins Leben gerufen. Dazu gehören Ärzte, Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Stade, Kreistagsabgeordnete, hauptamtliche Bürgermeister aus Kommunen sowie Vertreter der AOK und der IHK. Ziel der gemeinsamen Arbeit: Modelle entwickeln, um insbesondere die hausärztliche Versorgung auf dem Lande sicherzustellen. Horst Wartner, Kreisvorsitzender des Städte- und Gemeindebundes und früherer Chef der AOK, ist in dem Arbeitskreis aktiv und sagt: „Die Grundversorgung in der Fläche muss nachhaltig gewährleistet sein.“

Ein solches Fördermodell wird in Zeven im Landkreis Rotenburg unter dem Namen „Landpartie Zeven“ praktiziert. Dort werden junge Medizinstudenten für ihr Erstpraktikum an Landarztpraxen vermittelt, um sie mit der Arbeit eines Landarztes bekannt zu machen. Die Organisatoren des Projektes, das drei Kommunen mit 53 000 Einwohner umfasst, sprechen von einem Rundum-Sorglos-Paket für die angehenden Mediziner. Die Bedingungen sollen die Studenten locken: Fahrtkosten werden ebenso getragen wie die Unterbringung. Zusätzlich gibt es eine Verpflegungspauschale, ein Abschlussessen und Gutscheine für Freizeitaktivitäten wie Schwimmbad, Fitnessstudio, Kino oder Sauna.

Ob das Rotenburger Modell auch für den Landkreis Stade ein Vorbild ist, darauf wollen sich Brahmst und Wartner noch nicht festlegen. Tenor der beiden: Das Modell diene aber durchaus als Anregung, die vor allem mit den Hauptverwaltungsbeamten diskutiert werden müsse, denn die Kommunen müssten gegebenenfalls die Kosten tragen.

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